Steve Winwood – Rostfrei Und Wertbeständig


Daß man traditionelle Werte schätzen kann, ohne dabei einzurosten, ist seine Devise. Unberührt von Trends und Moden bastelt er in ländlicher Idylle an neuen Projekten. Mit britischer Reserviertheit wurde Steve Lake Über die Vorzüge eines geregelten Künsder-Lebens unterrichtet Es ist wie ein alter Film, der immer und immer wieder in die Kinos kommt. Eine verfilmte Rock-Fassung des Buches „Hollywood Babylon“. Die Bühne ist übersät mit Leichen – Jimi, Janis, Jim, Brian, Marc, Sid. In den Kulissen lehnt Robbie Robertson grummelnd: „Ah, diese gottverdammte Tourerei – ein Scheißleben.“ Und Neil Young dröhnt immer noch, wieviel besser es doch sei, „to burn out than to fade away ‚ obwohl seine besten Freunde (Danny Whitten, Bruce Berry) direkt neben ihm wie Fliegen von der Wand fallen. Natürlich ein absolut schwacher Film, ein weinerliches B-Movie, wobei zu allem Überfluß diejenigen Akteure von der Musikpresse triumphal als „Überlebende“ gefeiert werden, die es tatsächlich geschafft haben, sich im Verlauf einiger Jahre nicht selbst unter die Erde zu bringen. Diejenigen, die der Versuchung von zuviel Geld und zuviel Liebe mannhaft widerstanden haben, wie man so schön sagt. Scheiße, es ist schon ein kalter Wind, der einem dort oben ins Gesicht schlägt. Aber je mehr Zeit ins Land geht, desto weniger kann man sich vormachen, daß dieser Film überhaupt noch relevant ist. Denn glücklicherweise stolpert der Zyniker (und das, lieber Leser, ist nur ein anderes Wort für Realist) hin und wieder über einen Musiker, der dieses Drehbuch völlig anders schreiben würde. Steve Winwood zum Beispiel, der sich in Hamburg aufhielt, um so zu tun, als rühre er die Werbetrommel für sein neues Album, dabei aber nach wie vor seine Integrität über alles stellt. “ A usbrennen oder einrosten ? Ich denke nicht, daß dies eine Frage von entweder/oder ist.“ Spricht hier der gesunde Menschenverstand? In der Tat Obwohl Winwood fast noch ein Kind – und folglich der Ausbeutung gegenüber völlig wehrlos war, als er zu Spencer Davis-Zeiten im Rampenlicht stand. 18 Jahre lang hat sich sein Geschmack niemals verirrt, nicht einmal ist er vom Wege abgekommen. „Nun, was hat dazu beigetragen ?“ murmelt er. „Ich müßte sagen, das geschah aul Kosten von Leuten, die mir nahestanden. Freunde, die ihre Karriere ruinierten, ihr Leben, oder tatsächlich gestorben sind“ Indem er solche „Karrieren aus nächster Nähe verfolgte, wurde ihm klar, daß er diesen Weg jedenfalls nicht einschlagen wollte. , Ich glaube einfach nicht daran. Ich akzeptiere es nicht. Die Leute brauchen offenbar diese Mythen, aber ich finde es an der Zeit, sie ein für allemal über Bord zu werfen. DieseSachemit der Selbstzerstörung ist ein Überbleibsel aus den existentialistischen Zwanzigern. Das ist überholt, altmodisch, es gehört nicht in dieses Zeitalter.“ Dies übrigens ist auch das zentrale Thema auf Steves neuem Album TALKING BACK TO THE NIGHT. Ich glaube nicht, daß irgendein Kritiker bis jetzt überhaupt mitbekommen hat, daß es sich hier um ein Konzeptalbum handelt. Die Texte beleuchten das Verhältnis zwischen Kreativität und Schmerz oder Frustration. Die Idee zu der Platte entstand, als Texter Will Jennings am ersten Entwurf für den Titelsong arbeitete. Steve sprang darauf an und schlug vor, das Thema zu einem Konzeptalbum auszubauen. Großangelegte Konzeptionen mögen heutzutage zwar unmodern sein, genau wie handwerkliches Können, aber Winwood hat sich von beidem niemals gelöst. „Die Gsdanken sind sicher nicht neu. Du weißt, es gibt diese Klischeevorstellung, daß zum schöpferischen Prozeß unbedingt auch das Leiden gehöre. Nun, da mag was Wahres dran sein. Aber daraus folgert nicht, daß Leiden überhaupt erst Kreativität zu Tage fördert! Ich weiß, daß es sich albern anhört, daß es banal klingt, wenn man es so formuliert…“ Der Protagonist im Titelsong, ein erfolgloser Musiker, wehrt sich gegen die Verzweiflung. Er setzt seine Kunst dem Desinteresse an seiner Arbeit entgegen, „weil ihm ohnehin nichts anderes übrigbleibt“. Er transformiert diesen Mangel an Resonanz in etwas für ihn Positives. „Ich glaube, so verhält man sich eben als Musiker. Du gibst nicht auf. Undwenn du einerealistische Vorstellung davon hast, wo deine Grenzen liegen was nötig ist, um überhaupt klarzusehen – und wenn du Vertrauen in deine Möglichkeiten setzt, dann findest du am Ende eben doch einen Weg, deine Musik den Leuten nahezubringen.“ Steve ist gerade in der richtigen Laune, um in einem Aufwasch noch ein paar andere Mythen vom Tisch zu fegen. „Ich kann mir vorstellen, daß du die ganze Sache mit mehr Abstand betrachtest, wo du jetzt in Deutschland lebst, aber in England gibt es seit Jahren diese künstliche Fixierung auf die Mode. Speziell in London. Und für die Musikpresse ist es unmöglich, am Ball zu bleiben, alles ändert sich einfach viel zu schnell, als daß man da noch mitkäme. Für neue Bands ist das eine harte Nuß, denn sie versuchen sich an irgendeinen Stil dranzuhängen, von dem sie meinen, er sei gerade hip – und sehen sich nach ein paar Monaten links liegen gelassen, wenn die Mode sich ändert. Aber ich habe einen besseren Überblick über die Szene und mir scheint, daß das Wesentliche innerhalb der Popmusik immer erhalten blieb, aucA wenn sich die Form von Zeit zu Zeit verändert. Die Werfe, weißt du?Die besitzen noch dieselbe Gültigkeit wie in den SOern. Und die Leute, die sich auf Dauer durchsetzen, sind diejenigen, die wirklich spielen oder wirklich schreiben können…“ Aber in der Rockmusik beurteilt der Konsument diese Qualitäten doch recht subjektiv. „Sicher, da gibt es jede Menge unterschiedlicher Ansätze. Viele Musiker arbeiten nur mit drei Akkorden und machen ihre Sache trotzdem sehr gut. Nimm jemand wie B. B. King ein tierischer Musiker, der aber keinen einzigen Akkord spielen kann… Das stimmt wirklich, ich habe mal mit ihm gearbeitet. Die Band spielt die Akkorde und er macht nur, was er immer macht, und das ist ja auch völlig in Ordnung.“ Muddy Waters beispielsweise war nie imstande, gleichzeitig richtig zu singen und zu spielen. „Das stimmt.“ Steve lacht „Das Problem ist nur: Da kommen junge Musiker und jammern, ‚Meine Koordination ist noch ziemlich mies, ich muß mindestens so gut werden wie Muddy Waters!’… Meine Güte, die Eockm usikist wirklich reich lieh mit Mythen gesegnet, was? Einige Musiker machen sich damit auch selbst total verrückt. Wie Pete Townshend, ständig voller Selbstzweifel. Er meint: ‚Ich weiß nicht, was ich tue. ‚Für mich ist es ganz offensichtlich, was er tut. Wenn du seit 20 Jahren Rockmusik spielst, solltest du es langsam mal besser machen. Oder mal hingehen unddir die wirklichen Größen ansehen-Ray Charlesjerry Lee Lewis – kein Mensch kann mir erzählen, daß die entweder ausgebrannt oder eingerostet sind. Sie sind immer noch fantastisch … Letztens habe ich mir Jerry Lee Lewis angesehen, der hat überhaupt nicht die Bohne von seiner Power eingebüßt… Steve’s Rezept für Ausdauer ist die einfache Verbindung von „harter Arbeit und einem ausgeglichenen Lebensstil“. „Ich weiß, daß ich den Ruf eines Einsiedlers habe, aber das ist so eine Fantasievorstellung, die man da auf mich projiziert. Vermutlich kommt das daher, daß sich mein Leben nicht ausschließlich in Londoner Clubs abspielt und daß ich auch nicht pausenlos im Büro der Schallplattenfirma rumhänge. Ich habe heute eine ausgeprägte Selbstdisziplin. Ich arbeite normalerweise acht Stunden im Studio. So sind meine beiden letzten Alben entstanden. Und dann gibt’s immer noch jede Menge Arbeit auf meiner Farm. Ich fahre selten ins Ausland das törnt mich nicht sonderlich an – aber ich besuche von Zeit zu Zeit Freunde, ich geh auch gern mal was trinken … ich genieße mein Leben, weißt du? Viele Rockmusiker mögen diesen Lebensstil sicher für lan gw eilig und stink n orm cd halten, aber anders geht’s nun mal bei mir nicht. Ich erinnere mich noch daran, wie wir mit Traffic gearbeitet haben. Drei Wochen nonstop im Studio, 15 bis 20 Stunden am Tag. Danach ging’s uns so elend, daß wir drei Wochen brauchten, um wieder auf die Beine zu kommen. Zum Teil waren es auch Gespräche mit amerikanischen Musikern und Produzenten, die mir halfen, das in den Griff zu bekommen. Ebenso Will Jennings. Er hat mal eine Zeitlang als Songwriter in Nashville gearbeitet. Da herrscht ein ungeheurer Konkurrenzkampf, weil es mehr Autoren gibt als Interpreten. Die können es sich nicht leisten, auf die große Erleuchtung zu warten. Also gehen sie früh um neun in ihr Büro und schreiben da ihre Songs. Und genau das mache ich auch. Wenn du eine Platte mit vielen Overdubs machst, ist das oft ein mühseliger Prozeß. Du probierst eine Menge aus, machst eine Menge Fehler, aber es ist auch sehr aufschlußreich. Du kannst nicht ständig kreativ sein, deshalb bin ich oft auch mit rein mechanischen Dingen beschäftigt, als Toningenieur eben, und bearbeite die Spuren, indem ich lösche und schneide.“ ARC OF A DIVER war für Winwood als Soloprojekt in erster Linie ein Experiment. Als Sessionmusiker (von Stomu Yamashtas GO bis hin zu den Marianne Faithfull-LPs) fühlte er sich zwar nicht gerade unglücklich, aber doch unausgefüllt. Traffic war längst passe, eine Neuauflagestand nicht zur Debatte. Wie Steve außerdem in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ erklärte, hatte er von diesen reformierten Bands inzwischen auch die Nase voll. „Die kann man doch nur noch bedauern, ein Haufen übergewichtiger Musiker vor einem grau gewordenen Publikum. “ Ohne Band bot sich logischerweise der Solopfad an; überhaupt wollte er einfach mal herausfinden, ob es so funktioniert. „Auf einen derartigen Erfolg aber war ich wirklich nicht vorbereitet. “ (Allein in Amerika wurden über drei Millionen Platten verkauft.) „Ursprünglich wollte ich eine Band zusammenstellen und mit dem Material von ARC auf Tournee gehen. Aber als die Platte von allein abhob, gab mir das Mut, die neue LP genauso in Angriff zu nehmen. Als ich allein im Studio an ARC bastelte, taten sich viele neue Wege auf, denen ich längst nicht so intensiv nachgehen konnte, wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte. Aber bevor ich das nächste Album mache, werde ich bestimmt! live aultreten. Die nächste Platte wird sicher auch kein Solo-Projekt, obwohl das eine Arbeitsmethode ist, zu der ich definitiv von Zeit zu Zeit zurückkehren werde. Es bietet große Vorteile für mich, du kannst deine Ideen konkretisieren. Und es ist wünschenswert, die ganze Sache selbst unter Kontrolle zu haben. Versteh mich nicht falsch, ich habe da keinen Machtkomplex oder sowas. Es ist nur sehr befriedigend, wenn du irgendetwas von Anfang an aufbaust und siehst, wie es Gestalt annimmt. Ein tolles Gefühl… Ja… aber ich bin in letzter Zeit doch wieder öfter in Konzerte gegangen, fch habe mir Van Morrison angesehen, da stand ich wirklich drauf, dann war ich in Mariannes (Faithfull) Show. Eigentlich mußte man mich dazu erst überreden, weil ich Angst hatte, daß ich mich einfach langweilen würde. Aber es war brillant und ich dachte, „Scheiße, was sitze ich hier eigentlich rum ? Warum bin ich nicht selbst auf der Bühne ?“