The Gun Club: Ladehemmung


Ob die einstige Kult-Band noch existierte, wußte niemand so recht. Ob Top Gun Jeffrey Lee Pierce seine Drogenprobleme überhaupt überlebt hatte, war auch nicht bekannt. ME/Sounds- Mitarbeiter Michael Ruff erfuhr, was es mit der Ladehemmung auf sich hatte.

Fünf Stunden Bundesbahn haben ihre Spuren hinterlassen. Jeffrey Lee Pierce und seine japanische Ehefrau und Gun Club-Bassistin Romi Mori sind von der Reise im überfüllten Intercity doch etwas mitgenommen. Im Speisewagen mußte sich das Paar von wohlbetuchten Geschäftsleuten wie Penner taxieren lassen. Jeffrey Lee, unter braunem Schlapphut und zerschlissener Lederjacke versteckt, lädt zu solchen Blicken ein. „Eine seltsame Art zu reisen“, bemerkt er irritiert. „Zuhause in den USA sitzt man im Bus, und die Ghettoblaster brüllen um die Wette.“

Reisen ist neben Musik die große Leidenschaft von Mr. Gun Club. Seinen Londoner Zweitwohnsitz nutzt der Mann aus Los Angeles periodisch: Nach 1984 („The Las Vegas Story“), 1987 („Mother Juno“) kommt pünktlich nach drei Jahren die neue LP „Pastoral Hide and Seek“. Ist dieser Rhythmus inzwischen eine Art innere Uhr?

„Weniger. Man braucht nur länger, die Sonp zu schreiben. Man wird selbstkritischer, will sich nicht wiederholen oder wie jemand anders klingen. “ Obwohl mittlerweile clean von allen Drogen. Alkoholika und ähnlichen Substanzen (Romi kontrolliert sogar seinen Zuckerkonsum), haftet Pierce in Los Angeles noch immer das Stigma der Unzuverlässigkeit an: Seine dunkle und depressive Phase um 1985 hat ihn viele Freunde gekostet.

Das aber ist nicht der einzige Grund, warum er L.A. zur Zeit meidet: „Die USA können mir wirklich auf den Geist gehen. Das Land reagiert so sensibel auf die Medien, daß sich innerhalb eines Jahres alles um 180 Grad drehen kann. Vor einem Jahr noch war alles wunderbar. Es schien, als würde das System erkennen, daß es doch nicht für alle das beste ist. Es schien, ab würde z.B. ein Programm gegen die Obdachlosigkeit durchkommen, aber heute ist das alles vergessen. Es gibt nur noch Saddam Hussein, alle werden wieder zu Rambo und machen Sinead O’Connor Probleme, weil sie sich gegen die Nationalhymne geäußert hat. Und wo bleibt Springsteen, wo wir ihn brauchen? Er muß wohl eine neue Platte machen, die sie dann auf den Schlachtschiffen dröhnen lassen können!“

Als Musikforscher ist Pierce eine unbestrittene Kapazität. Mit dem Musikgeschäft kam er erstmals in Kontakt, als er nach L.A. zog und für das Magazin „Slash“ zu schreiben begann. „Ich schrieb Kolumnen über Reggae und schwarze Musik, denn ich war der einzige, der sich damit auskannte. Als ich die erste Platte machte, steckte ich gerade in dieser Blues-Phase, besonders Country-Blues aus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Die Musik saugte mich immer weiter ein. Ich suchte Platten, von denen Howlin‘ Wolf sagte, sie hätten ihn beeinflußt. Schließlich kam ich bei Namen an, von denen heute nichts mehr überliefert ist.“

Jeffreys Einfluß auf die amerikanische Musikszene ist keinesfalls zu unterschätzen. Es war nicht zuletzt sein Verdienst, daß Folk. Blues und Country wieder verstärkt in der alternativen US-Musiklandschaft auftauchten. „Ich weiß, daß Gruppen wie Green Ort Red stark von Gun Club beeinflußt sind, denn sie haben es mir gesagt. Aber ich bin auf diesen Credit nicht besonders scharf. Ihre Musik steht auf eigenen Füßen. Außerdem habe ich bislang noch keine einzige Gruppe gehört, die wirklich so klingt wie wir.“

Auch „Pastoral Hide And Seek“ konnte von niemand anderem als dem Gun Club stammen. Auch wenn die Tage von „Sex Beat“ endgültig vorbei sind, schwingt zehn Jahre später noch immer dasselbe Gefühl in Jeffreys Stimme, die gerne mit Wölfen und Vollmondnächten in Verbindung gebracht wurde. In diesem Punkt läßt er sich auch von niemandem reinreden: „Wie und wann ich am besten singe, weiß nur ich selbst. “ Bei den Aufnahmen der Gesangs-Tracks darf außer einem Toningenieur niemand dabeisein.

Das heutige Line-up der Band, immerhin schon seit vier Jahren beisammen, hält er für perfekt. Auf die Frage, warum es dann in den letzten Jahren so ruhig um Gun Club geworden war. gibt er eine überraschende Antwort. Jeffrey Lee Pierce, das sei vorweggeschickt, ist Sammler japanischer Filmkunst der 40er bis 60er Jahre. Und „Pastoral Hide and Seek“ ist der amerikanische Verleihtitel eines Films von Syuji Tarayama, in den 60ern Assistent des Kult-Regisseurs Hiroshi Teshigahara („Woman Of The Dunes“. „Face Of Another“). „Asiatische Filme behandeln Menschlichkeit, menschliche Probleme. In der Regel wird zu Beginn des Filmes ein Charakter vorgestellt, der Schwierigkeiten hat, mit etwas klarzukommen. Der Film zeigt dann, wie er es zu meistern lernt. Von solchen Filmen kann ich lernen, denn in meinem Leben gibt es nichts, was mit ‚Robocop‘ zu tun hätte. „