The Singles


Es ist gut, es ist wahr, es ist richtig: Das Bierbeben, die Künstlergruppe im Namen des Volkes mit den „Indie“-Superstars Julia Wilton, Jan Müller, Alexander Tsitsigias und Rasmus Engler ist wieder da. Und zwar mit der Single „Der letzte Pinselstrich“ (Shitkatapult/Alive). Auf der A-Seite gibt es die Coverversion des 1990er-Abwärts-Songs „Messias“ in einer impressionistischen, minimalistischen NEU!-Bearbeitung. Der Hammer, ja, der Hammer, folgt auf der B-Seite: „Der letzte Pinselstrich“. Aus einem Minimal-Plinkerplonk-Elektro-Popper entwickelt sich ein Kick-Drum-getriebener Post-Raver mit Free-Saxofon-Craze. Ganz hervorragend.

Von Stefan Goldmann, dem Mitinhaber des Macro-Labels, ist kein 08/15-Zeugs aus der Grauzone zwischen Techno und House zu erwarten. Dieses schöne Vorurteil bestätigt die „Adem EP“ (Macro/Word And Sound). Der Titeltrack kreist um ein fernöstlich wirkendes Melodiefragment, das in Tateinheit mit dem polyrhythmischen Beat einen komischen Mitmach-Groove zutage fördert. „Chalgapella“ treibt das Ganze auf die Spitze, indem es auf den Beat komplett verzichtet; er „fehlt“ aber nicht, sondern wird vom Rezipienten imaginiert. Ist das noch Techno? Ist das noch House? Ja, sicher.

Wer von In Our Heads, dem demnächst erscheinenden fünften Album von Hot Chip eine Enttäuschung erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht werden. So viel können wir verraten: ganz Großes bahnt sich da an. Wovon die Vorabsingle „Flutes“ (Domino/Good To Go) ein Lied singen kann. Ein tribalistischer Gesang wird von der Kickdrum vorangetragen, bis Alexis Taylors sehnsuchtsvolle Stimme dem Track diesen hotchippigen Popfaktor hinzufügt. Dazu der „Dub Mix“ auf der B-Seite.

Das nächste Wunderkind steht schon bereit: Kwes, 24-jähriger Produzent aus South London, der schon (mit) The XX, Hot Chip, Ghostpoet und Micachu zusammengearbeitet/remixt hat. Auf der EP „Meantime“ (Warp/Rough Trade) lebt Kwes seine Vision eines grenzenlosen „Free Pop“ aus. Und in der Tat speisen sich die vier Tracks aus den unterschiedlichsten Quellen. Alles dabei, von chillwavig, Wohnzimmer-folky, 8-Bit-niedlich, hiphoppig bis hin zu spacig-psychedelisch.

Es empfiehlt sich nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen des stets exquisiten Coverartworks, jeden Release von Siriusmo zu erwerben – natürlich auf Vinyl. „Doctor Beak’s Rantanplant“ (Monkeytown/Rough Trade) macht da keine Ausnahme. Der Berliner Produzent Moritz Friedrich hat dafür wieder sehr tief in die Weirdo-Elektronik-Kiste gegriffen. Simple 8-Bit-Melodien zu kompliziertem Breakbeat-Gefrickel, popcornige Moog-Sounds, Rave-Synths, HipHop-Einwürfe, Vocoderstimmen, Sampledelic-Wahn. Wie immer: ganz groß.

Wir erinnern uns sehr gerne an den Auftritt von Sébastien Tellier beim „Eurovision Song Contest 2008“ in Belgrad mit seinem wunderbaren Lied „Divine“. Am Ende erreichte der Franzose den stolzen 19. Platz (zur Erinnerung: „unser“ Beitrag der No Angels landete auf Platz 23 von 25). Allerspätestens da war der Zeitpunkt gekommen, um Tellier bis ans Ende der Zeit furchtbar lieb zu haben. Die Single „Cochon Ville“ (Record Makers/Alive) kündet vom neuen Album Telliers. Das wird My God Is Blue heißen und Anfang Juni veröffentlicht. Es ist dieser zarte, käsige 70er-Jahre-Euro-Disco-Schmelz, der auch dieses Lied so unwiderstehlich macht. Dazu diverse Remixe, u.a. von Brodinsky und den unglaublichen „Dimitri From Paris Erodiscomix“, dessen Titel alles über ihn aussagt.

Mit „Use Me Again“ hat der holländische DJ und Produzent Tom Trago Anfang 2010 einen modernen Clubklassiker veröffentlicht. Jetzt gibt es die EP „Use Me Again“ (Rush Hour/Groove Attack). Sie hat den „Original Mix“ des Tracks in einer remasterten Version. Geblieben ist der philly-discoide Loop und der soulige Gesang. Techno-Legende Carl Craig geht in seinem „Rework“ behutsam vor, lässt die Streicher-Hooks mehr hooken und gibt der Bassdrum ein bisschen mehr Kick.

Im Mittelpunkt der prosaisch „PN12“ (Prime Numbers/Groove Attack) genannten Veröffentlichung des Prime-Numbers-Labels steht Trus’Me, der Producer aus Manchester, der sich gerne im Spannungsfeld von Disco, Funk und Deep House bewegt. Die Tracks „Sweet Mother“ und „Good God“ werden von den beiden Berghain-Resident-DJs und Ostgut-Ton-/MDR-Künstlern Marcel Dettmann und Norman Nodge einer Neubehandlung unterzogen. Dettmann verwandelt „Sweet Mother“ in einen dunkelgrauen House-Track, Nodge zerlegt „Good God“ in seine Einzelteile und lässt den Track als gespenstischen Dub wiederauferstehen.