U2: Auf dem Kreuzzug ins Glück


Aufregend und experimentell: Wie aus Dubliner Lokalmatadoren millionenschwere Rockstars wurden. Die Anfänge von U2.

Popper, Punks und Pershings – die Jahrzehntwende 1979/80 lässt sich locker auf diese Formel bringen, auch wenn das nur die halbe Wahrheit ist. Für das noch junge irische Quartett U2 war diese Zeit eine Ära radikaler Veränderung. Binnen weniger Jahre sollten die Dubliner Lokalmatadore mit dem von Brian Eno produzierten Meilenstein „The Unforgettable Fire“ ihren Durchbruch schaffen. Der anfangs so fromme Frontmann Bono Vox schwört alsbald dem Image als Ersatz-Messias ab, verwandelt sich vor den Augen der Welt in den gehörnten Lustmolch MacPhisto, um zu unterstreichen: U2 sind gekommen, um zu bleiben.

Eine edel verpackte Retrospektive der drei ersten Alben in Deluxe-Editionen mit Unveröffentlichtem, BBC-Sessions, Live-Mitschnitten, Single-Edits, 12-Inch-Remixen und Club-Versionen folgt dem Weg der singenden Wanderprediger zu millionenschweren Rockikonen mit Weltverbesserungstendenz. Überwacht wurde die Neuauflage von U2-Gitarrist The Edge, der auch schon für die optimale Überspielung der Originalbänder des im vergangenen Jahr wiederveröffentlichten „The Joshua Tree“ verantwortlich zeichnete.

Nonkonformismus, Idealismus und christliche Gesinnung kennzeichnet das Frühwerk von U2. Dank des gewieften Managers Paul McGuinness unterzeichnet die Band im März 1980 einen gut dotierten Vertrag mit Island Records. Auch wenn die Zusammenarbeit mit einigen Hindernissen zustande kommt. Irgendetwas gefällt Firmenchef Chris Blackwell an den schüchternen irischen Jungs mit den zum Teil seltsamen Pseudonymen und den komischen Frisuren. Weit weniger überzeugend wirken diverse Demos sowie gleich mehrere Konzertpräsentationen vor Island-Executives. Prinzipiell will die Band in keine Schublade passen. Doch eines haben U2 schon entwickelt: einen ureigenen Stil. Bonos theatralische Vokalpassagen ergänzen sich optimal mit The Edges Gitarren-Kaskaden und der dominaten Rhythmus-Sektion von Schlagzeuger Larry Mullen Jr. und Bassist Adam Clayton. Zudem trog Blackwell sein Gespür für Starpotenzial nur selten. In den 15 Jahren vorher hatte der Musik-Enthusiast schon oft einen guten Riecher bewiesen und Rock-Legenden wie Traffic, Bob Marley, Jethro Tull, Roxy Music und King Crimson entdeckt.

Sieben Monate später liegt das Debüt „Boy“ (4) in den Regalen. Treffender Titel für ein Werk, das thematisch um Kindheit, Jugend und Reife kreist. Das Cover, das von Layouter Steve Averill entworfen wird, zeigt den minderjährigen Peter Rowan – jüngerer Bruder von Bonos Freund Guggi -, der übrigens noch auf vier weiteren U2-Covers zu sehen ist, in einer Pose, die vor allem in den sittenstrengen Vereinigten Staaten schnell den Vorwurf Kinderpornografie laut werden ließ. In den USA erscheint das Album mit den zehn von Produzent Steve Lillywhite innerhalb weniger Wochen im Sommer 1980 in den Dubliner Windmill Studios eingespielten Tracks vorsichtshalber mit den Konterfeis von U2. Noch ungelenk und unbehauen wirken Songs wie „Twilight“, „An Cat Dubh“, „Into The Heart“ und „Stories For Boys“, die sich zwar deutlich am New Wave orientieren, aber auch noch dem künstlerischen Status Quo der vergangenen Dekade Tribut zollen. Ideale Voraussetzung, um nicht nur eine, sondern gleich mehrere marktrelevante Zielgruppen zu erreichen. Auch wenn die Singles „A Day Without You“ und „I Will Follow“ das spätere Gespür für Ohrwürmer noch vermissen lassen.

Experimentieren, um sich zu entwickeln, lautete auch die Devise für das ein Jahr später erschienene „October“ (3) . Eine Strategie, die erstmals auch gute Verkäufe nach sich zieht, auch wenn die Produktion eine mit Hindernissen ist, weil Bono die fertigen Texte, die ihm gestohlen wurden, improvisieren muss. Dennoch schafft es das Album mit den abermals von Lillywhite in den Windmill Studios produzierten elf Songs auf Rang 11 in den UK-Alben-Charts. Die gute Platzierung begründet sich allerdings weniger am bis auf wenige Ausnahmen eher schwächelnden Material und der introvertierten Grundstimmung. Eindeutig honoriert eine wachsende Fanschar U2s Ruf als Konzert-Attraktion. Introvertiert und versponnen setzt sich die Band mit dem Thema Religion auseinander. Aus gutem Grund: Während der Aufnahmen verlassen Bono und The Edge die Band, um sich den strengen Regeln der Sekte „Shalom“ unterzuordnen. Doch besinnen sich beide und geben der Musik den Vorzug. Schon der Auftakt verheißt Sakrales: „Gloria… in te domine… Gloria… exaltate“ lautet der lateinische Vers im hymnischen Opener „Gloria“, der als Single gnadenlos floppt. Christliche Obertöne finden sich auch in „With A Shout (Jerusalem)“, „Stranger In A Strange Land“ sowie im vieldeutigen Titelsong, der möglicherweise aber auch auf die russische Revolution im Jahr 1917 anspielt.

Schon die heroische Vorab-Single „New Year’s Eve“, eine dem polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa gewidmete Ode, signalisiert: Hier bahnt sich Großes an. Tatsächlich bricht „War“ (5) im Februar 1983 den Bann. Pole Position in Großbritannien (das Album verweist Michael Jacksons Thriller von Platz 1), Nummer 12 in den USA. Ein Quantensprung für U2, die zum letzten Mal mit Steve Lillywhite arbeiten und sich erstmals betont politisch geben. Starken Songs wie „Seconds“, „Surrender“ und „Drowning Man“ verleihen filigrane Arrangements das Quäntchen Extraklasse, das es für den internationalen Durchbruch braucht. Auch wenn die zweite Single „Two Hearts Beat As One“ qualitativ abfällt. Außergewöhnlich filigran ist das von Bill Whelan produzierte „The Refugee“, das Brian Enos zukünftiges Wirken vorwegnimmt. Warum U2 den ultrastarken Auftakt „Sunday Bloody Sunday“ im strammen Militär-Rhythmus nicht als Single auskoppelt, bleibt allerdings ein Rätsel.