Unpathetisch poppig werden und weiterhin Schrottgrenze heißen – geht das?


Das Chateau Schrottgrenze ist ein betagtes Gemäuer. Der alte Kasten hat Menschen weinen und ausrasten gesehen, wilde Partys über sich ergehen lassen und steht trotzdem noch wie eine Eins: keine Würmerim Parkett, keine schimmligen Wände, ein wahrer Prachtbau, in dem man es sich gemütlich machen kann. Und deshalb bleibt auch sein Name, als Tribut an die Vergangenheit und Denkmal der Wandlungsfähigkeit. „Wir haben uns ziemlich verändert in den letzten zwölf Jahren“ sagt Sänger Alex Tsitsigias. „Aber wir sind ja immer noch wir, auch wenn wir unsere Schwerpunkte etwas verändert haben. Da hätte ein neuer Name wenig Sinn.“ Die Band hat in der Tat einen kurvenreichen Weg hinter sich. Das fünfte Album des ehemaligen Punk-Quartetts ist lupenreiner Pop, ohne große Pose, hyperverzerrte Gitarren, Riesenschnauze, erstaunlich ehrlich und echt. „So erstaunlich ist das nicht, man konnte diese Wandlung ein bißchen kommen sehen“, lacht Alex. „Unser letztes Album war ja schon kein Punk mehr, sondern eher das, was man heute lndierock nennt. Mit der Zeit haben sich unser musikalischer Horizont und das, was wir uns an den Instrumenten zutrauen,gewaltig verschoben. Wir waren immer auf derSuchenach dempassenden Sound. Für dieses Album haben wir ihn gefunden, glaube ich.“

Um den passenden Sound auch adäquat umzusetzen, wandte die Band sich an Tobias Levin, der schon Tocotronic, Kante und Surrogat produzierte. Eine gute Wahl, in jeder Hinsicht: „Tobias griff spontan und resolut in das Bandgefüge ein; er ermutigte uns, uns von alten Schemata zu trennen, die Instrumente zu tauschen. Das hat uns neu vitalisiert, neuen Schwung in unser betagtes, eingefahrenes Kollektiv gebracht.“

Tsitsigias selbst gab das Schlagzeug ganz auf und ist nun an der Gitarre ein Frontmann, der auch vorne steht. Die Gitarre bleibt weitestgehend unverzerrt, kein Instrument spielt sich in den Vordergrund, jeder kennt seinen Platz, und das Gesamtprodukt glänzt durch Zusammenspiel und Bescheidenheit. „Wir waren nie Fans von Stadionrock-Gehabe“, stellt Alex klar. „Ich war schon immer in meinem Konsumverhalten eher privatistisch eingestellt. Dasselbe gilt für meine Musik. Was mich am aktuellen Deutschpop stört, ist das Bedürfnis, jedem um den Hals zufallen. Man muß auch nicht alle vor den Kopfstoßen, aber wenn man sich und sein Konzept vor lauter Kumpelei vergißt, muß man doch merken, daßwasfalsch läuft.“

So geschah die letzte Renovierung des Chateau Schrottgrenze keineswegs durchs Schielen auf den aktuellsten Trend. Keine Großstadttapete, keine grellen Farben zieren die Wände. Boden und Gerüst sind so schlicht wie unaufdringlich. Dort, wo früher der Indierock der 90er und noch früher der gute alte Punk die Räume füllten, hört man heute den Pop der 90er über den Flur klingen. Musikalisch schauen die Smiths vorbei, textlich bleibt Platz für autobiographisch gefärbte Geschichten und abstrakte Träumerei. Daß dies gänzlich unpathetisch funktioniert, mag manchen aktuellen Freund großer Worte und Gesten vielleicht langweilen. Aber am Ende zählt die Zeitlosigkeit. Und dieser alte Bau hat nicht nur einen langen Atem, sondern auch eine Menge Standvermögen. www.schrottgrenze.de