Wahlexistenz Problemkind


Die Wiener Songwriter/Laptopkünstlerin Gustav treibt die Revolution voran - verklausuliert, aber ungebremst laut.

Vincent Damon Furnier heißt Alice Cooper, Brian Warner heißt Marilyn Manson und Eva Jantschitsch heißt Gustav. Anders als bei ihren Cross-Gender-Vorgängern stellt ihr Künstlername aber nicht primär Provokation, sondern vielmehr Rebellion dar. Nachdem der Wunsch von Evas Vater, seine Nachkommenschaft mit einem Sohn namens Gustav zu lancieren, nicht in Erfüllung ging und er mit seiner Tochter Eva als Erstgeborener zu leben hatte, gab diese ihrer Bühnenperson den Namen Gustav. Während die Chronologie ihrer feministischen Statements, die sich durch ihr ganzes Schaffen zieht, hier begann, endete hier der Einfluss ihres Privatlebens auf die Musik. „Das ist keine Künstlerin, die da auf der Bühne steht. Das ist immer eine Figur da oben“, sagt sie.

Vier Jahre hat sich die Kunstfigur Gustav Zeit gelassen, ihrem vielseitigen und viel gefeierten Elektropop-Debüt Rettet die Wale eine Fortsetzung zu schenken. Das hatte laut Gustav nicht nur pragmatische Gründe: „Zwar braucht so eine Produktion, in der man in Personalunion alles selber macht, entsprechend länger. Aber es -war schon auch eine Entscheidung, gewissen Verwertungsmechanismen nicht zu folgen und eben nicht automatisch auf Festivalbühnen stattzufinden, um den Wirkungskreis mutwillig zu erweitern.“ Dennoch war es Eva wichtig, „die Figur Gustav weiterzuentwickeln, zu sehen, wie lange ich noch die Obrigkeit über dieses Projekt halten kann, wie lange ich den Gustav noch kontrollieren kann.“ In der Tat ist die Figur in den vergangenen vier Jahren gereift: „Sie geht jetzt spielerischer um mit Situationen, nimmt nicht mehr alles so persönlich und begegnet ökonomischen Zwängen etwas milder.‘ Denn der wirtschaftlichen Maschinerie kann man sich einfach nicht mehr so dogmatisch entziehen, „wenn man sich entschließt, dass die Kunst jetzt mein Beruf ist. Dann spielen einfach verschiedene Ebenen eine Rolle.“

Ihre revolutionären Ansichten und der Wille, für diese „eine neue Poetik“ zu entwickeln, fallen auf ihrem neuen Album Verlass die Stadt indes nicht weniger radikal als bisher aus. „Vielleicht passiert das jetzt alles verklausulierter, aber trotz dieser vielen philosophischen Schwerpunkte in meinen Texten beziehe ich mich weiterhin auf konkrete Probleme, wie Schengen-Grenzen und deren Übertreter.“ Nach wie vor fühlt Gustav sich „dazu verpflichtet, das Problemkind zu sein, wenn ich Konflikte entdecke“. Dementsprechend entstehen auch ihre Songs: „Normalerweise ist immer zuerst das Thema da, und dann kommt irgendwann die musikalische Umsetzung, die Dramaturgie ergänzend dazu.“ Was dabei entsteht, sind, wenn auch nicht in der klassischen Akustikgitarren-Mundharmonika-Verpackung, klassische Protestsongs. Gustav sieht sich hier auch als Teil einer Tradition, nicht umsonst ist ihre eigentümliche Frickelpop-Version von Rage Against The Machines „Sleep Now In The Fire“ fester Bestandteil ihrer Livesets. „Das Projekt Gustav ist ja auch in einer Zeit entstanden, in der alles hochexplosiv war. Der Irakkrieg, die schwarzblau-orange Regierung in Österreich… Meine ganze Studienzeit war eigentlich sehr politisch geprägt. Daraus habe ich versucht, eine künstlerische Sprache zu entwerfen. Ich produziere entkoppelt, aber ich bin deswegen noch keine Außenseiterin.“

Die entkoppelte Produktion findet in Evas Wohnung im 7. Wiener Bezirk statt. Dort lebt sie in einer „Wohnung ohne Sonnenlicht“, von der aus sie einen gegenüberliegenden Bürokomplex beobachtet. Das ist ihre Inspiration: „Leute, die den ganzen Tag unter Neonlicht arbeiten.“ Und das in einem Viertel, das trotz grün-politischer Chefetage kaum anderes als „wenige, dazu noch künstlich hochgezogene Grünflächen und Kaffee-Latte-Cafes“ bietet. Dennoch möchte sie sich die Aufforderung in ihrem Albumtitel Verlass die Stadt nicht zu Herzen nehmen. Als kritische Kommentatorin ist es ihr wichtig, „zumindest physisch anwesend zu sein.“ Außerdem dürfe man den Titel ja nicht wörtlich nehmen und bitte schon gar nicht als Slogan verstehen. Vielmehr ist er als Bild gedacht für „eine Sehnsucht nach der Befreiung vor dem System, in dem wir leben.“ Wie und ob diese Befreiung funktionieren kann, möchte Gustav aber nicht beantworten. Als Künstlerin sieht sie es als ihre Aufgabe an, Fragen zu stellen, ohne die Antworten gleich mitzuliefern. „Das freie Leben, das bessere Leben für alle ist meine Utopie. Konkreter muss ich da auch nicht werden“, sagt sie. Schließlich trage jeder seine „eigene Idee eines glücklicheren Lebens ohnehin schon in sich.“

Zumindest ihr eigenes Leben hat sich im Laufe der Jahre schon etwas glücklicher gestaltet. Die Enttäuschung ihres Vaters, nicht zuerst einen Jungen erzeugt zu haben, ist längst überwunden. „Meine Eltern kommen oft zu meinen Konzerten, und mein Vater ist schon stolz auf mich“, sagt Eva Jantschitsch. Doch so ganz ohne Eigeninitiative ließ sich auch das nicht bewerkstelligen. „Mit dem Alter wird das Bewusstsein ja auch immer stärker, dass man seine Eltern miterzieht“, ergänzt sie triumphierend.

»>www.gustav. cuntstunt.net

>» albumkritik me 6/08