Was ist los mit den deutschen Gruppen?


Beaten Krautrocker nichts mehr?

In den Kreisen der Deutsch-Rock-Veranstalter macht sich Unlust bemerkbar, zahlreiche versuche, die „teutsehen“ Lieder- und Musikinterpreten aus ihrem provinziellen Dasein zu befreien und in das Bewußtsein der Städter zu katapultieren, mußten von den Veranstaltern als Minusgeschäfte abgebucht werden.

Den Anfang in diesem Verlustreigen machte 1973 die Agentur Lippmann & Rau. Damals schien für sie der Zeitpunkt gekommen, zu dem Deutschlands Rockgruppen als salonfähige Musiker in einem etablierten Konzertrahmen präsentiert werden konnten. Doch die Großstädter scheinen nicht viel von Rockmusik aus deutschen Landen zu halten. So wurde damals denn auch die Veranstaltung in der Höchster Jahrhunderthalle für Lippmann & Rau ein Zusatzgeschäft. Von nun an hieß ihr Motto: „Mer lasse de Finger davon.“ Andere, die diesem Motto nicht glauben wollten, zahlten für ihre Zuversicht aus eigener Tasche drauf.

Den vorerst letzten Versuch, deutsche Gruppen in einer etablierten Konzerthalle zu präsentieren, startete Anfang September der Außenseiter Wolfgang Zimmermann im Zirkus-Krone-Bau in München. Aber auch er mußte um seine Einlage bangen. Warum sind Deutsch-Rock-Festivals in den Großstädten so krankhaft unattraktiv?

5000 Plakate ohne Resonanz.

Das 8-Stunden-Meeting im Zirkus Krone war organisatorisch aufs beste vorbereitet. Musikalische Zugpferde wie ATLANTIS, KRAAN, SCORPIONS oder SAHARA waren gebucht. Zimmermann ließ 5000 Plakate in München und Umgebung verkleben.

Die Presse arbeitete, wenn auch zaghaft, an der Publizierung der Veranstaltung mit. Zimmermann: „Unsere Vorbereitungen waren optimal. Bei ähnlichen Großkonzerten garantiert der gleiche Plakatierungsaufwand immer volle Häuser, wenn es sich um Vertreter der englischamerikanischen Rockfront handelt. Auch der Kartenvorverkauf wurde rechtzeitig angekurbelt, so etwa fünf Wochen vorher.“ Aber das Konzert wurde ein Zusatzgeschäft. Offensichtlich lassen sich deutsche und englisch-amerikanische Festivals nicht so ohne weiteres miteinander vergleichen. Tatsache war, daß bis zwei Stunden vor Start der Veranstaltung erst circa 700 Tickets im Vorverkauf abgesetzt waren. Nur ein unverbesserlicher Optimist konnte noch annehmen, daß sich der 3500 Besucher fassende Zirkus mit Fans und Musikliebhabern des Deutsch-Rock füllen würde.

Als gegen 14 Uhr TUBALLS, eine Münchener Lokalband, mit viel Lampenfieber antrat, saßen vor der Bühne und in den Sitzreihen verteilt etwa 600 Aufrechte, die die Fahne des Krautrocks hochhielten. Mit diesen 600 ließ sich jedoch der mittlerweile in der Kasse entstandene Krater nicht füllen. Zimmermann gab sich gelassen: „Ich rechne damit, daß gegen Abend die Halle voller wird, wenn ATLANTIS und KRAAN auftreten.“ Aber das blieb ein liebevoll gehegter Wunschtraum, denn als das Festival gegen 24 Uhr mit einem sensationellen Gig von KRAAN ausklang, waren allenfalls weitere 700 Besucher erschienen. Walter Holzbaur, Manager von KRAAN, hatte eigene Gründe für das Ausbleiben der Fans. Er meinte: „Die deutschen Gruppen sind zu präsent. Man kann sie überall hören. KRAAN z.B. hat einen voll ausgebuchten September, aber das sind zu 90% Orte mit vierstelligen Postleitzahlen. Deutsch-Rock-Festivals spielen sich noch auf dem Lande ab. Hier kann der Veranstalter sicher sein, nicht draufzuzahlen, denn diese Feste sind eine Attraktion im eintönigen Dorfleben.“

Utopische Kosten

So ganz unrecht hatte Walter Holzbaur nicht, denn einen Tag später startete knapp 80 km entfernt ein Open Air Festival, das mit zivilen Eintrittspreisen genügend Leute anlockte, die dem Initiator einen schönen Gewinn bescherten. Im Gegensatz zu München: Die Preise, die hier verlangt wurden – Vorverkauf 18 DM, Abendkasse 22 DM, später reduziert auf 20 DM – wurden jeder englisch-amerikanischen Spitzenband gerecht. Dennoch waren diese Preise nicht durch großklotziges Profitdenken des Veranstalters verursacht, sondern sogar knapp kalkuliert. Allein die Hallenmiete verschlang knappe 10.000 DM. Solche Preise sind mörderisch für Impresarios, die Deutsch-Rock in bekannten Hallen vorstellen wollen. Auf dem Land ist sowas billiger. Die saure Wiese vom Bauer Hinterhuber bekommt man fast für ein Butterbrot. Da die Initiatoren in den Großstädten ihre Veranstaltungen nicht aus Nächstenliebe, oder um etwas für die ‚Musik-Scene‘ zu tun, aufziehen, sondern auch auf ihre Kosten kommen wollen, müssen sie kaufmännisch mit Soll und Haben operieren. Bei so hohen Anfangskosten wie Hallenmiete 10.000 DM, Ordner 4.000 DM, Gruppengagen 15.000 DM, Kosten für Plakat- und Kartendruck usw., kann man sich vorstellen, wie hoch die Kartenpreise angesetzt werden müssen, um wenigstens die Kosten hereinzubekommen. Das kaufmännische Denken hilft allerdings nichts und wird zum Va-Banque-Spiel, wenn die Besucher – wie in München – nicht mitspielen. Ein möglicher Grund: Drei Tage vorher fand in der Olympia-Stadt die Big Rock Show statt, zwei Tage später suchte ALICE COOPER die Münchener mit seinem Alptraum heim. Welcher Schüler- oder Lehrlingsgeldbeutel ist einem solchen Ansturm gewachsen? Investiert wird dann da, wo die größte Zugkraft herkommt. Meistens sind das Gruppen, die man nur selten hören und live sehen kann, im Gegensatz zu den deutschen Rockern, die einem nicht davonlaufen.

Keine Frage der Qualität

In diesem Zusammenhang spielt die musikalische Aussagekraft der Gruppen nur eine untergeordnete Rolle. Denn darin stehen heute viele Krautrocker den vor Jahren noch in den Himmel gehobenen ausländischen Gruppen nicht nach. ATLANTIS mit ihrem dröhnenden, stampfenden Rock, der in Bandbreite und Perfektion ein Aushängeschild der deutschen Szene ist, oder die SCORPIONS, die sich immer häufiger als perfekte Anheizerband für Festivals herauskristallisieren, und natürlich KRAAN, die sich innerhalb weniger Jahre mit ihrer faszinierend eigenständigen, melodiösen Musik profiliert haben, brauchen keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Unqualifizierte Musik „Marke Dorfanger“ ist also nicht der Grund für das Ausbleiben der zahlenden Gäste. In diesem Zusammenhang hört man oft den Begriff ‚Festivalmüdigkeit‘. Heute kann man Besucher eines 8-Stunden-Musik-Marathons nicht ausschließlich durch Musik fesseln. Bei deutschen Rock-Konzerten fehlt meist die Show, die flankierende Mischung aus Humor und nicht musikalischen Darbietungen. Zum Teil geht es bierernst zu, weil auch die Veranstalter ihren kulturellen Anspruch unters Volk jubeln. Zimmermann: „Ich möchte die Deutsch-Rock-Musik in München populär machen, denn in dieser Richtung ist hier noch nichts gelaufen.“ Ohne Zweifel sind solche oder ähnlich gelagerte Ansprüche lobenswert, doch nicht wenn Popularität und Attraktivität eines Festivals darunter leiden. Verpackt in eine Show, die Spaß macht, wird die Musikkultur nicht geringer.

Preise müssen fallen

Wenn Deutsch-Rock-Festivals in den Großstädten erfolgreich sein sollen, müssen aber auch die Preise fallen. Dazu sollten alle beitragen, Hallenvermieter eingeschlossen. Bei der derzeitigen Wirtschaftslage ist es verständlich, daß ein arbeitsloser Familienvater seinen Kindern das Taschengeld kürzt und andere Zuwendungen wegfallen müssen. Das trifft für viele Besucher von Rock-Festivals zu, die ihrerseits auch nicht genug verdienen – fehlende Lehr- und Arbeitsstellen für Jugendliche – um auf Unterstützung von zu Hause verzichten zu können. Am Münchener Beispiel wird klar, daß der Geldbeutel eines Jugendlichen mit drei Konzerten in einer Woche überstrapaziert ist. Ebenso klar scheint, daß erspartes Geld in eine Gruppe investiert wird, die vielleicht musikalisch schlechter ist, jedoch eine größere Anziehungskraft besitzt. Nicht unschuldig an dieser fehlenden Anziehungskraft sind die deutschen Rundfunkanstalten, die Gruppen aus deutschen Landen erst gar nicht frisch auf den Plattenteller legen. Obwohl heute die deutsche Rockmusik am Gesamtumsatz der Plattenindustrie nicht unerheblich beteiligt ist, weigern sich die Sender fast zwanghaft, regelmäßig Deutsch-Rock-Programme auszustrahlen. Ihr Argument: „Für uns nicht attraktiv genug.“ Es entsteht ein richtiger Teufelskreis, in dem der Deutsch-Rock trotz gelungener Musikalität zum Schweigen verurteilt bleibt. Anders ausgedrückt: Wer die größere Zugkraft besitzt, braucht sich um Zulauf nicht mehr zu sorgen. Daß dabei die Musik selbst nur noch eine zweitrangige Rolle spielt, versteht sich von selbst. Andererseits sind deutsche Gruppen als Support Act umjubelte Stars, „die es bringen“. Nur auf sich allein gestellt und im Verband ihrer Leidensgenossen locken sie in den Großstädten keinen hinter dem Ofen hervor. Bezeichnend fand ich den Satz eines Besuchers in München: „Deutsche Rock-Festivals sans’s fad.“ Uns würde Euer Standpunkt zu diesem Thema interessieren. Schreibt mal wieder. Jede Veröffentlichung wird mit einer Deutsch-Rock-LP belohnt.