Was steckt hinter diesem Vorhang?


die noch kurze Geschichte von Grinderman handelt davon,wie Nick Cave und drei Bad Seeds durch einen Zufall ein veritables Monster erschufen. Und wie sich dieses dann in die Improvisation und Klangforschung stürzte - fast so, als : schrieben wir 1985 und Blixa Bargeld wäre (noch) einer von ihnen

Fast zweieinhalb Jahrzehnte ist es her, dass sich der charismatische Sänger der australischen Düster-Artpunks Birthday Party auf eigene Beine stellte und unter seinem bürgerlichen Namen (na ja, eigentlich: Nicholas Edward Cave), im Rücken die Backingband Bad Seeds, zu einer der einflussreichsten Institutionen des Indierock wurde. Nick Cave & The Bad Seeds waren (und sind) nicht nur ein Sänger und seine Band, sondern ein klar definierter Sound, eine Haltung, in ihren besten Momenten ein Höchstmaß an Eindeutigkeit.

Nick Caves Hymnen und erschütternde Seufzer changierten musikalisch zwischen morbidem Chanson, lärmendem Blues und nihilistischem Seemannslied, seine Stimme pendelte sich mit den Jahren zwischen Frank Sinatra und Jacques Brei ein, und niemand nahm es ihm übel, als der Fürst der Finsternis auf seinem Album NO more sh all we part seine religiöse Erleuchtung zelebrierte. Nick Caves Karriere ist, trotz der wichtigen musikalische Rolle, die die Bad Seeds und unter ihnen vor allem Caves alter Freund Mick Harvey spielen, ein großer kreativer Egotrip. Umso überraschender, dass Cave nach 24 Jahren die Flucht zurück in eine demokratische Band antritt.

Grinderman steht nicht für die Ablösung oder gar Auflösung der Bad Seeds. Wenn alles nach Plan läuft, wird Nick Cave noch in diesem Jahr ein weiteres Kapitel der Bad Seeds aufschlagen. Grinderman ist auch kein Deckmäntelchen für ein weiteres Soloprojekt. Es ist ein Quartett von vier gleichberechtigten Musikern. Cave singt und spielt Gitarre, Warren Ellis tobt sich auf Geige, elektrischer Bouzouki und einem ganzen Arsenal weiterer Saiteninstrumente aus, Martyn P. Casey und Jim Sclavunos geben das rhythmische Gerüst.

Die vier Musiker haben nicht nur seit Jahren bei den Bad Seeds zusammen gespielt, die Gründung von Grinderman steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit einem speziellen Auftritt von Caves Stammband. Die Zeugung von Grinderman fand exakt am 16. Januar 2003 statt. Nick Cave lud zu einem Empfang in einem Londoner Variete namens Bush Hall, dessen verblichener Glanz und abgegriffener Stuck gut zur lasziven Extravaganz des Sängers passten. Mit einer abgespeckten Version der Bad Seeds wollte er einige Songs des kurz vor Veröffentlichung stehenden Albums nocturama vorstellen. Außer ihm gaben sich Ellis, Casey und Sclavunos die Ehre. Das Programm holperte, kein einziger Song saß. Cave musste mit der Band vor jedem Song die Akkorde durchsprechen, und manches Stück verreckte elendig. Und doch war da etwas, dass jeden einzelnen Besucher in seinen Bann zog. Ein mystischer Bund, der gar nichts mit den Songs selbst zu tun hatte, sondern für den Augenblick eher zur Desorientierung dieser Rumpfband beitrug.

Vier Jahre Später liegt nun das erste Album eben jener Besetzung vor, die damals in dieser Form zum ersten Mal zusammentrat. Grinderman hat sich von einer befruchteten musikalischen Eizelle zu einer existierenden Kreatur entwickelt. Die Musik hat sich kolossal verändert. Caves Stimme ist stellenweise nur noch ein Element in einem tosenden Ozean einander durchdringender Sounds. Grinderman klingt wie eine Rock-Band, bei der die Chemie der Ingredienzen des Rock außer Kontrolle geraten ist. An einem unfreundlichen Tag irgendwo zwischen Herbstund dem, was zuerst kaum einer Winter zu nennen wagte, fanden sich die vier Musiker zu einem Gespräch mit dem MUSIKEXPRESS in Köln ein. Mit ihren zerzausten Vollb’arten erinnerten sie an eine Horde bärbeißiger Trapper, die mit spürbarem Missbehagen in ihren teuren Zwirn geschlüpft sind. Doch sowie das Gespräch auf ihre Musik kam, leuchteten die Augen von Cave und Co.

Obwohl alle Mitglieder von Gnnderman bei den Bad Seeds mitspielen, klingt das Album in seiner Undurchdringlichkeit von Klängen und Intentionen doch eher wie eine Obersetzung von Hiles Davis‘ bitches BREWin den Rock-Kontext des dritten Jahrtausends.

nick cave: Durch solche Vergleiche fühlen wir uns verstanden. Wir wollten etwas machen, was wir in dieser Weise noch nicht gemacht haben. Da flössen viele unterschiedliche Ideen zusammen, die während eines langen Prozesses in eine Form gebracht wurden. -)

-» warren ellis: Wir wollten in dieser Kombination schon lange zusammen spielen. Wir machten ein paar Jams und trafen uns dann zu einer fünftägigen Session, in der wir einfach drauflosspielten. Es gab keine Songs oder dergleichen. Wir hatten einen ganzen Container von Instrumenten mit und improvisierten unentwegt. Das waren nicht nur Improvisationen überbestimmte Grooves oder Melodien, sondern vor allem Klangexperimente. Grinderman ist insofern mit bitches brew vergleichbar, als dass es viel mehr um den Prozess als um das Ergebnis ging.

Eine Textpassage in dem Song.. Go Teil The Woman ‚ klingt wie euer Programm. Da heißt es nämlich: „We are scientists, we do genetics, we leave religion to the fanatics „.

martyn P. CASEY: Haben wir das wirklich gesagt? ellis: Auch wir sind Fanatiker.

cave: Man kann es sicher so sehen. Wir haben eine Grenze überschritten und wollten herausfinden, was hinter dieser Grenze steckt. Dabei haben wir sicher an einem viel tieferen Punkt angesetzt, als wir das normalerweise mit den Bad Seeds tun.

ellis: Deshalb haben wir die Platte ja bewusst zu viert eingespielt. Mit den Bad Seeds wäre das undenkbar gewesen. Die Bad Seeds funktionieren auf ihre Weise wunderbar, aber da hat eben auch nur einer das Sagen. Für eine demokratische Band sind neun Musiker eindeutig zu viel. Auf der letzten CD mit den Bad Seeds waren wir sogar zu zwölft. Da will jeder etwas beitragen. Dabei haben schon wir vier die unterschiedlichsten Klangvorstellungen. Vielleicht hat es wirklich etwas mit einer intuitiven Genetik zu tun, aus diesen Ideen einen genuinen Sound zu gewinnen.

Ist Grinderman nun die Summe eurer Erfahrungen oder etwas Neues?

ELLIS: Es handelts sich immer um die Summe der Erfahrungen. Wenn man einmal als Künstler aufgebrochen ist, kann man niemals wieder von vorn anfangen. Ein Schriftsteller kann niemals die Bücher vergessen, die er geschrieben hat. Jeder von uns hat in diesem und vielen anderen Kontexten eine Menge geleistet. Warum sollten wir das verleugnen? Wir sind stolz darauf, und es ist ein Teil von uns. Vorzugeben, wir wären eine völlig neue Band, wäre höchst ungesund. Und das würde uns auch niemand abnehmen. Jeder kennt Nicks Stimme. Dass er allerdings auch Gitarre spielt, definiert nicht nur seine Rolle völlig anders, sondern mischt die Funktionen innerhalb der Band ganz und gar neu. cave: Für mich fühlt sich der Unterschied schon etwas grundlegender an. Bei den Bad Seeds haben wir Diktatur, bei Grinderman hingegen Demokratie. Es ist ja nicht so, dass man sich als absolutistischer Alleinherrscher immer nur auf der sicheren Seite weiß. Wenn die Bad Seeds ein schlechtes Album einspielen, bin ich allein dafür verantwortlich. Zum Glück ist die Grinderman-Platte gut geworden, aber hätten wir gepatzt, wäre es eben nicht meine alleinige Verantwortung gewesen. Zum ersten Mal in meiner Laufbahn kann ich mich einfach zurücklehnen und warten , was die anderen tun. Egal, ob im Interview, bei den Aufnahmen oder im Konzert. Das ist enorm befreiend, wenn es auch einige Zeit braucht, bis man sich in dieser Rolle zurechtfindet.

Wie kam es überhaupt zu dieser Band?

cave: Anfang 2003 gaben wir einen Showcase für nocturama. Für diesen kurzen Auftritt hätte es keinen Sinn gehabt, die ganze Band einzufliegen. Ich arbeite bei meinen Soloauftritten mit unterschiedlichen Musikern, aber bei dieser kurzen Show passierte etwas, das ich nicht so recht beschreiben konnte. Ich war selbst überrascht, ja geradezu verunsichert, denn da offenbarte sich eine unterschwellige Energie und Inbrunst, die völlig neue Perspektiven offenbarte. Ich wollte unbedingt herausfinden, was mich erwartet, wenn ich in diese Richtung weitergehe. ellis: Das soll nicht heißen, dass wir jetzt von allem wüssten, was hinter diesem Vorhang steckt. Das Grinderman-Album ist nur der erste Streich. Wir haben gerade erst angefangen, unsere Möglichkeiten auszuloten. Für mich nahmen die Klangvorstellungen zu Grinderman bei der Arbeit zu dem Soundtrack von Nicks Australowestern „The Proposition“ Gestalt an. Wir hatten an der Filmmusik gearbeitet, aber viele Ideen wurden verworfen. Weil sie in dem Film nicht gebraucht wurden. Das war das erste Mal, dass ich Musik nicht für mein eigenes Projekt oder die Bad Seeds gemacht hatte. Und plötzlich lag so vieles davon auf Halde. Das habe ich nicht ertragen. Also musste ich eine Band ins Leben rufen, mit der ich diese Sounds zum Leben erwecken kann. Es mag lustig erscheinen, dass ich das ausgerechnet mit den Musikern tat, mit denen ich ohnehin schon spiele. Aber das geht ja aus seiner jeweiligen Perspektive jedem von uns so. Es ist einfach eine Frage des Vertrauens. Vielleicht ist es am einfachsten, Neuland mit Menschen zu betreten, denen man blind vertraut.

Ein wichtiger Aspekt bei Grinderman ist der Sound. Die Band klingt wie ein einziges Instrument. Wie einer jener infernalen Klangerzeuger auf den Bildern von Hieronymus Bosch. Und die Summe mehrerer Klangquellen ergibt immer einen neuen Sound.

cave: Man kann den Klang massiv nennen. Ich selbst finde ihn eher zerbrechlich. Bei Grinderman ist das kein Widerspruch. Im Ohr des Hörers mag vieles eher zufällig klingen. Doch ein einziges Instrument mehr, und das ganze Gebäude wäre in sich zusammengebrochen. ELLIS: Dabei haben wir fast alles live aufgenommen. Es ist fast genauso geblieben, wie wir es gespielt haben. Lediglich am letzten Tag haben wir ein paar Schlagzeugs-Overdubs aufgenommen. cave: Wir wollten einfach auch ein paar neue Wege beschreiten. Von den Bad Seeds sind wir es gewohnt, dass alles genau ausgeschrieben und vorgegeben ist, bevor wir unseren Fuß ins Studio setzen. Dieses Halteseil hatten wir diesmal nicht. Manche Stücke mögen von der Struktur her an die Bad Seeds erinnern, aber die meisten sind viel linearer, prozessiver und grooviger.

Die Band erinnert mich als Ganzes an eine große Trommel. Welche Rolle spielte das Schlagzeug?

JIM sclavunos: Für mich fühlt sich die Band nicht wie eine große Trommel an. Eigentlich ist es wie immer: Ich bilde eine Einheit mit Martyn und reagiere auf die Aktionen der anderen. Unsere Funktion besteht darin, Nick und Warren Freiheit und Sicherheit zu geben. cave: Aber es war schon so, dass die Band sehr rhythmisch gearbeitet hat. Manchmal so sehr, dass es zu viel fürs Schlagzeug war. Den ersten Track zum Beispiel haben wir mit einem vollständigen Drumkit aufgenommen. Dann merkten wir aber, dass sich Band und Schlagzeug im Weg stehen. Daraufhin spielten wir den kompletten Song noch einmal mit Percussion ein. und siehe da, er funktionierte.

Wann kamen die Texte hinzu?

cave: Zunächst einmal ging es hierum die Musik. Bei den Bad Seeds fange ich stets mit den Texten an. Das ist ein recht langwieriger Prozess. Reine Schreibtischarbeit. Bei Grinderman habe ich irgendwann angefangen, über die Stücke Texte zu improvisieren. Später habe ich hie und da noch kleine Änderungen vorgenommen.

Was wird live bei Grinderman passieren ?

cave: Es wird einen kurzen Set geben. Wie bei jeder Band, die ihr erstes Album rausbringt. Wir sind Grinderman, eine Band, die bislang genau eine Platte gemacht hat. >» www.grinderman.com —