Wie die K-Pop-Industrie zeigt, dass virtuelle Konzerte bleiben werden


Am kommenden Sonntag spielt der K-Pop-Star Taemin von SHINee und SuperM bei der virtuellen Konzertreihe Beyond LIVE sein großes Abschiedskonzert, bevor er seinen Militärdienst antreten muss. Wie in vielen Dingen – im Guten wie im Schlechten – kann die westliche Musikwelt hier noch viel von den Koreanern lernen. Denn diese virtuellen Events haben das Potential, auch nach der Pandemie relevant zu bleiben.

Wer die großen Konzerte des K-Pop hierzulande wirklich live erleben will, muss früh aufstehen. Wenn der koreanische Sänger Taemin am kommenden Sonntag sein offizielles Abschiedskonzert spielt, bevor er zu seinem Militärdienst antreten muss, sollte das deutsche Publikum um acht Uhr morgens am Rechner oder Handy sitzen.

Das Streaming-Konzert, das in Seoul produziert wird, ist ein weiteres virtuelles Event der Reihe „Beyond LIVE“. Sie wurde 2020 in den ersten Monaten der Pandemie von der Produktionsfirma SM Entertainment ins Leben gerufen, in Kooperation mit dem südkoreanischen Tech-Giganten Naver, der den Videostreaming-Service V Live betreibt. Selbst, wer noch Berührungsängste mit der K-Pop-Welt hat, sollte an dieser Stelle dranbleiben: Die Koreaner zeigen mit Events dieser Art, dass Online-Konzerte durchaus das Potential haben, eine relevante Größe zu bleiben – auch in „normalen“ Zeiten, in denen Welttourneen und Konzerte mit Publikum wieder möglich sind.

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Dabei gab es natürlich auch Ansätze im westlichen Pop, den Fans in Pandemie-Zeiten Alternativen zu bieten. US-Rapper Travis Scott zertrampelte in der Größe eines Titanen das Videogame Fortnite, Nick Cave verkaufte einen geschmackvollen Konzertfilm als Live-Event, Dua Lipa sang und tanzte sich Revue-artig durch die Kulissen ihres „Studio 2054“ und Billie Eilish reizte die technischen visuellen Möglichkeiten konsequent aus. Im Kleineren gab es zahlreiche Soli-Streams für darbende Clubs, Künstler*innen, die auf ihren eigenen Socials spielten, die Reihe „United We Stream“ und von Marken ermöglichte Angebote wie die „SEATSounds Mittagspause“ und „O2 Behind the Beat“. Dabei waren vor allem die Konzerte in den ersten Wochen der Pandemie Gratis-Angebote. So recht traute sich erst niemand, klassisch Tickets zu verkaufen.

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Die Koreaner waren die ersten, die von Anfang an auf kostenpflichtige Shows setzten. Als Beyond LIVE am 26. April des vergangenen Jahres mit einem Konzert der Band SuperM startete, in der auch Taemin spielt, kostete ein normales Ticket rund 25 Euro. Gegen einen geringen Aufpreis konnte man zum Beispiel noch Kamera-Perspektiven buchen, die sich auf den jeweiligen Bandliebling – im Fan-Sprech Bias – konzentrieren. Ausgewählte Fans bekamen außerdem die Möglichkeit, per Videocall zugeschaltet zu werden und mit viel Glück sogar live eine Frage zu stellen. Der „Fan Service“, bei dem die Bands nach einigen Songs gemeinsam auf der Bühne miteinander reden und sich bedanken, wurde quergeschnitten mit einem eindrucksvollen Mosaik aus hunderten Videofenstern, in denen verkleidete und mit Schildern „bewaffnete“ Fans saßen. Die Konzert-Elemente waren ein Mix aus vorproduzierten Parts, die zeitversetzt ausgespielt wurden, aber auch tatsächlich live gefilmten und gestreamten Abschnitten.

Über einen Live-Chat mit allerlei Spielereien und über eingeblendete Fan-Gesichter schaffte es Beyond LIVE, den Community-Spirit der K-Pop-Fans in die Show zu überführen

Was man diesen mit allerlei Augmented-Reality- und Videoeffekten befeuerten Shows dabei anmerkte, war vor allem eines: Es war kein Ersatz-Produkt. Kein Trostpflaster für ausbleibende Tourneen. Es war ein Konzept, das zumindest im K-Pop auch nach der Pandemie tragen könnte. Was nicht nur an der visuellen Umsetzung lag, oder an der Tatsache, dass K-Pop seit jeher eine starke optische Komponente hat und von Natur aus mehr Bewegung bietet als eine klassische Rockband. Nein, entscheidend war vor allem die Interaktion.

Über einen Live-Chat mit allerlei Spielereien und eben über die eingeblendeten Fan-Gesichter schaffte es Beyond LIVE, den Community Spirit der K-Pop-Fans in die Show zu überführen. Man schaute nicht einfach ein Konzert, man war Teil davon. Man erlebte ein Event – und war nicht bloß Zuschauerin oder Zuschauer. Mit den Interviewparts und allem Drum und Dran dauerten diese Konzerte im Schnitt zwei bis zweieinhalb Stunden – oft standen die Bandmitglieder dann noch eine weitere halbe Stunde für Fragen der Fans auf der Bühne zur Verfügung. Neben der Beyond LIVE-Reihe spielten auch BTS und Blackpink – die weltweit erfolgreichsten K-Pop-Acts zur Zeit – eigene Shows. Blackpink verkauften dafür 280.000 Tickets für im Schnitt 25 Euro, BTS sagenhafte 993.000 Tickets, deren Preise zwischen 36 und 72 Euro lagen.

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Taemin, der bei SM Entertainment unter Vertrag steht und neben seiner sehr erfolgreichen Solokarriere in den Bands SuperM und SHINee spielt, ist bei Beyond LIVE inzwischen Profi. Er spielte nicht nur die Premiere des Formats mit SuperM, das immerhin nach offiziellen Angaben 75.000 Tickets verkaufte. Taemin stand außerdem beim großen kostenfreien Jahres-Event „SMTOWN LIVE Culture Humanity“ auf der Bühne, das rund 36 Millionen Fans sahen. Und er spielte im April die Comeback-Show seiner Band SHINee. Hier entstand eine sehr spannende Kurzdoku des „Wall Street Journals“, in der auch die Macher von Beyond LIVE zu Wort kommen.

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In diesem Film wird gut deutlich, auf was es bei diesen Shows ankommt: Man sieht ein Konzert, das man so nicht live auf eine Bühne bringen könnte. Man holt die online perfekt vernetzte und hochgradig aktive Community in das Format und bietet Möglichkeiten der Interaktion. Und man eröffnet über die entsprechende Plattform einen weltweiten Zugang. Ein nicht gerade unwichtiger Punkt: Wer einmal versucht hat in den vergangenen Jahren, für NCT, Twice oder vor allem für Blackpink oder BTS Tickets zu kaufen, der weiß, dass diese Acts gar nicht so viele Konzerte spielen können, wie sie müssten, um alle Fans glücklich zu machen. Vor allem deshalb werden diese Formate auch in Zukunft relevant bleiben – vermutlich als Hybrid-Veranstaltungen mit exklusivem Publikum, das dann eine Mischung aus Konzert- und abendfüllender TV-Produktion sieht.

Selbst die südkoreanische Regierung sieht das Potential und fördert es generös

Dass die Big Player des K-Pop-Geschäfts an die Zukunft dieser Konzerte glauben, ist jedenfalls klar erkennbar: Im Januar verkündete die Produktionsfirma hinter BTS, Big Hit Entertainment, dass sie mit Konkurrent Naver kooperieren werde, und man die Big-Hit-Fan-Community-und-Streaming-Website Weverse mit dem Service von V Live zusammenführen will – der Deal kam zustande, weil Naver rund 371 Millionen Dollar in den Big-Hit-Ableger beNX investierte, der Weverse betreibt. Selbst die südkoreanische Regierung sieht das Potential und fördert es generös: Man wolle rund 17 Millionen Dollar investieren, um eine für virtuelle Konzerte nutzbare High-Tech-Stage zu bauen, die dann auch die kleineren Produktionsfirmen nutzen könnten.

Aber mal ganz abgesehen von der Business- und Technik-Seite: Die „Never Gonna Dance Again“-Show von Taemin bei Beyond LIVE am Sonntag kann man sich auch ohne dieses Wissen gut anschauen, denn Taemin ist aktuell einer der spannendsten K-Pop-Artists – mit seiner androgynen Erscheinung, seiner tollen Stimme, seinem eindrucksvollen Körpergefühl und seinen Songs, die zum Beispiel auch Fans von Moses Sumney, Bruno Mars, Kylie Minogue oder Madonna gefallen dürften. Tickets und Infos zur Show am 2. Mai gibt es hier.

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