Wo bitte geht’s zum Publikum?


Schluß mit den Schnulzen, den Simmel-Epen, dem durchgeistigten Autorenfilm - jetzt werden Komödien gemacht! Populäres Kino, wie es hierzulande noch keine Tradition hat, soll jetzt auf bundesdeutsche Leinwände projiziert werden. Neue deutsche Regisseure wollen lieber die Rocker lachen sehen, anstatt von der Kritik hofiert zu werden.

Was kann passieren, wenn man nachts im Pyjama mal schnell vor der Haustür Zigaretten ziehen will? Man könnte Schwierigkeiten mit dem Markstück haben, in Wut geraten, versehentlich ein fremdes Autofenster einschlagen, einer Polizeistreife auffallen, auf der Flucht vor den Beamten in das Zimmer einer verheirateten jungen Dame geraten, sich natürlich – in ihrem Kleiderschrank verstecken, wo ein zweiter Mann im Pyjama den ersten Mann im Pyjama entdecken könnte. Die herbeigerufene Polizei würde nun den zweiten Mann im Pyjama mit dem ersten verwechseln, ihm Handschellen anlegen, auf die Wache schleppen … und so weiter.

„Nicht darüber lachen, daß sich jemand ein Bein bricht, sondern darüber lachen, daß jemand sich selber in eine Situation manövriert, in der er sich zwangsläufig ein Bein brechen muß“ das ist für den 37jährigen Filmemacher Hartmann Schmiege das Rezept seiner Komik. Schmiege, der seit ein paar Tagen seinen (in Co-Regie mit Christian Rateuke hergestellten) Debütfilm „Der Mann im Pyjama“ im Kino hat, weiß:

„Komödie ist immer auch Kritik am Bestehenden.“

Mit seinem vorzüglichen, ebenso sympathischen wie verrückten Lichtspiel will das Regie-Duo allerdings nicht nur eine neue Lebensphilosophie illustrieren, sondern insbesondere auch Kritik an der bestehenden Filmsituation in der Bundesrepublik üben. Mehr noch: Vormachen, wie man näher an das große Kinopublikum kommt. „die Leute wollen unterhalten werden“, sagen die jungen Filmemacher. „Uns ist eine Horde lachender Rocker tausendmal wichtiger als irgendeine positive Kritik.“

Deutliche Worte; ein neuer Zungenschlag der deutschen Filmemacher?

Jahrelang gab es im deutschen Film tatsächlich nur zwei Abteilungen: Opas Simmel-Epen, sein Schnulzen-Kino, die Schulmädchen-Reports und andererseits den superintelligenten Autoren-Regiefilm mit seinen neurotischen Kunstfiguren.

Daß in den Werken der zweiten Kategorie mitunter das wirkliche Leben auf der Strecke blieb, daß Absichtserklärungen der Regisseure und Interpretationskünste der „gehobenen“ Filmkritik die lebendigen Geschichten ersetzen, wurde von den betreffenden Filmemachern nur allzu gern übersehen. Warum? Ihre Ansprechpartner waren nicht die Kinogänger, sondern, im endlosen Kampf um die Förderungsgelder, die Päpste der verschiedenen Gremien.

Kein Wunder, daß sich an der Basis der Filmfreunde Unmut breitmacht, sich die Regisseure „solider“ Kino-Filme als der „allerjüngste Jungfilm“ empfinden und die ersten Ergebnisse ihres Unmuts bereits in den deutschen Filmtheatern zu sehen sind. Die Devise heißt: Populäres Kino, wie es in Deutschland noch keine Tradition hat.

Die ersten Vorläufer im Sinne dieses neu erwachten Unterhaltungs-Bedürfnisses waren Streifen wie Adolf Winkelmanns LKW-Odyssee. „Die Abfahrer“ aus Düsseldorf oder Marius Müller-Westernhagens Amoklauf gegen den Rest der Welt. Die Macher dieser Streifen kommen sowohl aus den Reihen der ehemaligen Experimentalfilm-Szene (wie Winkelmann) als auch vom Fernsehen (wie der „Theo“-Regisseur Peter F. Bringmann) oder direkt von den Hochschulen. Übereinstimmend setzen sie auf das Unterhaltungsbedürfnis der Kinogänger, auf die Lust am Erzählen lebensnaher Geschichten, auf die finanzielle und handwerkliche Kooperation mit dem Fernsehen und glauben, den von des Gedankens Blässe angekränkelten Kunstfiguren der Herzogs, Syberbergs, Kluges solide Identifikationsfiguren entgegensetzen zu müssen.

Ob Theo, der Mann im Pyjama und ihre weiteren Mitstreiter vom neuesten deutschen Kino wirklich die Fackelträger einer neuen Kino-Generation darstellen, wird sich spätestens im Frühjahr zeigen, wenn die weiteren Jung-Lichtspiele – die teilweise bis zum diesjährigen Berlinale-Temin im Februar zurückgehalten werden – ins Kino kommen: „Das Casanova-Projekt“ der Titanic-Leute zum Beispiel, Manfred Stelzers „Perle der Karibik“ (die Geschichte eines Spießers, dem ein Eheinstitut eine Frau aus der Karibik beschert), die autobiographisch-selbstkritische Ruhrgebietskomödie „Herzlichen Glückwunsch“, in der die Spielfilm-Debütanten Wolfgang Quest und Axel Voigt ihre eigenen kinomatographischen Gehversuche persiflieren, und der zweite Film vom Christian Rateuke (diesmal gemeinsam mit Stefan Lukschy inszeniert), „Auf Wiedersehen, Herr Doktor“.

Es fällt auf, daß das Thema Film im Film bei allzu vielen Jung-Regisseuren äußerst beliebt ist und mag ein Indiz dafür sein, daß ein Teil der Filmemacher eben doch noch nicht so ganz beim angepeilten großen Publikum, sondern viele eher noch bei sich selbst zu finden ist. Ob die Münchner Filmkomparsen den Aufstand proben (wie kürzlich in Peer Rabens „Heute spielen wir den Boß“), ob der verrückte Alfred Edel „Das Casanova-Projekt“ plant oder sich die Filmemacher aus dem Ruhrgebiet mit den eigenen, selbst formulierten, aber uneinlösbaren Ansprüchen auf komische Weise herumschlagen – häufig umweht ein Hauch von insiderischer Selbstdarstellung die Newcomer-Projekte.

Natürlich heißt das alles nicht, daß im neuesten deutschen Film alles ganz anders gemacht wird als es die Veteranen des Kinos taten. Im Gegenteil: Christian Rateuke und Hartmann Schmiege sagen zum Beispiel, daß sie von Alfred Hitchcock, Charles Chaplin und Billy Wilder „unheimlich viel gelernt haben“: Wir mögen das amerikanische Kino besonders gerade was Komödien angeht. Der amerikanische Film ist ganz direktes, physisches Kino, in dem sie die Personen erklären aus ihren Situationen, aus ihrem Handeln; nicht aus dem, was sie denken.“

So endet, um diese Verwandtschaft zu demonstrieren, der Rateuke/ Schmiege-Film mit einer kleinen Hommage an den großen Hitchcock – dem Sprung des „Mann im Pyjama“ auf den fahrenden Zug, ins Bett des Schlafwagens und der symbolhaften Fahrt in den Tunnel – genau so, wie es jeder Cineast aus „North By Northwest“ in bester Erinnerung hat.