Große Band, kleine Schritte


Keane vertragen sich wieder. Und sie trauen sich mehr zu. Beim Texten, an antiquierten Synthesizern und generell darin, auch mal einen ungewöhnlichen Ton zuzulassen.

Keane – ein Streitfall. Sie sind selbst unter Verfechtern der maximal verwässerten Indielehre verpönt wegen ihrer Glätte und Weinerlichkeit. Und sie sind mit zwei Alben seit 2004 in Großbritannien trotzdem bzw. eben gerade deshalb locker an allen anderen vorbeigezogen. Nur an Coldplay und Snow Patrol nicht. Das Trio hat einen Status erreicht, der Schwindelgefühle hervorrufen kann. Sänger Tom Chaplin landete dann auch für kurze Zeit in einer Entzugsklinik, im Sommer 2006. Die Gerüchte, dass er, Keyboarder und Songschreiber Tim Rice-Oxley und Schlagzeuger Richard Hughes nicht mehr miteinander klarkämen, ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Und waren wohl auch mehr als Gerüchte.

Doch heute: alles vorbei und vergessen. Tom Chaplin und Richard Hughes strahlen Zufriedenheit aus – und sie tun das in Berlin. Sie und Tim Rice-Oxley sind in der deutschen Hauptstadt, um hier ihrem neuen, dem dritten Album den letzten Schliff zu geben. Mit perfect symmetry riskieren Keane mal was und flüchten aus der bequemen Ecke, wie sie finden.

Worin unterscheidet sich euer drittes Album am wesentlichsten von euren bisherigen?

richard hughes: Bisher drehten sich unsere Songs nur um Persönliches. Dieses Mal schauen wir über den Tellerrand und stellen uns dem, was in der Welt da draußen so los ist. Der Song „The Lovers Are Losing“ mag oberflächlich wie ein gewöhnliches Liebeslied erscheinen, doch tatsächlich verbirgt sich dahinter eine philosophische Betrachtung. Die Träume der späten Sechziger sind verschwunden, die Schlacht ist verloren. Der Mann da oben, der große Geldgeber, hat sich gegen die breite Masse durchgesetzt. Es regiert zügelloser Kapitalismus, der schnöde Mammon steht über allen Dingen. Wir haben verloren. Wir, das sind die Liebenden, die an das Gute im Menschen glauben.

Ob die Leute etwas da von mitbekommen? Der Song hört sich doch wie ein typisches radio- und massentaugliches Keane-Stück an.

tom chaplin: Wenn wir live auftreten, spüren wir rückhaltlose Unterstützung. Fans hören da schon genau hin. Sie entwickeln eine tiefe Beziehung zu den Songs und dringen bis zum Kern vor. Genau das ist es, was uns in den Augen der Kritiker so suspekt macht. Kritiker teilen ganz schön aus, was uns angeht. Aber wenn man oben auf der Bühne steht und diese intensive Zuneigung spürt, ist das alles egal.

Wie sieht es innerhalb der Band aus? Könnt ihr euch wieder in die Augen sehen?

hughes: Ich glaube schon, (schaut schmunzelnd zu Chaplin rüber) Gerade habe ich gelesen, dass sich Wolfmother aufgelöst haben. Wegen unüberwindbarer Meinungsunterschiede, wie es heißt. Ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es zwischen mir und Tom und Tim niemals unüberwindbare Meinungsunterschiede geben wird. Es ist nur so: Wenn man drei Jahre am Stück auf Tournee ist und zwischendurch auch noch eine neue Platte macht, dreht man früher oder später durch. Man hat keine Bewegungsfreiheit, fängt an zu saufen und sagt sich mal kräftig die Meinung. Als Tom aus der Entzugsklinik kam und wir wieder auf Tour gingen, war alles anders. Plötzlich machte das, was vorher so genervt hatte, nur noch Spaß. Diese Begeisterung hat sich auf das neue Album übertragen.

In welcher Weise?

chaplin: Es ging darum, die Kategorien, die sich vorher verfestigt hatten, zu hinterfragen und etwas Neues an ihre Stelle zu setzen. Wir haben etwas riskiert, Gitarren, Perkussion und Chöre eingesetzt. Tim sammelt leidenschaftlich gerne Synthesizer, auf einigen davon spielt er jetzt auch auf der Platte. Jon Brion (Produzent u.a. von Aimee Mann, Kanye West und des kommenden Dido-Albums – Anm. d. Red.) und Stuart Price (Musiker u.a. bei Zoot Woman, Produzent, Remixer und Co-Autor u.a. von Madonna und aktuell auch von The Killers -Anm. d. Red.) haben ein paar Songs produziert und uns darin bestärkt. Stuart sagte: Macht einfach, und wenn es sich für euch geschmacklos und furchtbar anhört, lasst das Stück trotzdem auf der Platte.

Welchen Anteil hatte Berlin an der Platte?

chaplin: Einen großen. Berlin vermittelt ein besonderes Gefühl und verfügt über eigenartige Schwingungen. Es gibt schmutzige Ecken und ganz moderne, Ost und West, relativ wenige Schlipsträger. Man kann gut ausgehen. Die Atmosphäre hat die Aufnahmen ohne Frage beeinflusst. Die Stadt mag Gestalten anziehen, die abgewrackter und schriller sind als anderswo, aber wir haben uns wohlgefühlt. >»www.keanemusic.com >» albumkritik seite 86