Hurts und die furchtbaren Jahre in der Arbeitslosigkeit


Vor 18 Monaten saßen Theo Hutchcraft und Adam Anderson in einem Kellerloch und träumten davon, Popstars zu werden. Dann schrieben sie "Wonderful Life".

 

Herr Hutchcraft, Herr Anderson, warum findet man im Internet so wenig über Hurts?

Theo Hutchcraft: Das ist ja das Tolle: Man kann uns kaum googeln. Man findet eine Zusammenfassung des Films „Hurt Locker“ …
Adam Anderson: …und stolpert darüber, dass Hurts auf schwedisch „kleiner Tisch“ bedeutet.

Verraten Sie uns dennoch drei Dinge, die man nicht über Hurts ergoogeln kann?

AA: Mein Vater spielte Banjo für die Queen.TH: Unsere Plattenfirma bekam den Zuschlag, weil sie uns zwei Tickets zum Eurovision Song Contest besorgte.

Mehr wollten Sie nicht?

TH: Doch! Einen Kamm, einen Regenschirm…

AA: …und eine Karte für Manchester United.

Sie haben angeblich einen der höchstdotierten Verträge der letzten Jahre unterschrieben.

TH: Dazu kann ich nichts sagen.

Auch sonst geben Sie sich eher schweigsam, keine stündlichen Twitter-Updates, kein Blog auf MySpace. Dabei gehören Sie rein altersmäßig doch der Generation Facebook an.

TH: Aber nur als Privatpersonen. In der Welt der Popmusik geben heute die meisten Kollegen für meinen Geschmack viel zu viel von sich preis.

AA: Wer interessiert sich schon dafür, was wir frühstücken, wann wir aufs Klo gehen, wann ich mit meiner Mum telefoniere?

TH: Wenn ich mich für eine Band interessiere, dann für deren Musik, eventuell noch für die Videos, mehr will ich gar nicht wissen. In gewisser Weise raubt einem zu viel Information auch den Glauben an eine Band. Ein großer Künstler wie Jacko war immer unnahbar, weit weg, geradezu überirdisch. Das fasziniert die Menschen.

AA: Lady Gaga ist eine der ganz wenigen Künstler, die diese Unberührbarkeit eines klassischen Popstars heute noch bieten. Aber genau darum geht es doch in der Popmusik: Um Unerreichbares, um Traumwelten, um Sehnsüchte. Deshalb kaufen sich Fans auch T-Shirts, Bettwäsche und Poster ihrer Stars: Weil sie Teil einer Welt werden wollen.

TH: Und diese Magie geht verloren, wenn man jeden Furz über einen Künstler weiß. In gewisser Weise gehört das auch zur Verantwortung eines Musikers, den Fans die Träume nicht zu zerstören. In den Nullerjahren war Pop teilweise zu greifbar, weswegen es irgendwann gar keine großen Popstars mehr gab.

Haben Sie sich deshalb von Anfang an nur in Anzügen und distanzierter Pose auf die Bühne gestellt?

TH: In gewisser Weise schon. Wenn man unsere Art von Musik macht und über solch schwere Gefühle singt, kann man das nicht lustig darbieten. Man kann es nur ernsthaft und klassisch inszenieren, alles andere schadet der Musik. AA: Außerdem besitzen wir gar keine anderen Klamotten.

Sie tragen nach wie vor die Anzüge, die Sie vor 18 Monaten anhatten, wenn Sie beim Sozialamt Ihre Arbeitslosenschecks abholten?

TH: Durchaus. Wissen Sie: Wenn man wie wir ein paar Jahre lang von der Stütze lebt, ist ein Anzug das einzige Kleidungsstück, das einem den letzten Rest Würde bewahrt. Anfangs dachte ich, die Anzüge passen so schön zum 80er-Synthie-Pop. Dann fiel mir jedoch auf, dass Sie dafür eigentlich zu jung sind.

TH: Natürlich. Und es ist auch ziemlich ärgerlich, dass wir immer in diese Achtziger-Schublade gesteckt werden. Klar: Wir mögen Depeche Mode, Tears For Fears, Bowie, Japan. Aber: Was uns viel mehr inspirierte als die Achtziger waren die großen Movie-Soundtracks der Neunziger: „Robin Hood“ von Bryan Adams, „Bodyguard“ von Whitney Houston, das ganz große Kitsch-Kino, damit sind wir groß geworden.

AA: Und mit Dance Music …TH: … Oasis …

AA: … Take That.

TH: Wenn uns irgendetwas beeinflusst hat, dann die Neunziger. Auch im Glauben daran, dass man nicht mehr braucht als einen Laptop, ein Keyboard und ein Mikrofon.

AA: Oasis waren der Grund, warum ich überhaupt Musik machen wollte. Ein paar Lads, die nichts hatten außer einem überzogenen Ego – und den Anspruch, die Welt zu erobern.

TH: Uns war von Anfang an klar, dass unsere Musik groß werden wird, groß werden muss – Widescreen. Etwas, dass dich wegbläst. Mächtig genug, um von unserem kleinen, miserablen Leben abzulenken.

Wie lange waren Sie arbeitslos, bevor es mit Hurts losging?

AA: Ziemlich genau drei Jahre. Es war furchtbar. Ich kam mir so nutzlos vor. Man wacht auf und weiß nicht, wofür. Man steht auf, schaltet den Fernseher an, das Gehirn ab. Oder geht ins Studio und arbeitet an Songs, die nie jemand hört.

Kein schöner Anblick für Eltern.

AA: Der Horror.

TH: Deshalb habe ich auch Ingenieurswesen und Akustik studiert. Ich wäre irgendwann ein langweiliger Nerd geworden, wenn mir Adam nicht über den Weg gelaufen wäre.

So geschehen auf einem Parkplatz vor einem Club in Manchester.

TH: Es war vier Uhr morgens und unsere Freunde waren gerade dabei, sich die Schädel einzuschlagen. Ein klassischer Abend: Zu viel zu trinken, ein mieser Club namens „42nd Street“, furchtbare Frauen, es musste so enden.

AA: Wir standen etwas abseits, schauten uns an und wussten nicht, was jetzt gleich passiert: Entweder wir schlagen uns, wie es unsere Freunde von uns erwarten…

TH: … oder wir trinken noch ein letztes Bier. Wir entschieden uns für das Bier und fingen an, über Musik zu reden. Unsere Freunde prügelten sich noch ein wenig, dann zogen sie ab, wir blieben sitzen und entschieden in jener Nacht, dass wir eine Popband gründen, die die Welt erobern wird. Wir waren sehr betrunken.

AA: Am nächsten Tag emailte Theo mir dann tatsächlich und fragte, wann wir uns denn nun treffen, um Musik zu machen. Da wusste ich: Der Kerl meint es ernst. Natürlich wusste keiner mehr, was der eigentliche Plan war.

Die erste Zeit spielten Sie dann gemeinsam in einer Band, die sich später wegen mangelnder Perspektive auflöste.

AA: Wir waren nicht unerfolgreich, aber wir wussten wirklich nicht, was daraus werden soll. Also lösten wir die Band auf – was arbeitslos sein noch schlimmer macht: Du hast nicht einmal mehr deine mäßig erfolgreiche Band, die dich über den Tag rettet.

TH: Wir trafen uns am selben Nachmittag und entschieden, es von nun an zu zweit zu versuchen. Erstaunlicherweise führte die Ausweglosigkeit der Situation dazu, dass wir plötzlich genau wussten, wie wir unseren Weltschmerz musikalisch umsetzen würden. Groß, theatralisch, bombastisch. Leider hatten wir keine Ahnung, wie man solche Musik an einem Laptop schreiben kann. Das mussten wir erst lernen.

AA: Dazu mieteten wir uns einen fensterlosen Kellerraum, hängten die Wände voller nackter Mädchen, verkabelten Midi-Keyboard und Mikrofon mit dem Laptop und begannen, die Musik Spur um Spur zu arrangieren.

TH: Es war furchtbar: In den Räumen über uns war ein Street-Dance-Studio untergebracht. Wir mussten ständig R. Kelly ertragen, während wir an den Stücken feilten. Selbst als wir den Plattenvertrag in der Tasche hatten, kauften wir keine Geräte hinzu, keine tollen Retro-Synthesizer, nichts. Man braucht das heute nicht mehr. In meinem Kopf sah ich immer die ganzen Musiker, die jemand wie Phil Spector zur Verfügung hatte, um seine Stücke groß klingen zu lassen. Wir hingegen saßen zu zweit vor einem 15-Zoll-Monitor und wollten trotzdem grand klingen. Das war die größte Herausforderung.

TH: Dann schrieben wir „Wonderful Life“: Wir saßen in unserem Kellerloch und wussten, dass dies unser Ticket nach Draußen sein wird.

AA: Allerdings hatten wir keine Ahnung, wie wir dieses Ticket einlösen könnten: Das Stück lebte im Laptop. Wir hatten ja keine Möglichkeit, es live vorzuspielen. Deshalb entschieden wir uns, ein Video für YouTube zu drehen.