„Das Ende von Musik 1.0“: Medienplayer Winamp wird eingestellt


Nach über 16 Jahren erscheint die letzte Version des Vorläufers von iTunes und Co.

Es waren einfache Zeiten: Mitte der 1990er-Jahre kam Cola noch aus Dosen, die Nachrichten aus der Zeitung und Musik von CD. Die vollständig vernetzte Welt mit Smartphones, sozialen Netzwerken und Clouddiensten lag in ferner Zukunft. Und doch war es eine Zeit des Aufbruchs: Die Entwicklung der MP3 sollte die Zukunft der digitalen Mediennutzung und damit ganze Wirtschaftszweige maßgeblich verändern. Die Entwickler des Audioplayers Winamp waren unter den Ersten, die diese Entwicklung erkannt haben. Nun wird das Projekt nach mehr als 16 Jahren eingestellt.

Die Geburtsstunde der digitalen Musikbibliothek

Am 21. April 1997 veröffentlichten die ehemaligen Studenten der Universität Utah, Justin Frankel und Dmitry Boldyrev, die erste Version ihres Audioplayers Winamp. Ihre Zielgruppe: Musikbegeisterte mit leichtem Hang zum Techniknerd. Dank des neuen Kompressionsverfahrens MP3 konnte Musik nun digitalisiert werden, ohne die Festplatte mit riesigen Dateien zu verstopfen – eine MP3 benötigte nur noch den Bruchteil des Speicherplatzes einer unkomprimierten Datei. Bald schon wurden sogenannte Audioripper, Software die CDs in MP3 verwandeln, immer beliebter. Damit wurde die Digitalisierung neu gekaufter Alben – gerne auch die der Freunde – auch für Computerneulinge zum Kinderspiel. Die Musikbibliotheken auf den Rechnern technikaffiner Teens und Twens der 90er wuchsen rasant.

Die Urversion des Winamp, die ihre Entwickler als Freeware für Windows verschenkten, bestand aus nicht mehr als einer Menüleiste, über die einzelne Songs geladen und abgespielt werden konnten. Doch schon mit der im Mai 1997 veröffentlichen Version 0.92 präsentierte sich Winamp mit neuer Optik, die zum Markenzeichen werden sollte: Das dunkel hinterlegte Fenster zeigte nun Titelnamen und Spielzeit in leuchtend grünem LED-Design, einen Lautstärkeregler und Steuerknöpfe mit 3D-Effekt. Doch das Wichtigste: Winamp konnte nun mit mehreren Dateien umgehen. Es konnten beliebig viele Dateien in die Playlist geladen, Songs übersprungen oder geshuffelt werden. Winamp war nun ein vollwertiger Ersatz für den CD-Player. Und noch mehr.

„Winamp, it really whips the llama’s ass“

Dank Winamp kam gegen Ende der 90er die Musik auf WG-Parties meist nur noch aus dem Computer. Es entbrannten erbitterte Streits darüber, welche Songs als nächstes in der Playlist stehen sollten. Die Diskussion am Computer löste den Küchentalk ab. Jeder, der Winamp noch nicht hatte, konnte sich den Player von Freunden auf eine Floppy-Disk kopieren lassen, oder, wer denn schon drin war, aus dem Internet laden. Noch. Denn im Januar 1998 änderten Frankel und Boldyrev ihre Politik: Sie gründeten die Firma Nullsoft und machten Winamp zu einem professionellen Produkt, das fortan als Shareware getestet und dann für zehn US-Dollar gekauft werden könnte.

Gleichzeit entwickelte sich die Software immer weiter. Es wurden weitere Dateiformate unterstützt, Winamp erhielt ein Visualisierungs-Plugin, das die Musik als flackernde Formen auf dem Bildschirm darstellte. Und mit der im März 1998 veröffentlichten Version 1.91 wurde zum ersten Mal die berüchtigte DEMO.mp3 mit den Titel „Winamp, it really whips the llama’s ass“ mitgeliefert. In etwas mehr als einem Jahr wurde Winamp mehr als drei Millionen Mal runtergeladen.

Der Anfang von Ende

Im September 1998 veröffentlichte Nullsoft die Version 2.0 von Winamp und verbesserte damit weiter die Funktionalität des Players. Winamp war zum Standard-Player für MP3s geworden. Die Versionen der zweiten Generation machten Winamp zu einem der meist heruntergeladenen Windows-Programme dieser Zeit. Ein Erfolg, der kaufkräftige Investoren auf dem Plan rief. Im Juni 1999 schließlich kaufte sich der Internetriese AOL für rund 80 Millionen US-Dollar bei Nullsoft ein.

Die gemeinsam mit AOL entwickelte und im August 2002 veröffentlichte Version 3 von Winamp blieb hinter dem Erfolg der Vorgänger zurück. Die komplett überarbeite Software war vielen Nutzern zu überladen und schwerfällig. Darum ging man mit Winamp 5 einen Schritt zurück. Bewusst wurde die Versionsnummer 4 übersprungen. Winamp 5 sollte das Beste aus den Versionen 2 und 3 verbinden („Winamp 2 + Winamp 3 = Winamp 5“). Die Nutzer waren besänftigt, dennoch hatte Winamp seine besten Zeiten schon damals hinter sich.

AOL, die mit schwindenden Kundenzahlen zu kämpfen hatten, entschieden, weniger Ressourcen in Winamp zu investieren und entließen im Dezember 2003 alle 450 Mitarbeiter des Nullsoft-Büros in San Francisco. Nur wenig später verließ auch Winamp-Gründer Justin Frankel im Streit die Firma. Rückblickend sagte Winamp-Chefmanager Rob Lord dem Tech-Portal Ars Technica in einem Interview im Jahr 2012, ohne Missmanagement und Streitereien hatte Winamp das werden können, was iTunes heute ist.

„Keep Winamp alive“

Trotz rasant sinkender Nutzerzahlen und starker Konkurrenz hat Winamp bis heute durchgehalten und immer wieder versucht, sich aktuellen Entwicklungen anzupassen. Allerdings ohne Erfolg. Apps für Android und ein Mac-Client halfen nicht, den Player gegen die Übermacht von iTunes und Co. zu rüsten. Darum zieht AOL nun die Konsequenzen und stellt die Weiterentwicklung von Winamp ein – mit einem kleinen Hinweis auf der Download-Seite:

Winamp.com and associated web services will no longer be available past December 20, 2013. Additionally, Winamp Media players will no longer be available for download. Please download the latest version before that date. See release notes for latest improvements to this last release. Thanks for supporting the Winamp community for over 15 years.“

Bis zum 20. Dezember kann die finale Version noch auf der Homepage heruntergeladen werden. Josh Felser, Gründer des Musikportals Spinner.com, das zeitgleich mit Winamp von AOL gekauft wurde, hat in einem Interview mit Ars Technica bedauert, das Ende von Winamp und Spinner sei „das Ende von Musik 1.0“.

Wenn auch heutzutage nur noch Nostalgiker Winamp nutzen, wollen die letzten Fans das Ende ihres Lieblings-Players nicht tatenlos hinnehmen. In einer Petition fordern sie AOL auf, den Quellcode des Programms freizugeben und damit der Open-Source-Community zu ermöglichen, das Projekt am Leben zu erhalten. Stellvertretend für jedes Kind der 90er wünschen wir: Mögen sie damit Erfolg haben.