4 Bayern In Sachsen – Spider Murphy Gang


Donnerstag, 10. November 1983, 22.30 Uhr, Tagesthemen ARD. Als erster Beitrag flimmert ein achtminütiger Bericht über die DDR-Tournee der Spider-Murphy-Gang über den Bildschirm. Die Bayern im Lande Honeckers – als Wegbereiter für die bevorstehende Lindenberg-Tournee im nächsten Jahr?

Gera, DDR, 300 Kilometer südlich von Berlin, letzte Station der Spider Murphy Gang-Tournee, Interhotel, 0 Uhr 15. Jürgen Thurnau ist mit mir auf den Parkplatz gegangen, hat seine zwei letzten Spider-Alben sowie zwei T-Shirts aus dem Kofferraum seines BMW gekramt und mir zuhanden zweier Fans übergeben. Jürgen ist General-Manager der die Spider-Songs verlegenden Mambo-Musik. Jürgen ist einer der DDR-Tournee-Begleiter. Und Jürgen ist von den Strapazen der letzten Tage ein wenig gezeichnet. Wir trotten wieder zum Hotel zurück, wo Band und Crew nach dem letzten, umjubelten DDR-Konzert das wohlverdiente Abendessen genießen. Da! Ein markerschütternder Schrei, der nicht enden will. So schreit einer, der sich in höchster Lebensgefahr befindet. Wir sehen drei Volkspolizisten, die in der Hotelhalle auf einen sich am Boden windenden jungen Mann eindreschen. Einer tritt ihn mit Füßen gegen den Kopf. Ein anderer zerrt ihn auf und läßt ihn gegen einen steinernen Blumentopf plumpsen. An Beinen und Armen schleifen die Polizisten das in Todesangst brüllende Bündel Elend über die Treppe auf die Straße und in den Streifenwagen. Wir sind geschockt. «Soviel Brutalität habe ich noch nie gesehen», meint Jürgen bedrückt. «Da wird einem ja übel. Ich brauch‘ jetzt einen Schnaps.» Ich wage nicht, jemanden zu fragen, was der junge Mann wohl verbrochen habe. Drei Tage DDR haben genügt, um mir klar zu machen, daß es hierzulande als Provokation aufgefaßt werden kann, zuviel Neugierde zu zeigen. Außerdem kann das «Vergehen- des Mißhandelten leicht erraten werden: Er wird wohl versucht haben, zu uns ins Hotel-Restaurant zu gelangen, um eir.° Autogramm-Karte mit den Originalunterschriften von Günther, Michael, Barny und Franz zu ergattern. DDR-Bürgern ist es jedoch verboten, in ihren Wohnorten Hotels zu betreten…

Keine Probleme bei der Einreise Was so deprimierend endete, hatte eigentlich recht friedfertig begonnen. Einreise in die DDR drei Tage zuvor beim Checkpoint Charlie/Berlin :No Problem, kaum Wartezeit, kein Zwangsumtausch, keine Kofferdurchleuchtung, freundliche Gesichter. Eberhard Tegen vom Internationalen Pressezentrum lädt zu Kaffee ein und erteilt die Erlaubnis, alles zu fotografieren — außer natürlich militärische Objekte. Dann die Autofahrt hinauf zum 370 km entfernten Rostock, wo die Spiders ihren fünften DDR-Gig haben. Schnurgerade Autobahn, kaum Verkehr, phantastische Herbstlandschaft. Und auch da: No Problems. Außer, daß es unmöglich ist, eine DDR-Straßenkarte zu kaufen. „Grüß Gott“, sage ich zu einer Kioskverkäuferin. «Gott grüß ich nicht», antwortet sie gehässig. «Dann grüßen sie halt mich. Und geben sie mir bitte eine Straßenkarte», murmle ich. Der Gruß kommt, die Karte nicht. «Wir haben schon seit Monaten keine mehr gesehen», bedauert die Gottlose. Wir finden Rostock auch ohne Pian.

Das Problem mit den Eintrittskarten Das Konzert findet in der Sportund Kongreßhalle statt. 44 verschiedene Sportveranstaltungen können hier ausgetragen werden. Manchmal verirrt sich auch das Showbusiness in die erst fünf Jahre alte Vielzweckhalle. Rund 30 Pop-Veranstaltungen sollen hier schon über die Bühne gegangen sein. Darunter auch welche von West-Interpreten wie Katja Ebstein, Tangerine Dream und gar Police. Die Bayern sind allerdings der heißeste Act, der bisher hier gastierte. Aber nicht nur deshalb sind die 4500 Plätze schon seit Wochen ausverkauft. Sondern, weil in der DDR jede Form von gesellschaftlichem Ereignis äußerst beliebt zu sein scheint. Über die Höhe der Eintrittspreise sowie die Art, wie die Tickets unters Volk gebracht werden, herrscht Uneinigkeit. Harry Machals, Leiter des hiesigen Veranstaltungsdienstes, spricht von Eintrittspreisen zwischen 18 und 22 Mark, die deshalb -so niedrig sind, weil der Staat pro Sitz noch 6 Mark an Subventionen zulegt“. 75 Prozent der Karten seien, so Machals, an die Rostocker Betriebe gegangen, wo sie dann von den Werktätigen hätten erworben werden können. Ein Viertel der verfügbaren Plätze sei von einem Informationsbüro in der Stadt im freien Verkauf verhökert worden. Im Foyerdes Kongreßgebäudes wendet sich vor Konzertbeginn ein Rostocker Ingenieur namens Jörg an mich und erzählt das pure Gegenteil. «Karten kriegen nur Regime-Fans zum Normalpreis – quasi als Entgelt für besondere Leistungen zum Wohle des Sozialismus. Die anderen müssen sich auf dem Schwarzmarkt mit Karten versorgen : zu stark überhöhten Preisen! Ich habe für meine Karte zum Beispiel 70 Mark bezahlt. Das ist noch billig. Viele meiner Bekannten haben 100 Mark und mehr hingeblättert.“Zum Vergleich: Ein Lehrling vedient in der DDR so um die 100 Mark. Ein Arbeiter kriegt monatlich etwa 600 Mark. Gut verdienend nennt sich, wer wie Jörg 900 Mark im Monat nach Hausebringt. Plötzlich schaut sich Jörg um und flüstert konspirativ wirkend: «Ich geh’jetzt besserin den Saal. Wir werden beobachtet. Du weißt ja gar nicht, was hier los ist. Da sind jetzt mindestens 500 Spitzel und Bullen in Zivil im Saal und checken die Scene. Und die ganze Stadt wimmelt von Stasis (Staatsicherheitsdienst). Dich observieren sie sicher schon die ganze Zeit. Tschüß dann, wir sehen uns in Gera. Da komm‘ ich auch hin.» 45000 (!) wollten eine Karte Konzert. Die Spiders rocken los, nachdem sie der ständige Tournee-Begleiter und freiberufliche Moderator Bernd Martin – ein DDR-Bürger mit salbungsvollen Worten angekündigt hat. Ich stehe am Bühnenrand, um optimal fotografieren zu können. Da brandet eine Menschenmenge gegen mich. Mit einem Hechtsprung kann ich mich unter die Bühne retten, bevor die Masse mich erdrückt. Kriechend gelange ich «backstage». Ich pilgere durch den Saal. Vorne feiern die jungen Fans die Bayern – schwenken Arme, Beine und Leiber im Rhythmus wie bei uns. Hinten sitzen die älteren Semester wie festgeleimt und zu Salzsäulen erstarrt auf ihren Plätzen. Einige verlassen nach kurzer Zeit den Saal: «Stop, stop, stop, i muas nach Schwabing…» Wohl kaum. Sie haben das Eintrittsticket – in Rostock, dem größten Gig der Tournee, wollten 45 000 eine Eintrittskarte – als Lohn für Fleiß im Betrieb kaufen dürfen und wenden sich nun angewidert ab. Dafür warten draußen ein paar hundert Junge und versuchen durch die dicken Hallenwände hindurch einen Hauch von Bayern-Rock mitzukriegen. Spider-Manager Toby Pflug wagt sich, wie jeden Abend, mit einer Schachtel voller Anstecker und Autogrammkarten bewaffnet nach draußen und wird bei der Verteilung der Dinger beinahe zerfetzt. Nach Abschluß der Tour wird er rund 12 000 Ansteckerund ebensoviele Autogrammkarten, rund die Hälfte davon handschriftlich signiert, verteilt haben -Material für 10000 DM. «Wirhätten das Zehnfache verteilen können.» Ein Faß ohne Boden. Während drinnen die Spiders ihr Programm, übrigens dasselbe wie in der BRD, über die Bühnenrampe fetzen, wandle ich durch die Gänge. Ein paar Girls stürmen auf mich zu. «Haben sie Anstecker, Poster, Autogrammkarten, T-Shirts?» Hab‘ ich nicht. Dann klagen sie ihr Leid. «Wir haben Karten für den Balkon, aber wir möchten nach unten, wo Stimmung ist. Doch die FDJ-Ordner lassen uns nicht rein.» Magenverstimmung Diese Probleme hat die 17jährige Gitti nicht. Sie ist von ihrer Mutter aus einem zweieinhalb Fahrstunden entfernten Kaff nach Rostock chauffiert und von der Spider-Tour-Crew wegen ihrer herzlichen Art gleich ins Herz geschlossen worden. Das bedeutet: Logenplatz hinter der Bühne während der Show, Zutritt zur Garderobe nach dem Gig und Auftritt als «der größte Spider Murphy Gang-Fan der DDR überhaupt» (Gitti) in einem Beitrag der ARD-Sendung «Tagesthemen», der hier von einem Dreimann-Team gedreht und zwei Tage später gesendet wird. Gitti ist überglücklich. «Das werden die zu Hause nie glauben, wenn ich ihnen das erzähle.» Um Mitternacht steigt sie zu ihrer Mutter ins Auto und fährt wieder brav heimzu. Die Band verzieht sich ins Hotel-Restaurant und feiert den gelungenen Auftritt bei einem bescheidenen Abendmahl. Müde, aber glückliche Gesichter. «Toll, wie hier die Fans mitgehen», freut sich Franz Barny übt sich in Selbstzerknirschung. Er hatte Trouble mit seinen Gitarren. Michael grinst selig vor sich hin. Mit Kurzhaarfrisur und orangefarbenem Gilet sieht er dabei aus wie ein Hare Krishna-Jünger. Am andern Morgen ist es aus mit Michaels Seligkeit. Mit finsterer Miene sitzt er am Frühstückstisch und bläst Trübsal. Magenverstimmung! «Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan», jammert er. «Das Tartar in der Garderobe gestern war verdorben.» Ins selbe Hörn pusten Franz und Barny. Barnys Gesicht sieht aus wie zerknülltes Packpapier, Auf der Fahrt von Rostock nach dem 600 Kilometer entfernten Riesa, wo die Murphy Gang noch am selben Abend ihren nächsten Gig hat, verliert das «Packpapier» etwas von seinem Inhalt: Barny muß sich gleich bei der ersten Kurve durch die halbgeöffnete Limousinen-Tür übergeben.

Es ist verboten, DDR-Bürger im West-Auto mitzunehmen Ich fahre dem Tournee-Troß im Abstand von einigen Kilometern hinterher. Gleich bei der Autobahn-Einfahrt hinter Rostock stehen zwei Tramper am Straßenrand. Ich halte an. Rainer und Katrin, zwei Rostocker, wollen nach Berlin – Urlaub machen. Ich lasse sie einsteigen. Rainer ist Fahrzeugschlosser und arbeitslos. «Arbeitssuchender» nennt man das in der DDR. Katrin arbeitet als Krankenschwester im Spital. Das Spider Murphy-Konzert vom Vorabend haben die beiden nicht besucht – «wir haben keine Karten mehr gekriegt». Kein Unglück! Die Zwei stehen ohnehin mehr auf Pink Floyd. Solches verlangt hierzulande einen ganzen Mann: Keine Konzerte, keine Platten, keine Zeitschriften mit Interviews und Fotos. Pink Floyd gelten – vor allem seit sie mit «The Wall» Aufmüpiigkeit gegen Obrigkeiten gepredigt haben als entartet. Rainer und Katrin sind auf westliche Radioprogramme angewiesen, wollen sie etwas von ihrer Lieblingsband hören. Gelegentlich hilft auch mal ein Ausflug auf den Schwarzmarkt, wo durch Verwandte in den Osten eingeführte West-Scheiben zu Preisen bis zu 100 Mark pro LP gehandelt werden. Übrigens: Auch die Platten der durch die DDR-Regierung mit der Bewilligung dieser Tour quasi geadelten Spider Murphy Gang sind hier nicht im Verkauf. Die zuständigen Instanzen hatten Anstoß an gewissen Texten der Bayern genommen. Jürgen Thurnau dazu: «Ein Witz! Wir mußten für die Tournee die Texte unserer Songs ja ebenfalls vorlegen. Und da hat niemand gemeckert.» Gemeckert wird dafür rund 300 Kilometer von Rostock entfernt auf der Höhe von Berlin. Und zwar von zwei Polizisten, die unseren BMW bei der Ausfahrt Berlin-Blumenberg angehalten haben. «Wissen sie nicht, daß es verboten ist, DDR-Bürger in ihrem Wagen mitzunehmen?», schnarrt der eine mit herrischer Stimme. Einzige Ausnahme sei, wenn die betreffenden Tramper mit einem verwandt oder verschwägert seien. Man muß sich das mal vorstellen: Da darf man also eine Anhalterin bloß mitnehmen, wenn man sie rasch heiratet oder diese Aufgabe seinem allfällig mitreisenden Bruder zuweist(l). Rainer und Katrin werden jedenfalls überprüft und müssen beim nächsten Rastplatz aussteigen. Sie ertragen diese Schikane mit der stoischen Ruhe der Außenseiter, die schon vieles gewohnt sind.

Rock ist in der DDR Kultur!

Filmtheater Capitol in Riesa, 30 Kilometer von Dresden entfernt 18 Uhr.

Jürgen und Marion, ein aus Ostberlin mitreisender Fan, erledigen die Autogrammpost, welche die DDR-Fans direkt an die Konzerthalle geschickt haben. Jürgen: «Das sind bei jedem Gig hier etwa 400 Briefe. Und da die Rückantwort-Couverts mit DDR-Briefmarken frankiert sind, die in der BRD nicht gelten, erfüllen wir zumindest die Autogrammwünsche gleich jetzt. Natürlich könnten wir die Briefe auch mit rüber nehmen und die Couverts dann halt selber frankieren. Aber das ginge ganz schön ins Geld. Immerhin erreichen unsproMonatandie20000 Autogramm-Wünsche.» Konzert. Nicht ganz dasselbe Bild wie in Rostock. Der Saal faßt lediglich etwa 1000 Leute, ist natürlich ausverkauft und wird von den Ordnern zunächst voll kontrolliert. Erst gegen Ende des Auftritts wagen sich die Fans an den Bühnenrand und jubeln Günther, Franz, Barny. und Michael zu. Drei Zugaben müssen die bei einigen Songs durch den Saxofonisten Willy Ray aus Texas verstärkten Bayern geben. Backstage aalt sich Herbert Risse, Leiter des Clubhauses der Gewerkschaft des Stahl- und Walzwerkes Gera, in diesem Stahlbad bayerischen Rock’n’Rolls: «Wirklich dufte, die Jungs!» Der Mann mußeswissen. Immerhin versorgt er das Capitol schon seit 30 Jahren mit kulturellen Veranstaltungen. Ist denn Spider-Musik in der DDR Kultur? Ein Funktionär: «Na klar, warum nicht?» Leider ist es auch hierso, daßdieses Kulturgut nicht allein unter die Bedürftigen verteilt wurde. Im Zuschauerraum sitzen zahlreiche ältere Semester und tragen einen inoffiziellen Wettkampf in der Disziplin «Gelangweilt sein» aus, während draußen eine Hundertschaft junger DDR-Bürger rumstreunt. Sie alle haben, zusammen mit einigen weiteren tausend Riesaern, keinen Einlaß gefunden. Schuld daran sind freilich nicht die Bayern. Das Eintrittskartenkontingent verwaltet hat das Stahlwerk Riesa. Als Toby Pflug in der Mitte des Konzerts nach draußen strömt, um wartende Fans mit Ansteckern und ein paar Platten zu versorgen, kommt es zu tumultartigen Szenen Wie Piranhas stürzen sich die merchandisingmäßig ausgehungerten jungen Leute, hauptsächlich übrigens männlichen Geschlechts, auf die Ware. Mit bellender, ziemlich aggressiver Stimme gebieten die den Vorgang überwachenden Ordner Ruhe. In Westeuropa wäre ein derart autoritäres Auftreten wohl mit einer handfesten Schlägerei beantwortet worden. Hier ducken sich die Jungen wie geprügelte Hunde. Zu uns Westlern gebärdet sich die Ost-Jugend hingegen zutraulich. Herbert, ein 17jähriger Karl-Marx-Stadtmensch, redet offen über seine Westpläne. «Ich habe die Ausreise beantragt.» Wenn er Glück hat, kann er in fünf Jahren die DDR verlassen. Wenn er Pech hat, muß er bleiben und kann seinen Traum vom eigenen BMW nie erfüllen und muss zehn (!) Jahre und mehr für einen Trabant aus der DDR-eigenen Automobil-Produktion anstehen. Nach dem Gig drücken die Fans fastdie Backstage-Türe ein. Während ich mich dagegen stemme, wirft Toby Autogrammkarten zum Fenster raus. Der Druck lockert sich. In der Garderobe ist die Stimmung ebenfalls gelockert — die Magenbeschwerden der Bandmitglieder haben sich gänz-‚ich aus dem Staub gemacht. Franz macht Faxen mit Willie Ray und kräht «Hello Mary Lou». Mit Willies Hut auf dem Kopf sieht er aus wie Boy George. Dann setzt sich die ganze Gesellschaft in die Wagen und braust, angeführt vom Vehikel des Moderators Bernd Martin, in zwei Stunden nach Gera. Das Interhotel, in dem wir uns niederlassen, ist für die Spiders nichts Neues. Sie haben bereits vorein paarTagen mal hier genächtigt, als sie es in der DDR-TV-Sendung «Ein Kessel Buntes» bunt trieben. Der Tag klingt im ziemlich geräumigen Nachtklub des Hauses bei Bier (alle), Wein lieh), Kaviar (Barny) und Tanz was reimt sich da besser drauf; als Franz?) aus. Ich mache den Vorschlag, Barny in Bar-oft umzutaufen—weil er nicht nie (ny), sondern oft in Bars rumhänge.

So kam es zur Spider-DDR-Tour Erwähnenswert ist auch der Hintergrund, vordem sich diese Tournee abspielt. Die Idee dazu hatte beispielsweise nicht die hierzulande für derartige Dinge zuständige Künstleragentur der DDR, sondern Jürgen Thurnau. Über seinen Kumpel Peter Schimmelpfennig, der in West-Berlin die sich mit der Vertretung von DDR-Bands im Westen befassende Pool-Agentur betreibt, kontaktierte er die Ostdeutschen. Beim MIDEM in Cannes kam es zum Treff Trunau/Egon Werter (DDR-Künstleragentur). Dann hörten die Bayern lange Zeit nichts mehr von den Sozialisten. Erst Mitte Jahr geruhten die Ostdeutschen, ein Tour-Angebot zu machen. «Finanziell ist das Ganze nicht sehr interessant», erleutert Jürgen «Aber wir haben das akzeptiert, weil wir hier spielen wollten – wegen der Fans hier, die uns vom West-TV kennen. Und auch wegen uns. Denn für uns ist das alles ein Abenteuer.» Die Finanzen

Abenteuerlich ist zum Beispiel der Weg, den die im Gegensatz zu Spider-Konzerten im Westen, wo die Band am Umsatz beteiligt ist, fest vereinbarte Gage nehmen muß, um nach Bayern zu gelangen. Denn die Gruppe kriegt nur 5 Prozent des Geldes in Westwährung ausbezahlt. Den Rest müssen sie in Ostmark entgegennehmen. Devisen dürfen jedoch nicht aus der DDR ausgeführt werden. Deshalb hat das Spider-Management ein kompliziertes Prozedere ausgeheckt. Mit Erlaubnis der Regierung darf die Hälfte der Gage zollfrei in Waren exportiert werden. Auf die mit der anderen Hälfte der Gage erworbenen Waren muss 25 ProzentZoll entrichtetwerden. Mit Hilfe eines westdeutschen Antiquitätenhändlers sollen nun wertbeständige DDR-Altertümer eingekauft, aus der DDR ausgeführt und in der BRD wieder zu Geld gemacht werden. Hierzu will Jürgen ein paar Wochen nach Abschluß der Tournee nochmals in die DDR reisen. Der Tourneeabschluß ist hier in Gera. Dank der nach dem Riesa-Konzert noch in der Nacht erfolgten Dislokation in diese Stadt hat die Band einen reisefreien Tag. Die Musiker üben sich im Ausschlafen und tauchen erst gegen Mittag im Frühstückszimmer auf. Um Mittag brechen wir zu einem kleinen Stadtbummel auf. Immer wieder werden die Musiker von Passanten und Kindern erkannt und müßen Autogramme geben. Ein Plan geistert durch unsere Köpfe: Ein Spider-Foto mit Sozialismus-Touch muß her. Wir sitzen in unsere Autos und driven los. Plötzlich ruft einer: «Hier, vor diesem Karl Marx-Plakat an diesem Gebäude. Das wär’s doch.» Die Kolonne hält., Barny rennt mit der Kamera aus dem Wagen und knipst. Wir steigen aus. Doch Tournee-Begleiter Bernd Martin heißt uns, sofort wieder einzusteigen und wegzufahren. Wir gehorchen. Für den Mercedes mit Günther und Franz an Bord ist es zu spät. Ein Polizist hält ihnen die Pistole vor die Nase. Wir andern verduften zunächst mal. «Das war ein Gebäude des Staatssicherheitsdienstes», erklärt Bernd, nachdem wir unsere Wagen ein paar hundert Meter weiter vorn parkiert haben. Ein Haus, wo die Spione ein und aus gehen! Das ist wahrscheinlich der ungünstigste Ort in der ganzen DDR, um ein Foto zu machen. Bernd geht zurück zum Tatort, um zu versuchen, die beiden Musiker freizukriegen. Unterdessen schwitzt Toby Blut. Michael reizt es, die Vorgänge von nahem zu beobachten, und läuft Bernd hintennach. Toby tobt. «Bist überhoapt wahnsinnig, da noch extra hinzulatschen», schimpft er, als Michael wieder zurück ist. «Du weißt doch, daß es hier heavy ist mit Sicherheit und so. Willst am Ende, daß sie uos nicht spielen lassen?» Michael mault. «Wenn sie uns ned spuin loaßn, dann spui-i ned.» Klingt logisch. Glücklicherweise löst sich das Ganze nach einer Viertelstunde in Minne auf. Nachdem die Polizei die Personalien ihrer «Gefangenen» überprüft hat, kann der Wagen weiterrollen. Der Auftritt ist gerettet.

„Darf ich ihnen Spargel nachreichen?“

Vor dem letzten Gig. Jörg, den ich in Rostock kennengelernt habe, trudelt ein. Mit ihm :Ilia, der in Gera wohnt. Die beiden erhalten Backstage-Pässe und freuen sich wie die Kinder. Sie nützen jede Chance für Westkontakte und scheuen selbst weiteste Reisen nicht. Nach dem Auftritt, der so triumphal verläuft wie alle anderen, laden wir die beiden zum Essen ins Inter-Hotel ein. Getarnt als Roadies. Die beiden Familienväter entwerfen ein düsteres Bild ihres Lebens. «Wir arbeiten viel und wissen, daß wir uns nie das leisten können, was wir wollen», klagt Jörg. «Wir würden gerne in Freiheit leben, aber wir haben keine Chance dazu.» Wir müssen die beiden regelrecht dazu überreden, sich die Freiheit zu nehmen, sich von uns zu einem anständigen Mahl einladen zu lassen. «Sowas könnten wir uns nie leisten – so viel verdienen wir in ein paar Tagen nicht, wie das hier kostet.» Als der Kellner kommt und nachfragt, «ob er dem Herrn noch etwas Spargel nachreichen dürfe», flippt llia fast aus. «So nett bin ich in meinem Leben noch nie bedient worden.» Als ich mich nach Mitternacht von den beiden verabschiede, sagt Jörg: «Tschüß, Bernie – wir werden uns wohl nie mehr sehen.» Vielleicht hat er recht. Die Spider Murphy Gang wird er jedoch noch oft erleben – via Westfernsehen und möglicherweise auch auf einer weiteren DDR-Tournee.