5. Saar Open Air


Der „kölsche BAP“ hat augenscheinlich seine Mid-Life-Crisis genommen. Zuerst steigt er aus, sagt, er hätte für die nächsten zwei Jahre genug von der Plackerei auf der Bühne und im Studio. Dann kehrt er doch — mit Komplizen — an den Ort früherer Schandtaten zurück. Und nun hat er gar zwei flotte Background-Sängerinnen aufgerissen und will demnächst mit ihnen gen China düsen. Klammheimlich, nur ein paar treuen Freunden in der tiefsten saarländischen Provinz sagte er Tschüß. Die große Fan-Familie von „Papa“ — denn mehr heißt „BAP“ ja nicht auf Hochdeutsch — braucht sich trotzdem keine Sorge um ihren Altvorderen zu machen. Paps bzw. BAP ist ganz der Alte. Dies zeigte sich beim 5. Open Air in St. Wendel, wo die Gruppe ihr einziges großes Konzert vor der China-Tournee gab. Gewiß, „Über-Vater“ Wolfgang Niedecken wirkte ausgebrannt und wortkarger als früher. Doch das hat er sich wahrscheinlich nur bei seinem großen Vorbild Dylan abgeguckt. Gewiß, Gevatter Tod hat eine Lücke in die BAP-’sche Front gerissen (unlängst starb Drummer Pete King); folglich war — wieder einmal — ein neuer Schlagzeuger (Jürgen Zöller) fällig.

Doch BAP hat, das ist geblieben, immer noch einen eigenen Kopf. Trotzig wurde ein neuer, gestraffter Set mit überwiegend neuem Material der beiden letzten Alben zusammengestellt. Störrisch behauptet Niedecken, die beiden Background-Damen würden seiner Band endlich ermöglichen, lange gehegte Sound-Träume zu verwirklichen: Ne schöne Jrooß mit ’nem Schubi-duh … — Das Publikum träumte da nicht so ganz mit. Es wartete mit Feuerzeugen und Wunderkerzen beharrlich auf die alten Songs, die, bei denen man noch die seit Jahren vertrauten Texte mitsingen kann. Doch … irritierte die alten Fans mit neuem Material, das ist, so scheint’s, inzwischen „verdammt lang her“.

Da waren die anderen Gruppen beim Open-Air in St. Wendel — in diesem Jahr wieder einmal ein „treudeutsches Rock-Festival“ — cleverer. „Give the peoplc whai ihey wani“, dachte sich Altstar Udo Lindenberg und erfreute seiner Anhänger, die lautstärksten unter den fast 20.000, mit einer Greatest Hits-Zusammenstellung seiner bekanntesten Bums- und Sauf-Songs. Egal, ob Lindi seine Friedens-Schalmei dröhnen läßt oder Aids-Verhüteriis zu 98 Lustballons aufbläst — das Publikum mag noch immer die neckig-naiven Sprüche des Oldtimers mit dem altbekannten Schlapphut. Auch wenn darunter schon lange nichts mehr ist.

Was Konstantin Wecker in diesem Umfeld zu suchen hatte, fragten nicht nur Lindenberg-Fans. Weckers neue „Bayern Power“-Band — eine Besetzung wie das Namensregister eines deutschen Jazz- und Rock-Lexikons, von Dauner bis Mariano, von Hodgekinson bis York — ließ Rock und Jazz fusionieren, zeigte, wie altbekannte Songs, wenn man solchen Profis ihren Lauf läßt, plötzlich brandneu und aufregend klingen. Konny strahlte hinterm Flügel: Wieder dahoam … in seiner Musik, in der Musik schlechthin.

Zuhaus fühlte sich wohl auch Heinz Rudolf Kunze in St. Wendel. Bei seiner Frühjahrs-Tournee war er dort enthusiastisch gefeiert worden. Für ihn Grund, das letzte Konzert vor einer einjährigen Tour-Pause dort zu geben. Der „depressive Grübler“ (O-Ton Kunze), der dank Gitarrist Heiner Lüng unüberhörbar auf Townshend’schen Spuren wandelt, wird wohl noch einige Zeit an seinem „Frontman-Appeal“ tüfteln müssen.

Doch ein Weg deutet sich bereits an: Die Prosa-Texte, die Kunze immer wieder zwischen saftigem Rock und sanften Balladen einstreut, werden inzwischen beim (Rock-)Publikum mit offenen Ohren gehört. Der Denker ist auf dem Vormarsch.