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Die 100 besten Songs aller Zeiten


Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf Platz 1 geschafft!

Als Popmagazinredaktion lieben wir Listen. Und gebt zu: Als Leser*innen eines Popmagazins liebt Ihr sie auch. Deswegen präsentieren wir Euch an dieser Stelle einen zeitlosen Klassiker. Vorhang auf für die laut MUSIKEXPRESS-Fachjury 100 besten Songs aller (bisherigen) Zeiten! Eine Playlist dazu findet Ihr im Anschluss an Platz 1 (Spoiler: Dort stehen nicht die Beatles).

Wir haben gewählt: Das hier sind die 100 besten Songs aller Zeiten

100. Hot Chip – „Over And Over“

Vom zurückgelehnten Electro-Soul der Vorgängerplatte blieb wenig übrig. Es möge getanzt werden! Grund genug, in „Over And Over“ mit den Erwartungen zu spielen. „Laid back? / I’ll give you laid back!“, heißt es da, während ein repetitiver Groove, schrille Gitarren und ein sich ins Gehör verankernder Refrain dafür sorgen, dass im (hier den Namen deines Heimatclubs einsetzen) auch heute noch die DJs nach der Platte greifen. Und für den nächsten Buchstabierwettbewerb ist besonders das Ende ein gutes Training: k-i-s-s-i-n-g-s-e-x-i-n-g-c-a-s-i-o-p-o-k-e-y-o-u-m-e-i.

99. The Byrds – „Eight Miles High“

Tatsächlich handelt der Song vom Flug über den Atlantik und der Ankunft im verregneten London, doch US-Sender vermuteten Drogenpropaganda und boykottierten das Stück. Die stilprägende Gleichung lautet: Folkrock plus fernöstliches Flair plus solistische Jazz-Fragmente = „Eight Miles High“.

98. The Beatles – „Helter Skelter“

Die Musik der Beatles galt 1968 als poppig, kunstvoll und innovativ, für die härtere Gangart waren andere zuständig. Bis ausgerechnet McCartney, gerne als Balladenschreiber belächelt, mit diesem Stück Proto-Heavy-Rock um die Ecke bog. Klassischer Rock & Roll ist die Basis, doch Pauls Gesang an der Schreigrenze, die sägenden Gitarrenfragmente, druckvollen Läufe und der archaisch rollende Beat klingen wie eine Steilvorlage für Led Zeppelin.

97. The Supremes – „You Can’t ­Hurry Love“

Irgendwie beruhigend, dass die echte, die große, die erfüllende Liebe manchmal auch bei einem so zauberhaften Geschöpf auf sich warten lässt. Oder? Sehr viel runder jedenfalls ist die riesengroße Täuschungs- und Hoffnungmachmaschine Pop nicht mehr gelaufen. Das perfekt gespielte Seufzen der damals schon mit Berry Gordy verheirateten Diana Ross. Der markante Tamburin-Beat (siehe auch Iggy Pops „Lust For Life“) der Hit-Garanten Holland/Dozier/Holland. Diese unfassbar catchy Hook. Wer da nicht tröstend den Arm umlegen mag, tritt bestimmt auch Katzenbabys.

96. Simon & Garfunkel – „The Sound Of Silence“

Die ursprüngliche Albumversion – und für echte Fans zählt natürlich nur die ursprüngliche Albumversion – ist der Inbegriff von Paul Simons Kunst, große Themen mit kleiner Geste zu riesengroßen Songs zu verarbeiten. Die zarte Naivität in den Zeilen des damals kaum 20-Jährigen aus New Jersey, der versucht, ein weltgeschichtliches Ereignis wie die Ermordung John F. Kennedys in seinen Kosmos zu holen, um damit in den Folkclubs der großen Nachbarstadt zu bestehen, ist in ihrer Aufrichtigkeit eher rührend, als dass sie störte.

95. Sonic Youth – „Teenage Riot“

Die Geschichte des Alternative Rock lässt sich einteilen in eine Zeit vor „Teenage Riot“ und in eine Zeit danach. Der erste Song auf Daydream Nation markiert die Zäsur. Die New Yorker Noise-Terroristen lassen ihre Sperrigkeit hinter sich und gießen ihre Innovation und dröhnende Feedbacksalven in ihren ersten Popsong: Er öffnet Nirvana Tür und Tor, er ermöglicht 1991 –  the year that punk broke, er läutet die aufregendste Phase der Rockmusik seit den Siebzigern ein. Und er ist immer noch ein Wahnsinnssong, der sich null abgenutzt hat.

94. Love – „Alone Again Or“

Dieser Song ist einer von wenigen, die Arthur Lees Sidekick MacLean für Love schrieb, aber gehört als Opener ihres Meisterwerks FOREVER CHANGES heute zu ihren bekanntesten – und zu ihren schönsten obendrein. Die damals ungehörte Mischung aus barocker Melodik, Mariachi-Elementen, Streicher-Pomp, quasi-punkigem R’n’B und folky Psychedelia klingt noch immer wie aus einer anderen Wirklichkeit eingeflogen. Lee ließ seine Zweitstimme lauter, MacLeans Leadgesang hingegen kaum hörbar in den Hintergrund mischen und benannte das Stück um (ursprünglich hieß es „Alone Again“), um es sich und seiner Vision von Love zu unterwerfen. Mac­Lean verließ die Band 1968, frustriert von der Nicht-Karriere und heroinabhängig. In den 70ern von einem Erweckungserlebnis „errettet“ (von derselben Gruppierung, die auch Bob Dylan in die Arme des Chris­tentums trieb), veröffentlichte er Musik mit christlich-spiritueller Ausrichtung und betrieb sogar kurz einen christlichen Rockclub in Beverly Hills. Um das Drama zu erfassen, das Love letztlich zerriss und künstlerisch so aufregend machte, aber auch ihre Grandezza und ihre Wirkkraft auf Generationen von späteren Bands, ist dieser traumhafte Song perfekt.

93. Suicide – „Cheree“

Mit derselben Haltung wie zehn Jahre zuvor The Velvet Underground und ebenso in New York zwischen seedy back alleys und High Art, aber mit den der Zeit entsprechenden neuen Mitteln erfanden Suicide einen Sound, der weit mehr Einfluss als kommerziellen Erfolg haben würde. Geschult an der Melodik und Dramatik von frühem Rock & Roll, ist „Cheree“ unverstellt ein Rip-off von Serge Gainsbourgs und Jane Birkins „Je t’aime … moi non plus“ (  198), verpflanzt in die unheilvolle Kulisse von Minimal-Elektro und verzerrter Orgel. Bedrohlichster Lovesong der Welt.

92. The Smiths – „This Charming Man“

Seit 30 Jahren wird über die sexuellen Präferenzen von Steven Patrick Morrissey diskutiert. Dabei handelt „This Charming Man“ , die zweite Single der Smiths, von einem jungen, aber mittellosen Radfahrer, der nach einer Panne von einem älteren, reichen, charmanten Autofahrer aufgelesen wird – und in arge Versuchung gerät. Starke Gitarre, leidenschaftlicher Gesang und ein Text, der auf gehobenes Englisch setzt. Swell, my dear …

91. Public Enemy – „Fight The Power“

Keine Millionen können Public Enemy mehr aufhalten: Was Rosie Perez da abzieht, ihr Schattenboxen, am Anfang von Spike Lees Film „Do The Right Thing“, während sich das Beatgeschwader des Bomb Squad wie Schockwellen ausbreitet, ist ein Kriegstanz. Chuck D hält als Richard III des HipHop die Kampfrede dazu: Elvis war ein „straight up racist“! Heilige Kühe werden geschlachtet. Nimm das, White America! Malcolm X oder Martin Luther King? Das fragt Spike Lees Film. Public Enemy geben ihre Antwort, bevor er angefangen hat: Rebellion ohne Pause im Kampf gegen die, die an der Macht sind!

90. Peter Gabriel & Kate Bush – „Don’t Give Up“

Gabriels Plan klang spannend: Er wollte sein Duett, in dem ein verzweifelter Mann im Refrain Hoffnung von seiner Duettpartnerin zugesprochen bekommt, gemeinsam mit der Country-Nationalheiligen Dolly Parton singen – ganz bewusst in der Tradition amerikanischer Volksmusik. Die ersten Zeilen sprachen für sich: „In this proud land we grew up strong / We were wanted all along.“ Parton sagte ab. Aber wer wollte von einem Kompromiss sprechen, wenn Kate Bush den Trost singt: „Don’t give up / You still have us“?

89. Noir Désir – „Le vent nous portera“

Die Sprache ist gar nicht so wichtig: Man versteht auch ohne Französischkenntnisse, um was es in diesem Song geht: um das Sich-treiben-lassen, um die Liebe, um die Vergänglichkeit. Die Klarinette spielt ein wunderbares Solo, Manu Chao die Gitarre, und auch wenn man damit üble Klischees bedient: Das hier klingt nach zwei  Gläsern Rotwein, ein paar Zigaretten und einem warmen Sommerabend.

88. Bob Dylan – „Tangled Up In Blue“

Der Klang eines gebrochenen Herzens – nichts anderes ist BLOOD ON THE TRACKS, das schmerzlichste, zynischste, anrührendste und – ja – wundervollste Trennungsalbum überhaupt. Eine „Erzählung über den Krieg eines Abenteurers mit seiner Frau“, nannte der Kritiker Greil Marcus diesen Songreigen, der mit „Tangled Up In Blue“ beginnt, dessen geradezu labyrinthische Lyrics inklusive diverser Perspektivwechsel von einer hinreißenden, im lässigen Folkrock-Modus gespielten Melodie kontrastiert werden. Das häusliche Glück ist passé, der Drifter ist zurück auf der Straße, „headin’ for another joint“.

87. My Bloody Valentine – „Only Shallow“

Für My Bloody Valentine der Sündenfall, denn mit der Arbeit an „Only Shallow“ begann der Wahnsinn, der letztlich in LOVELESS mündete. Kevin Shields’ Tremolo-Gitarre ist stilprägend und unerreicht, die Vocals scheinen aus dem Nichts zu kommen – und so war das auch: Shields und Bilinda Butcher versteckten sich bei den Aufnahmen hinter dicken Vorhängen und tauchten so sehr in ihre Welt ein, dass sie nicht mehr mit den Tontechnikern sprachen. Ein komplizierter Prozess, eine geniale Aufnahme.

86. Blur – „Out Of Time“

Ein bescheiden wirkender Song, den man auf den ersten Blick fast übersieht. Mit der Zeit wächst er jedoch mehr ans Herz als jeder andere Blur-Song. Damon Albarns leicht brüchige Stimme eröffnet, unterstützt von Xylofon und einer reduzierten nahöstlichen Instrumentierung, Räume, eine flirrende Atmosphäre macht sich breit. Dann ein zartes Gitarrensolo, von dem man sich regelrecht an die Hand genommen fühlt. Das Stück war die erste Veröffentlichung nach dem suchtbedingten Ausstieg von Gitarrist Graham Coxon.

85. Lou Reed – „Walk On The Wild Side“

Die fünf kurzen, spärlich instrumentierten Strophen behandelten nur vordergründig das Thema Prostitution (der „walk on the wild side“). Vielmehr ging es in Lou Reeds leiser Erzählung um das verlorene Glück identitätssuchender Großstädter. Eine Ballade über jene Außenseiter und Exzentriker, die das New York der frühen 70er nur so ausspuckte. In unserer Liste landet diese Single-A-Seite übrigens hinter ihrer B-Seite „Perfect Day“.

84. The Beatles – „Penny Lane“

Längst ist die Penny Lane das Ziel von Bustouren auf den Spuren der Beatles in Liverpool, und auch wenn Orte wie der „shelter in the middle of the roundabout“ abgerissen sein werden – in diesem Kleinod von einem Song wird er ewig stehen. Sonnige Kindheitserinnerungen an das alte England, gegossen in das pophistorisch wohl einzigartige Piccolotrompetensolo, das sich erfolgreich gegen satte Bläsersätze durchsetzt. Ja, auch die Erfindung dessen, was heute „Hypnagogic Pop“ genannt wird, geht auf das Konto der Beatles.

83. Simon & Garfunkel – „America“

Der romantischste Protestsong aller Zeiten? Nichts hat unsere Vorstellung des echten Amerikas, unsere diffuse Sehnsucht nach den vermeintlich unendlichen Weiten des Dazwischen so geprägt wie diese Geschichte der beiden Verliebten, die per Anhalter und Bus das Wesen eines unergründlichen Landes zu ergründen suchen. Es macht einem Angst, dieses große Amerika, aber der Hauch von Orgel und Saxofon holt einen immer wieder zurück in diesen großen, warmen, letztlich doch hoffnungsvollen Song.

82. The Church – „Under The Milky Way“

Sie sind der ewige Geheimtipp: eine Band aus Sydney, die ihre Weggefährten von INXS bis Midnight Oil ebenso überlebt hat wie eine kurze Erfolgsphase Ende der Achtziger. Und das mit einem Song, der sich als Hommage an den „Melkweg“-Club in Amsterdam versteht, mit einem gefakten Dudelsacksolo glänzt und echte Ohrwurmqualitäten besitzt. Eben mystisch, sphärisch und geradezu suchterzeugend. Sprich: der perfekte Popsong, der es auch auf den Score zu „Donnie Darko“ (2001) und „Miami Vice“ (1989) geschafft hat.

81. The Velvet Underground – „Pale Blue Eyes“

Auf dem dritten Velvet-Underground-Album klingt Lou Reeds Stimme entrückter, aber auch verletzlicher (oder verletzter) als je zuvor. Seine Liebe für 50s-Rock-&-Roll lebte er offen in süßlichen Avant-Gospeln wie „Jesus“ oder diesem aus. Das Zwei-Akkord-Pattern, das laute Tamburin, die schwirrende Orgel und die fragilen, eleganten Gitarren von Reed und Sterling Morrison wurden Blaupause für große Teile von Jason Pierce’ Œuvre (Spacemen 3, Spiritualized) und eines der wunderlichsten, gespenstischsten Liebeslieder aller Zeiten. „Sometimes I feel so happy, sometimes I feel so sad, but mostly you just make me mad.“

80. Fehlfarben – „Paul ist tot“

Mit dem letzten Track auf ihrem ersten Album Monarchie und Alltag setzen Fehlfarben das Regelwerk des Punk endgültig außer Gefecht. Die Uhr tickt, während das Klagelied „Paul ist tot“ angestimmt wird, acht Minuten lang, nach denen die deutsche Popmusik eine andere sein wird. Schwermut gibt den Takt an, unheilvolle Synthesizerformationen umhüllen den Gesang von Peter Hein, der so direkt nie wieder formuliert, was eine ganze Generation fühlen mag: „Was ich haben will, das kriege ich nicht / Und was ich haben kann, das gefällt mir nicht.“

79. Neil Young – „Heart Of Gold“

Bob Dylan hat einmal gesagt, dass er „Heart Of Gold“ hasste. Damit war er sich einig mit allen Neil-Young-Fans damals, die ihren Helden plötzlich mit dem Mainstream teilen mussten. Tatsächlich aber war bloß passiert, was überfällig war: Der schon immer zum gepflegten Schmalz neigende Young hatte noch einmal tiefer in die Kitschkiste gegriffen – und war auf Gold gestoßen. Wie großartig der Song in seiner ganzen Simplizität ist, bewiesen 1978 Boney M., indem sie ihn nicht kaputtkriegen konnten.

78. Leonard Cohen – „Famous Blue Raincoat“

80 Verse soll Leonard Cohen, von Haus aus Poet, hierfür geschrieben haben, verfasst übrigens in einem schon in der Antike seltenen Versfuß namens Amphibrachys, der Cohens elegantem Sprechgesang sehr entgegenkam. Der Erzähler lebt in New York, wo es kalt ist, „but I like where I’m living“, während die Frau, die er ansingt, sich „a little house in the desert“ gebaut hat. Distanz wird fühlbar, räumlich wie zeitlich. Ihr berühmter blauer Regenmantel, er ist längst an der Schulter gerissen …

77. Prefab Sprout – „Bonny“

Paddy McAloons großes Talent ist es, mit seinen Songs Stimmungen auszudrücken, für die es keine ganzen Sätze gibt. Auch „Bonny“ ist keine Erzählung, sondern lebt von Fragmenten. Der Protagonist vermisst diesen Bonny, obwohl es Streit gab: „Shaded feelings, don’t believe you“. Nun ist er nicht mehr da, und das Einzige, was noch bleibt, sind die Blumen zur Beerdigung. Das Wunderbare: Man weiß bis zuletzt nicht, ob einen der Song munter oder traurig macht. Genial ist auch die Produktion von Thomas Dolby, Mitte der 80er-Jahre ein Genie in der Disziplin, Weißbroten eine Art synthetischen Funk beizubringen, ohne deren Gespür für Popmelodien zu verwässern.

76. The Kingsmen – „Louie Louie“

A-Dur, D-Dur und E-Moll – das können sich auch Nicht-Gitarristen an einem Nachmittag draufschaffen, sofern ihre Finger vollzählig sind. Was den Erfolg dieses Drei-Akkord-Wunders erklärt, das seit den 60er-Jahren zu den Standards zahlloser Amateurkapellen gehört. Der Song wurde 1955 geschrieben, es kursierten allerlei Rock- und Latin-Pop-Versionen, aber die herrlich holprige und vernuschelte Aufnahme der Kingsmen aus Portland/Oregon machte das Rennen und markiert die Geburtsstunde des Garagenrock.