Fischer-Z


Schon mal was von den Fisher-Z-Werten gehört? Oder vom sogenannten Wortsalat-Phänomen? Nein? Dann wird es höchste Zeit, daß eine allgemeinbildende Gruppe wie Fischer-Z die Szene betritt und unseren Horizont entsprechend erweitert. Außerdem ist dies wohl die erste Band, die in unseren Breiten wegen eines angeblich anti-kommunistischen Songs fast auf den Index geriet.

The leading Lady of the Bohhy Ballett/She only lived for dancing/…/She still heard the warnings of family and friends…/Don’t leave till you’re sure you’ll be happier. “ („The French Let Her“, Fischer-Z.)

Kaum anzunehmen, daß Bolschoi Ballerina Ljudmilla Wlaslowa diesen Song von Fiseher-Z mastermouth John Watts im Ohr hatte, als sie ihren asylsuchenden Ehemann Alexander Godunow Ende August in den Staaten zurückließ und in die UDSSR zurückkehrte. Watts‘ Ballerina (ver)endet jedenfalls tragisch durch Selbstmord im Goldenen Westen. Mit dem bekannteren Singletitel „Remember Russia“ wiederum handelte sich Watts bei der BBC fast ein Sendeverbot ein. weil man zunächst annahm, es handele sich dabei um einen anti-kommunistischen, speziell einen antirussischen Song. „Ich bin einfach kein Freund davon, die Technologie zu mißbrauchen,“ erklärt John Watts. „Der Song bezieht sich sowohl auf den russischen Satelliten, der vor einiger Zeit über Kanada abstürzte, als auch auf die Skylab-Trümmer.“

John Watts, Psychologe mit Staatsexamen (genau wie Fischer-Z-Keyboardmann Steve Skolnik). hat sich für die erste LP. „Word Salad“. noch weitgehend von seiner Fachrichtung inspirieren lassen. Das beginnt schon mit dem Gruppennamen, den er von den sogenannten „Fisher-Z-Werten“ ableitete. Die Fisher-Z-Werte gelten als ein Maß zur Überprüfung von Statistiken. Watts: „Ich wollte einen Namen, der ein ,Z‘ enthielt. Da ich während des Studiums viel mit Statistiken zu tun hatte, verfiel ich schließlich auf die sogenannten Fisher-Z-Werte und habe in den Namen aus Gründen der Symmetrie -(???) – nur noch ein „c“ eingebaut.“

„Word Salad“ schließlich ist ein Idiom aus dem Bereich der Schizophrenie. „Schizophrene bilden zwar Sätze, die jeder für sich einen Sinn ergeben, aber aneinandergereiht völlig unsinnig sind,“ belehrt er mich. „Die Songs auf der LP haben nämlich auch keine rechte Beziehung zueinander. Eigentlich findest du darauf acht verschiedene Richtungen. Die nächste LP,“ so versichert John allerdings, „wird schon einen eindeutigeren Bandsound vorzeigen.“ Zwei Schwerpunkte soll es in Zukunft nur noch geben: federnde semi-Reggae-Songs wie „Remember Russia“ oder „The Worker“ und spontan-dynamische Titel, wie sie Fischer-Z bei ihrer Stippvisite in Deutschland in der Hamburger Markthalle vorstellten.

Fischer-Z live ist eine Überraschung. Denn musikalisch zwar nicht uninteressant, droht die LP doch manchmal in ein vergleichsweise harmloses Fahrwasser abzugleiten. Fischer-Z live dagegen paart spontane Dynamik mit einer offenen Freundlichkeit, die bei den eingefleischten Punkfans in Londons einschlägigen Clubs nur,auf Verachtung stieß. „Die wollen, daß man 15 schnelle Nummern hintereinander spielt und nicht redet.“ Aber gerade das ist Johns Leidenschaft. Er redet nicht nur wie ein Buch (mastermouth Eigenzitat), sondern schwört auch auf die Kommunikation mit dem Publikum. Nicht umsonst steht er bei Fischer-Z-Auftritten auf erhöhtem Podest, wo sonst der (jetzt nach links unten verbannte) Drummer seinen Platz hat. Trommler Steve Liddle ist übrigens der einzige in der Band, der keine klassische musikalische Ausbildung genossen hat. Bassist David Graham, Keyboardmann Steve Skolnik und John holten sich ihren Schlagzeuger sozusagen vom Golfplatz. John: „Steve Liddle hat vorher nichts mit Musik zu tun gehabt; er spielt aber unheimlich gut Golf!“

Das sollte allerdings nicht als Spitze des Chefkomponisten, -texters und -arrangeurs Watts mißdeutet werden. Der ehemalige Musiktherapeut freut sich sogar, „die besten Musiker zu haben, die ich für Fischer-Z kriegen kann.“ Zugunsten eines klaren Gruppensounds ist ein möglicherweise tödliches Problem auch schon beizeiten ausgeräumt worden: Steve Skolnik, John’s ehemaliger Berufskollege, liegt, persönlich auf einem völlig anderen Geschmackslevel. Seine Stimme ist viel weicher als das geschulte und unbegrenzt strapazierbare Watts-Organ, und seine Songs (die er reichlich, reichlich schreibt) gehen in die soften Geleise eines Gary Rafferty.

Seinen obersten Songschreiber-Grundsatz konnte John Watts schon auf der ersten LP umsetzen: „Zuerst muß ein Titel auch auf oberflächlichem Niveau funktionieren und zwar für alle, die nur über die Melodie ansprechbar sind. Für alle, die sich auch in die Texte hineinknien wollen, tritt dann die zweite Ebene in Kraft. Watts‘ intelligente Texte auf der LP „Word Salad“ (siehe Longplayers ME 9/79) sind aber tatsächlich oft besser als die dazugehörigen Melodien. Da gibt es zum Beispiel den Titel „Lies“; Szenen aus dem Leben in einer Nervenklinik. „Es gehl um die Medikamente, die in den Krankenhäusern so verabreicht werden.“ erklärt John; „außerdem interessiere ich mich für die Definition des Begriffes ‚verrückt‘. Was ist verrückt? Was ist mit dem gesellschaftlichen Umfeld, den Familien, die Menschen verstört und unglücklich werden lassen?“

Im Gegensatz zu vielen englischen Clubbands, die auf einer größeren Bühne plötzlich jämmerlich verloren gehen, erdachte Theaterfreak Watts für Fischer-Z gleich von anfang an eine Präsentation, die auf große Hallen spekuliert. Ziemlich schnell legte die Band darüberhinaus auch ihre stilisierte Sterilität ab – und das bekam ihr großartig. „In Wirklichkeit sind wir nämlich ganz freundlich und happy, warum sollten wir uns also auf der Bühne nicht genauso geben? Wenn du versuchst, etwas zu erzwingen wirkt es schnell aufgesetzt und künstlich. Am besten ist es, du gellst auf die Bühne und amüsierst dich, das überträgt sich nämlich auf das Publikum.“ Und damit seine Theorie nicht wieder im Bierdosenhagel aufgebrachter Punks sterben muß, läßt Watts die New Wave-Clubs in Zukunft links liegen. Im Herbst soll Fischer-Z noch einmal für ein paar Gigs nach Deutschland kommen, genaues war bis Redaktionsschluß jedoch nicht bekannt. Hierzulande verkaufte sich „Word Salad“ innerhalb kurzer Zeit nämlich 30.000 mal. Darum an dieser Stelle John Watts‘ denkwürdige Aussage: „Ich fühle mich England gegenüber überhaupt nicht verpflichtet!“ Übrigens hat er noch ein Theaterstück in Arbeit, weigert sich aber darüber zu sprechen, solange es nicht abgeschlossen ist. Er mag ja viel reden, aber geschwätzig ist er wohl doch nicht.