Alles Selig!


Da mögen die Gerüchte um die Unpäßlichkeit von Sänger Jan Plewka noch so brodeln: Die Jungs von Selig lassen sich keine grauen Haare wachsen, platzen fast vor Stolz über ihr neues Album und schielen jetzt gar nach USA.

Irgendeine Sau wird immer durchs Dorf getrieben, das ist bekannt. Nur daß es diesmal ausgerechnet Deutschlands Vorzeige-Band Selig erwischte, gab doch Anlaß zum Stirnrunzeln. Denn die fünf Freunde, die mit emotionalen Hits, durchgestylten Clips und fulminanten Live-Auftritten einen rasanten Aufstieg erlebt hatten, galten allenthalben als besonders nette Jungs ohne jede Star-Allüren. Dennoch war Sänger und Frontmann Jan Plewka urplötzlich in die Schußlinie der Musikmagazine und vor allem auch der Hamburger Lokalpresse geraten. Der Grund: Selig hatten kurzfristig die Teilnahme am sonst so beliebten Sommerfestival-Wanderzirkus abgesagt. Da konnte die Plattenfirma noch so hartnäckig beteuern, Plewka sei einfach nur überlastet – die Presse glaubte, es besser zu wissen: Von einem Nervenzusammenbruch war da die Rede, ja sogar von Drogenmißbrauch und einer möglichen Aidserkrankung.

Wer vor diesem Hintergrund bei Selig düstere Mienen und von den Ausdünstungen der Gerüchteküche umnebelte Köpfe erwartet hatte, wird jetzt allerdings eines Besseren belehrt: Gut gelaunt und aufgeräumt sind Stephan „Stoppel“ Eggert, Christian Neander, Leo Schmidthals und Malte Neumann zum Interviewtermin angetreten – trotz der offensichtlichen Abwesenheit von Jan Plewka keine Spur von Frust!

Also keine Untergangsstimmung bei Selig? „Alles Quatsch“, eröffnet Stoppel, „wir haben eine neue Platte und sind superglücklich!“ In der Tat: Bei Erwähnung des neuen Albums „Blender“ breitet sich ein zufriedenes Grinsen auf den vier Gesichtern aus. Aber trotzdem: Wo ist Jan, und was ist denn nun eigentlich vorgefallen? „Das ist eine lange Geschichte,“so Christian.“Im vergangen Jahr hatten wir uns alle ein wenig aus den Augen verloren. Wir waren seit 1993 jedes Jahr rund neun Monate gemeinsam auf Tournee, da geht man sich irgendwann auf die Nerven. Erst im Studio in New York sind wir dann wieder zu einer großen lustigen Familie zusammengewachsen. Das Problem mit Jan war nur, daß er zwei Wochen vor der Abfahrt nach Amerika Vater wurde (es ist ein Mädchen namens Lea; Anm. d. Red.). Das hat ihn etwas aus der Bahn geworfen.“ Stoppel ergänzt: „Genau. Und in New York hinkte er dann plötzlich mit den Texten, für die er ja zuständig ist, hinterher. Wir hatten viel Spaß bei den Aufnahmen, haben viel herumexperimentiert. Nur irgendwann war es einfach an der Zeit, mit Texten rauszurücken.“ Also hatte Jan unter dem Druck der restlichen Bandmitglieder zu leiden? „Nö,“ beteuert Malte,“wir haben nur gesagt – äh, ‚Jetzt schreib doch mal ’nen Text, Jan‘.“ Allgemeines Gelächter. „Die letzten Texte entstanden dann tatsächlich erst nach unserer Rückkehr nach Hamburg, aber das hat ihrer Qualität nicht geschadet,“ erzählt Christian, der sich übrigens – wie alle anderen Seligen -von seinem langen Haarschopf getrennt hat. „Es ist nur einfach angesagt, Jan jetzt ein wenig Urlaub und Zeit für seine Familie zu gönnen. Daher die Festival-Absagen. Aber im Oktober starten wir dann unsere eigene Tournee, da kommt uns nichts dazwischen. Wir sind eigentlich sogar froh, daß es so gekommen ist, denn uns ist es am liebsten, einen Konzertabend ganz alleine zu gestalten. Da ist manchmal selbst die Vorgruppe zuviel – ganz zu schweigen von so ’nem Festival-Bandauftrieb. Wir spielen nicht gern vor einem ausgepowerten Publikum. Die sollen da unten genauso lange durchhalten und Spaß haben wie wir auf der Bühne.“

Hinter all der Aufregung steckt also keine spektakuläre Absturz-Geschichte.

Jan ist gestreßt. Punkt. Mehr wollen und können Stoppel,Malte,Christian und Leo dazu wohl auch gar nicht sagen. An ihnen ist die ganze Hektik ohnehin abgeprallt. Sie denken nur an ihr neues Werk, das im Juli in den Regalen der Plattenläden steht: „Wir sind so stolz,“ schwärmt Christian. „Als wir nach New York ins Studio fuhren, hatten wir überhaupt keinen Plan, waren in keinster Weise vorbereitet. Und dann sind so tolle Dinger dabei rausgekommen.“ Stoppel nickt: „New York hat uns extrem gut getan. Die Menschen dort sind so offen, so kosmopolitisch.“ Kein Wunder also, daß auch „Blender“als wilder Stilmix aus psychedelischem Rock, Funk, HipHop und gar Drum ’n‘ Bass-Elementen daherkommt? „Klar, wir haben uns schon beeinflussen lassen. Früher haben wir einfach drauflos gespielt, das kam dann roh und erdig rüber. Diesmal haben wir im Studio endlos gebastelt, Loops eingebaut, gemixt, und, und, und… Die Platte ist so verspielt, sie hält uns den Weg frei für alles, was da noch kommen mag.“Leo grinst:“Vielleicht ein Unplugged-Album, oder pure Elektronik, wer weiß…“

Wie sieht’s aus mit Zukunftsvisionen? Alle vier gucken über ihre Kaffetassen hinweg ins Leere. Dann wirft Christian Neander Stoppel einen Blick zu und knurrt: „Das einzige, was uns zu unserem Glück noch fehlt, sind US-Gigs. Es wurmt uns einfach, daß wir auf dem US-Markt keinen Fuß in die Tür kriegen. Die Plattenfirmen da drüben wollen einfach nichts von uns wissen. Dabei würden Stoppel und ich so gerne mal eine Zeitlang in den USA leben…“-„Das wird schon noch,“ tröstet ihn Stoppel grinsend, „und dann muß Jan neue Texte schreiben-auf englisch!“