Alphaville


Das Zeitalter der Raumfahrt ist für Deutschlands hymnischte Pop-Band endgültig vorbei. Ihr "Afternoon in Utopia" dauerte zwei Jahre. Jetzt haben sie High Tech nur noch im Studio, in den Köpfen der Drei schwirrt es eher meditativ. Thomas Böhm war im Lunapark von Alpha-Stadt.

Mehr als zwei Jahre ist es her, da versammelten sich knapp eine Million junger Leute im „Lunapark“ von Alphaville und verbrachten einen romantischen und verträumten AFTERNOON IN UTOPIA.

Danach verschwand Alphaville im Nebel der Zeit, die jungen Leute wurden älter und der Nachwuchs klammerte sich an neue Popstars. Doch still wurde es im Lunapark nie. Während sich, vier Jahre nach Veröffentlichung, ihre alte Hymne „Forever Young“ ein zweites Mal in den amerikanischen „Billboard „-Charts wiederfand, verzogen sich Marian Gold, Bernhard Lloyd und Ricky Echolette in ihr eigenes Lunapark- Studio und verwirklichten ihre neuen klingenden Träume „Nach der Vollendung von AFTER-NOON IN UTOPIA waren wir innerlich und äußerlich zerrissen“, erzählt Marian. “ Wir waren mit der bisherigen Art und Weise unserer Schallplattenproduktion nicht mehr zufrieden. Es hat sich doch schon überall eingebürgert, daß man aus 20,30 Demos mit einer Schere im Kopf die angeblich besten für die LP aussucht. Als ob nicht alles gut ist, was man gemacht hat!

Anschließend arbeitet man sich Track für Track vor, für mehrere Songs gleichzeitig. Dieser Arbeitsmechanismus ist doch sehr fabrikationstechnisch entfremdet.“

So fand bei Alphaville eine Zäsur statt. Sie taten so, als gäbe es überhaupt kein fertiges Material, sondern setzten sich ins Studio, um dort die Songs Stück für Stück zu entwickeln, zu arrangieren und zu mixen. „Nur so konnten wir die Entwicklungsprozesse überschaubar gestalten und unseren Stil kontinuierlich weiter entwickeln. „

Nach 21 Monaten und zehn Songs war die schwere Geburt beendet. THE BREATHTAKING BLUE ist ein zeitloses Werk, das sich einen Dreck um die allgemeine Musikentwicklung der letzten zwei Jahre schert. „Musik entsteht jetzt ausführlich in unseren Köpfen und richtet sich nicht nach Trends. Dafür haben wir gar keinen Platz. Alphaville ist eine Band mit eher konservativen Klangvorstellungen, eine Band, die auf subtile Art sehr eigen ist und so weit wie möglich autark fühlt und denkt. „

Da paßte der Elektronik-Tüftler Klaus Schulze als Produzent genau richtig ins Konzept.

Nicht nur in Manans variabler Stimme spiegelt sich das bisher größte musikalische Spektrum von Alphaville wieder; THE BREATHTAKING BLUE ist mit Swing, Rock’n-‚Roll, Balladen, Pop und Klassik gefüllt und mit der zu erwartenden Intensität gekrönt.

„Wir verarbeiteten diesmal sehr archetypische Sachen: Unsere Lieder sind wie Fenster aus ein- und demselben Gebäude. Man kann mit ihnen die Welt aus unserer Perspektive sehen, aber durch unsere symbolhafte Sprache auch eigene Assoziationen finden.“ Alphaville — und wie sie die Welt sehen. Verschlüsselt, mystisch, ästhetisch und mit klanghaften Bildern.

So konservativ die Einstellung von Alphaville scheint, so zukunftsweisend ist die technische Umsetzung. Um ihr Anliegen zu verdeutlichen, bedienten sie sich einer neuen Technik, der CD-Graphics, die erst nach der diesjährigen Funkausstellung auf den Verbraucher-Markt kommen wird. Auf etwa 0,5 Prozent der CD-Kapazität, bisher ungenutzt, können bewegliche Bilder gespeichert werden, die (über einen zusätzlichen Ausgang) auf einem Monitor sichtbar werden. Das Ergebnis dieser Suche (sowie die Rückübersetzung der Texte ins Deutsche, die ebenfalls auf dem Bildschirm erscheint) ist die eigene Interpretation von THE BREATHTAKING BLUE, frei nach Marian Gold.

Doch damit nicht genug. Mit dem Video-Projekt „Songlines“ stoßen Alphaville ebenfalls in eine neue Sphäre vor.

Die Idee der „Songlines“ entspringt der Religion der australischen Ureinwohner, die besagt, dass die Götter am Anfang der Welt durch die Wüste wanderten und durch ihre Gesänge die Schöpfung ins Leben riefen. Noch heute gehen die Aborigines diesen „Songlines“ nach.

„Wir wollten einfach keine herkömmlichen Videos produzieren, sondern Kurzfilme von unserer Musik machen lassen. So haben wir namenhafte Regisseure wie Godfrey Reggio, Ian Pringle und Slobodan Pesic angesprochen, die sich die einzelnen Lieder vornahmen und filmisch umsetzten.“

So erschafft THE BREATHTAKING BLUE eine neue Welt. Eine schöne neue Welt mit Alphaville als Hauptstadt.