Another Diamond Life


An einem regnerischen Londoner Nachmittag Ende des alten Jahrtausends schlitterte die Musikwelt an einem Kataströphchen vorbei. Mit dem Millennium Bug hatte es nichts zu tun, sondern mit schnödem Magnetismus. Nach monatelanger Spurensuche und endlosen Telefonaten und E-Mails hatte Vashti Bunyan, Hausfrau und Mutter, die Rechte an einem Album für sich erworben, das sie 30 Jahre zuvor aufgenommen hatte, 1969, in einem anderen Leben. Als sie das Masterband von just another Dl amond day an diesem Nachmittag aus dem Lagerhaus von Universal Music, in dessen Bauch es drei Jahrzehnte geschlummert hatte, ausgehändigt bekam, ging ein Wolkenbruch los. Das Viertelzoll-Tape mit dem Album, das außerhalb dieser kleinen Spule nur noch auf ein paar von Sammlern teuer gehandelten Vinylscheiben (sie selbst besaß keine) und einem miserablen, lückenhaften CD-Bootleg existierte, in der Tasche, flüchtete die Frau in die U -Bahn und fuhr zu ihrem Hotel. Um später daraufhingewiesen zu werden, wie viel Glück im Spiel war, daß die Aufnahme in der Elektromagnetenhölle der London Underground nicht sang- und klanglos ausradiert worden war. Die Welt hätte nie erfahren, was für ein zauberhaft schönes Stück Musik sie verloren hätte. Und Vashti Bunyan selbst auch nicht. Beim Re-Mastern in einem BBC-Studio hörte sie die Musik, vor der sie 30 Jahre lang davongelaufen war, zum ersten Mal überhaupt auf anständigen Lautsprechern. „Da wurde mir klar, was wir damals geschaffen hatten“, sagt Vashti heute. „Und ich dachte, vielleicht ist das Album wirklich noch einen Anlauf wert.“ 1965 war die bezaubernde End-Fünfzigerin mit dem leisen Lachen und dem feinen schottischen Akzent, die dem ME-Gesandten an einem Oktobernachmittag 2005 in München gegenübersitzt, eine aufstrebende Londoner Singer/Songwriterin und als solche unter den Fittichen des Impresarios Andrew Loog Oldham, Manager der Rolling Stones und von Marianne Faithfull, gelandet. „Es stimmt nicht, daß Andrew Oldham sich dieses Folk-Küken schnappte, um es gegen seinen Willen zu einem Popstar zu formen“, sagt Vashti und lacht. „Ich wollte es. Seit ich 14 war.“

Doch der Popruhm blieb aus. Eine Abstempelung als „tumbere, dunkelhaarige Version der Faithfull“ (Bunyan) in der Presse und der Mißerfolg der von Oldham produzierten Singles sägten am Selbstbewußtsein der knapp 20jährigen, bis sie nach drei Jahren aufgab und einen radikalen Schnitt setzte. Im Frühjahr 1968 kehrte die „praktisch veranlagte und einzelgängerische“ Tochter aus behütetem Elternhaus London und dem Popgeschäft den Rücken und brach in einem Zigeunerwagen mit vorgespannter Ein-Pferdestärke, Maler-Freund Robert Lewis, Hunden und Gitarre auf in Richtung Schottland, um sich – so die vage Aussicht – einer Künstler-Kommune des Folksängers Donovan anzuschließen. Zwei Sommer und einen Winter, den man im Farmhaus von Bekannten verbrachte, währte die Hippietraum-Reise, die Vashti Bunyan nachhaltig prägte. „Zu wissen, daß wir auf diesem kleinen Raum alles hatten, was wir brauchten, war so gut. Jeden Tagtrafen wirneueLeute, die das interessierte, was wir da machten. Oder die die Polizei riefen und uns wegjagten. So unglaublich viele Erlebnisse und Abenteuer, jeden Tag. Im Rückblick wird mir klar, wie außergewöhnlich es war.“ In dieser Zeit on the road schrieb Vashti die Songs, mit denen sie im Herbst 1969 auf Drängen von Freunden in ein Londoner Studio zurückkehrte. Mit einem erlauchten Kreis von Folk-Spezis – den Nick-Drake-Vertrauten Joe Boyd und Robert Kirby als Produzent respektive Arrangeur und Leuten von Fairport Convention und der Incredible String Band — entstand just another diamond day, „a unique narrative of late sixties dreaming“, wie es in den Liner Notes des 2000er-Rerelease heißt. Die aber an der Schwelle zu den hedonistischen zoern keiner hören wollte. Vashti lächelt bitter. „Das Album hätte ’68 noch eine Chance gehabt. Aber als es Ende 1970 rauskam, war der Zynismus in voller Blüte. Wer wollte etwas über die verrückte Reise eines Hippiemädchens hören? Hippies waren komplett unten durch, die 60er waren vorbei. Es gab keine Herzlichkeit, keine Großzügigkeit damals. Nur Konkurrenzdenken.“

Enttäuscht, niedergeschmettert und ohne sich noch weiter um Promotion für die Platte – die, als Sammlung von „trivialen Kinderliedern“ verlacht, unterging – zu kümmern, entfleuchte sie im Sommer ’70, mittlerweile Mutter, endgültig zurück nach Schottland. In ein völlig neues, gutes Leben, eine „ländliche Existenz“ im Bergland 30 Meilen von Glasgow, mit Mann und Kindern und Hunden, Ackerbau und Pferdezucht, Alternativ-Möbelhandlung und Werkstatt – und ohne Hausmusik. Mehr als 25 Jahre lang faßte Vashti Bunyan keine Gitarre mehr an, just another diamond day wurde zu einer Art dunklem Familiengeheimnis, nicht einmal ihren Kindern spielte sie es vor. „Wenn ich meine alte Martin mal in die Hand nahm, legte ich sie gleich wieder weg. Weil sie klang wie die Gitarre auf diamond day. Ich ertrug das nicht. Ich ertrug es nicht, an das Album erinnert zu werden. Ich wollte es aus meinem Leben haben. Weil es mich an mein Versagen erinnerte. Ich liebte Musik und Musiker und ich hatte es geliebt, mich in dieser Welt zu bewegen. Und kein Teil davon sein zu können, tat weh. Ich konnte nur so damit umgehen, es völlig auszublenden.“ Sie ließ auch kaum Musik von anderen in ihr Leben. „Meine Tochter meinte mal: Mum, ist dir klar, daß wir all die Jahre nichts anderes gehört haben als Bob Marley, Bob Dylan und Planxty?“ Fast 30 Jahre lang funktionierte die Verdrängung. Mitte der 90er dann zog Vashti Bunyan nach Edinburgh. Sie hatte begonnen, die Geschichte ihrer Reise aufzuschreiben, und sich einen Computer besorgt. Irgendwann 1997 war da ein Internetzugang – und ein Fund, der ihr Leben veränderte: Im Chatroom einer incredible-String-Band-Seite rätselten Fans über diese mysteröse Vashti Bunyan, die nach einem zauberhaften Album spurlos verschwunden war. „Zu sehen, daß da Leute waren, die sich damit beschäftigten, es diskutierten, das Cover abgebildet zu sehen, machte das Album plötzlich real für mich. Da fing ich an, mir diamond day nach all den Jahren wieder anzueignen.“ Sie freundete sich mit dem Musikfreak Paul Lambden an, der ihr Mitstreiter wurde beim Bemühen um einen CD-Release von diamond day. „Wie warm undpositiv das Album bei derWiederveröffentlichung im Jahr 2000 aufgenommen wurde, war vollkommen überwältigend für mich“, sagt Vashti heute. „Daß die Leute es verstanden. Daß es keine Kinderlieder waren, sondern ein sehr persönliches Dokument.“ The Cult of Vashti Bunyan wuchs. Der junge, noch unbekannte Devendra Banhart entdeckte Anfang des Jahrzehnts diamond day, nahm Kontakt auf, wurde guter Freund („er ist ein verwandter Geist“,Vashti) und bewundernder Förderer, betrieb etwa die Veröffentlichung des Albums in den USA.

2002 Stand Vashti Bunyan zum ersten Mal seit 33 Jahren wieder in einem Aufnahmestudio. Piano-Magic-Chef Glen Johnson hatte sie geladen, den Song „Crown Of The Lost“ für das Album writers without Homes zu singen. „Nach der Session ging ich durch den Hyde Park, wie auf Wolken, und sah, wie sich dieses neue Leben vor mir auftat. Daß ich es tun konnte, wenn ich wollte.“Sie hatte wieder angefangen, Songs zu schreiben. „Glen ermutigte mich, Devendra erzählte überall rum, wie toll dmmond day sei. Mein Selbstbewußtsein wurde von anderen Leuten restauriert.“ Kurz kamen ihr Zweifel, ob ein neues Album eine gute Idee war. Je mehr der Mythos um Diamond Day wuchs, desto mehr dachte ich: Ich darf das nicht zerstören. Ich muß es in diesem Nebel lassen, es dieses Waisenkind sein lassen, das nichts mit mir zu tun hat.“ Sie lächelt. „Aber dann gewann das, was immer es ist, das einen Dinge in die Welt setzen läßt, die Oberhand.“

Im Oktober, fast genau 35 Jahre nach dem Debüt, ist Vashti Bunyans zweites Album Lookaftering erschienen, das wunderbar stimmig und klanglich nahtlos an Diamond Day anknüpft. Neben einer New-Folk-Allstartruppe von Devendra Banhart bis Joanna Newsom ist mit Robert Kirby auch ein alter Weggefährte darauf zu hören. „Im Studio sah ich Robert zum ersten Mal seit 35 Jahren wieder. Er sagte:,Wir sind die Übriggebliebenen, was?‘ Ich wußte, was er meinte. Er war der einzige hier in meinem Alter. Wir sind die Glücklichen, die das nach all den Jahren noch machen dürfen.

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