BÜCHER


Briefe an Emma Bowlcut von Bill Callahan *****

Literarisches Debüt des Mannes, der sich Smog nannte

Es ist schon verblüffend: Auch in der (sehr guten) deutschen Übersetzung meint man beim Lesen Bill Callahans tiefe, immer auf eine lakonische Art betrübt klingende Singstimme zu hören. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn ein Satz wie „Malls sind wie große leere Aquarien, wo Mädchen ohne Wasser schwimmen lernen“ ist nun mal eine treffliche Beobachtung, wie sie auch in Callahans Songs unvermittelt auftaucht. Auch ist der Charakter, der hier einer weiblichen Partybekanntschaft 62 Briefe schreibt, so bitter selbstironisch wie der Songwriter, der sich einst im Smog-Song „To Be Of Use“ wünschte, so nützlich wie ein Korkenzieher zu sein. Es gibt weder Antwortbriefe der Frau noch persönliche Treffen. Der Protagonist bleibt ein einsamer Mann, der einer nebulösen Arbeit nachgeht und Freude hauptsächlich als Zuschauer von Boxkämpfen empfindet, bei denen er natürlich zu den Verlierern hält. Zum Heulen wie zum Lachen. Eine ergreifende Saga aus der menschlichen Grauzone.

Die Liebeshandlung von Jeffrey Eugenides ****

Collegeroman, Liebesgeschichte und Theoriekritik in einem

„Middlesex“ von Jeffrey Eugenides war einer der amerikanischen Romane des vorigen Jahrzehnts, der mit großer Erzählgeste gleichermaßen Verkaufserfolge und Kritikerlob einheimste. Neun Jahre später wählt Eugenides die etwas kleinere Form und erzählt eine recht konventionelle Dreiecksgeschichte um die College-Absolventin Madeleine, um deren Liebe der genialische Biologe Leonard und der selbstquälerische Theologe Mitchell buhlen. Wobei das Ringen schnell entschieden ist, denn Mitchell ist nicht Manns genug, sich frei zu offenbaren. Allerdings stellt sich heraus, dass Leonard manisch-depressiv ist, und als er mit seinen Medikamenten experimentiert, möchte man den anderen Figuren zurufen: „Passt auf ihn auf!“ Zu den Stärken zählen die kenntnisreichen Schilderungen des College-Lebens Anfang der Achtziger, das Madeleine, die behütete Liebhaberin viktorianischer Liebesromane, herausfordert: „Madeleines Liebeswirren hatten zu einer Zeit begonnen, als sie Bücher von französischen Theoretikern las, die den Begriff der Liebe dekonstruierten.“ Eugenides zeichnet diesen verkopft-intellektuellen Ansatz, der in allem nur noch Zeichen sieht, mit fein gesetzter Ironie. Doch während er auf diese Weise die Literaturtheorie gegen das wahre Leben ausspielt, streut er allerdings selbst die Zeichen, die in Richtung Meta-Ebene verweisen, allzu deutlich ein.

1001 Songs, die Sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist

von Robert Dimery (Hg.)

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Das ideale Buch für das Playlist-Zeitalter

Natürlich gibt es schon zahlreiche ähnliche Zusammenstellungen – oft sind sie auf bestimmte Epochen oder Genres spezialisiert, noch öfter führen sie eher Alben als Songs auf. Doch gerade die Konzentration auf das einzelne Musikstück ist die passende Darstellungsform für den digitalen Musikkonsums zwischen Download und Streaming. Mit „1001 Songs“ lassen sich vielfältige und lehrreiche Playlists erstellen. Die Songs in diesem Buch sind chronologisch sortiert, 1916 beginnend mit „O Sole Mio“ und mit drei Titeln aus dem Jahre 2010 endend. Zu jedem der 1001 Songs gibt es einen kenntnisreich geschriebenen Kurztext; dazu kommt noch ein Anhang mit einer Liste von 9000 weiteren empfohlenen Liedern. Erfreulich ist dabei, dass dieses ursprünglich in England erschienene Werk eine recht internationale Auswahl hat (Popfans in aller Welt werden auf Peter Licht verwiesen!) und sich nicht nur auf den allzu vertrauten Kanon verlässt. Ein Buch nicht nur für Listen-Nerds.

Never Get Old? Interviews mit Musikern über das Älterwerden

von Jörn Morisse mit Oliver Koch

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Musiker reden über ihre Lebensstrategie.

Die ewig junge Popmusik ist in die Jahre gekommen. Wie im Jazz auch, gibt es längst Karrieren, die sich mit Höhen und Tiefen über Dekaden hinziehen. Keine schlechte Idee also, eine Reihe von Interviews unter diesem vielschichtigen Oberthema zusammenzufassen. Die Autoren haben dafür eine breite Künstlerauswahl im Hinblick auf das musikalische Spektrum und die jeweilige Lebensperspektive getroffen. So steht Poly Styrene von X-Ray Spex, die über ihren kurz bevorstehenden Krebstod spricht, neben dem 31-jährigen Conor Oberst, der sagt, er fühle sich immer älter als er ist. Die nach dreißig Jahren wiederentdeckte Folksängerin Vashti Bunyan hat genauso Platz wie der weiterhin sehr engagiert klingende Techno-Veteran Tanith. Ein Popstar wie Kim Wilde erlebt natürlich ganz andere Herausforderungen des Alterns als ein musikalischer Außenseiter wie Larry Parypa von den Sonics. Den verbittertsten Satz sagt wohl Marian Gold von Alphaville: „Als alternde Nutte ist es schon ganz schön scheiße.“ Auch wenn die meisten Interviewten letztlich eine positive Altersstrategie entwickelt haben, ist in dieser anregenden Sammlung immer herauszulesen, welche Unsicherheiten dabei stets mitschwingen.