Auch auf ihrem neuen Album „All Is Dream“ geben Mercury Rev sich wieder als genialische Sonderlinge.


„Bands, those funny little plans, that never work quite right“ sang Jonathan Donahue noch 1998 mit seiner schmalen, verletzlichen Stimme auf „Deserter’s Songs“. Ein melancholischer Rückblick ausgerechnet auf einem Album, das Mercurv Revs internationalen Durchbruch besiegelte. Und eine Reminiszenz auf Gründungsmitglied David Baker, der für die Klangorkane auf „Yerself Is Steam“ (1991) und „Boces“ (1993) verantwortlich zeichnete. Begeisterte Ratlosigkeit schlug der Band aus Llpstate New York damals, im Fahrwasser des Grunge, entgegen. Der „Melody Maker“ selig pries „Yerself Is Steam“ als „erstes großes Rockalbum der Neunziger“, der MUSIKEXPRESS hörte seinerzeit „ka-thanische, gut ausbalancierte Geräuschexplosionen aus dem All“. Aber Bands, diese lustigen kleinen Pläne, gehorchen anderen Gesetzen. „David fürchtete sich vor ausgetretenen Pfaden“, sagt Donahue, „wir dagegen wollten in eine melodiösere Richtung. Es war besser für beide, dass wir uns trennten“.

Wie man’s nimmt: Baker lebt heute in Chicago, sein extrem experimentelles Projekt Shady ist nur Kennern vertraut. Mercury Rev dagegen spielen inzwischen in der Oberliga, waren bei Lollapalooza, kolaborieren manchmal mit den Chemical Brothers und punkten mit geschmackvollem Soflrock („Goddess On A Hiway“). Und das alles, ohne ein Jota an Authentizität einzubüßen.Besonders gerne erinnert sich Donahue an den Auftritt beim US-Rockspektakel Lollapalooza: „Nach einer Weile zerrten die Verantwortlichen unseren Tonmann vom Mischpult weg und drehten uns den Saft ab – wir waren einfach zu laut“. Heute gleichen Konzerte von Mercury Rev eher sakralen Rock’n‘ Roll-Messen, mit Adam Snyder hinter seinem analogen Equipment und Jonathan Donahue hinter der verspiegelten Pilotenbrille. Jeder ihrer Gigs wird von der Band mitgeschnitten, ein Live-Album wurde für die nicht allzu ferne Zukunft in Aussicht gestellt. Da kippen süße Melodien jäh in Feedback-Wasserfälle, flüstern Oboen und wimmern singende Sägen – obwohl die Frau an den Flöten, Suzanne Thorpe, die Band nach „Deserter’s Songs“ verlassen hat. „Um in New York ihren Abschluss in Forensik zu machen“, wie Donahue berichtet.

Auch Schlagzeuger Jimy Chamber hat seinen Hut genommen, um Solopfade zu verfolgen. Er wurde durch Jeff Merce) ersetzt, der ein etwas differenziertes Spiel darbietet. „All Is Dream“ tut das keinen Abbruch, folgt das Album doch dem bewährten Schema des umjubelten Vorgängers. Und wer möchte, kann sogar den Einfluss von Jack Nitzsche heraushören. Dem legendäre Session-Musiker (Rolling Stones, Phil Spector) halten es vor allem die halsbrecherischen Akkordwechsel auf „Deserter’s Songs“ angetan: „Er wollte unbedingt an unserem nächsten Album mitarbeiten, wir telefonierten häufig“, erinnert sich Donahue, der mit Americana-Legenden bereits gute Erfahrungen gemacht hat: Für „Deserter’s Songs“ konnte er Levon Helm und Carth Hudson von The Band gewinnen – sie wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Catskill Mountains, dem Hauptquartier von Mercury Rev. „Leider starb Jack zwei Wochen, bevor wir mit den Aufnahmen für ‚AU Is Dream‘ begannen.“ Was sich als Hypothek für das Album herausstellte: „Ich versuchte die ganze Zeit, mir vorzustellen, wie er es sich gewünscht hätte. Jetzt, da das Album fertig ist, weiß ich nicht, ob es uns gelungen ist“, erzählt Donahue. Immerhin ist die singende Säge wieder im Einsatz – ein Geschenk von Jack Nitzsche. Und sogar der berüchtigte Tettix Wave Accumulator spuckt wieder schräge Töne, ein raumfüllendes Instrument, das Sean Mackowiak alias Grashopper (Gitarre) und lonathan Donahue in bester Indie-Tradition und Heimarbeit zusammengeschraubt – und inzwischen als US-Patent angemeldet – haben.

Zur notorischen Bastelleidenschaft von Mercury Rev gesellt sich eine Affinität zum Scheitern: „Wir gehen nicht mit fertigen Songs ins Studio, sondern mit Ideen und Eindrücken. Das versuchen wir dann umzusetzen. Manchmal klappt es prima, manchmal fallen wir auf die Schnauze. Aber das ist okay“, schildert Donahue, der sich selbst für einen miserablen Gitarristen hält. Doch das Unfertige, Unberechnete macht gerade den Charme der Gruppe aus. „Das ist etwas, was wir uns aus früheren Jahren bewahrt haben“, sagt Grashopper. Früher, da war die Band ein loser Haufen, der sich einzig zu dem Zweck zusammenfand, experimentelle Kurzfilme anderer Leute zu vertonen. Irgendwann nahmen die Revs ein Demo auf, und irgendwie geriet es an das britische Jungle/Mint Label. „Yerself Is Steam“ schlug ein wie eine Bombe. Filme indes sind immer noch ein Quell der Inspiration: „Wir haben in den Bergen einen miesen Empfang, aber das Fernsehen liefert noch immer die besten Geschichten“, sagt Donahue, der auch die Texte schreibt. Und wenn morgen Martin Scorsese anrufen würde? Donahue lacht: „Dann würden wir nicht ablehnen“.

Sein Lachen vergeht aber, wenn man die Originalität von Mercury Rev in Frage stellt und etwa andeutet, dass „Holes“ verdächtig nach Pierre Cossos peinlichem Eighties-Hil „Dreams Are My Reality“ klingt: „Es kommt darauf an, was man aus den Sachen macht, die man so aufschnappt. Außerdem sind wir eine exzessive Coverband. Lou Reed, Neil Young, Captain Beefheart oder Sly & The Family Stone – keiner bleibt verschont, man darf sich nur nicht festlegen“. Ein Credo, das auch für die Lyrics gilt, und für den Bandnamen: „Mercury Rev bedeutet gar nichts, wir mochten einfach nur den Gegesatz der beiden Worte. Manche assoziieren damit einen aufgebockten Ford Mercury, anderen denken an den Planeten Merkur“, erläutert Grashopper: „Und Rev ähnelt dem französischen ‚reve‘, Traum, das gefällt mir besonders“. Und Donahue ergänzt: „Am Anfang haben wir täglich den Namen gewechselt. Irgendwann hießen wir Mercury Rev, und dabei blieb’s. Ich weiß nicht einmal, ob der Name überhaupt von uns ist.“

www.mercuryrev.com