Auf die Bühne wollen alle


Tagsüber Büro oder Uni - abends Rollenstudium.

Sie sind 18-26 Jahre alt, gehen tagsüber zur Uni oder in irgendein Büro, betreiben abends Rollenstudium und wühlen in Literatur-, Theater- und Musikgeschichte: 14 Schauspielschüler und -Schülerinnen des Kölner Theaters „Der Keller“. „Machen Sie bloß nicht, zu viel Reklame“, bat uns Dieter Janke, Künstlerischer Leiter und gleichzeitig Leiter dieser privaten Schauspielschule, bei unserem ersten Telefongespräch, „sonst laufen sie mir hier das Haus ein!“ Der Schauspielberuf, so versicherte er, habe auch heute noch nichts von seinem illusionsbeladenen Image und Reiz verloren. Immerhin stehen bei jeder Aufnahmeprüfung (zweimal im Jahr) 30 bis 40 Bewerber Schlange – von denen im Schnitt 2 bis 3 angenommen werden.

„Ich rate grundsätzlich jedem ab, Schauspieler zu werden“, erklärte Dieter Janke, der von seinen Schülern allerdings sagen kann: „Film und Fernsehen betrachten sie höchstens als lukrative Nebenbeschäftigung. Junge Schauspieler lehnen den Film tatsächlich ab – als zu handwerklich und zu wenig künstlerisch. Und obwohl sie sich vom Intellekt her alle sagen können, daß sie als Schauspieler wenig verdienen – auf die Bühne wollen sie alle.“

Und wie sehen sich seine Schüler selbst? Mit weißen Schonern über den Schuhen marschierten wir alle gemeinsam in den ganz und gar mit weißer Folie ausgeschlagenen Probe-Raum; auf Zehenspitzen, denn im oberen Stockwerk lief gerade eine Hauptprobe. Da saßen sie jetzt alle auf der Treppe und wollten zunächst gar nicht mit der Sprache heraus. Die Frage, „Warum Schauspielschule?“, war offenbar doch nicht so klar zu beantworten, wie man annehmen mag. Die Blicke sagten alles: Zurückhaltung, Ablehnung, Hemmung. „Zugeknöpft fangen sie hier an – aufgeknöpft gehen sie“‚, hatte uns Dramaturg Franz-Josef Michels erklärt, als wir über das Freiwerden von Hemmungen sprachen. Allzu aufgeknöpft erschienen sie jedenfalls zu Beginn noch nicht. Hatten sie etwa Bedenken, sich zu ihrer Ausbildung zu äußern? Fürchten sie noch immer das Vorurteil, daß es sich beim Beruf des Schauspielers um weltfremde Spinnerei handele?

Kollegen wissen nichts

Marion, die tagsüber als Medizinisch-technische Assistentin arbeitet, stellte zumindest bei unserem Gespräch die Bühne nicht unbedingt als Ziel in den Vordergrund. „Ich mache das hier nur aus Interesse“, erklärte sie. Gut, dafür nimmt sie jedenfalls wie die anderen auch eine beachtliche Nebenbelastung auf sich: abends Unterricht, danach zu Hause Rollen lernen und Bücher über Theater- oder Musikgeschichte wälzen, morgens wieder zum Dienst. „Das Schauspielstudium“,so versicherte sie, sei für sie nur Mittel zum Zweck. Über den Zweck wollte sie sich allerdings nicht näher auslassen. Marion bewahrt im Kollegenkreis konsequentes Stillschweigen über ihr abendliches Full-time-Programm. „Im Krankenhaus wissen sie zwar, daß ich abends noch eine Schule besuche. Aber wenn sie erfahren, daß ich zum Schauspielunterricht gehe, würden sie bestimmt nicht mehr so bereitwillig meinen Dienstplan umstellen.“ Michael hat ähnliche Probleme. Er absolviert gerade seinen Ersatzdienst und befürchtet ebenfalls Schwierigkeiten, falls seine „Nebenbeschäftigung“ ans Licht kommt.

Künstler – oder ein Beruf wie jeder andere?

Er ist übrigens der einzige, der den Beruf des Schauspielers spontan in den Bereich des Künstlers einordnete, was bei den anderen eine heftige Grundsatzdiskussion zu diesem Thema auslöste, die bis hin zu der motzig vorgebrachten Feststellung reichte, Schauspieler sei ein Beruf wie jeder andere. Einigkeit herrschte allein darüber, daß „Schauspieler“ auf keinen Fall mit „Star“ gleichzusetzen sei. Auffällig war die Illusionslosigkeit, die hier demonstrativ zur Schau gestellt wurde. Die erscheint jedoch erklärlich: Wer trotz aller Vorwarnungen noch immer mit Traumvorstellungen an das Schauspielstudium gegangen war, wurde hier nämlich schlagartig eines Besseren belehrt; hier erwartete ihn nichts anderes als ein harter Job. Rollenstudium, das sich in das Erarbeiten einer Rolle und Sprechtechnik gliedert, Bewegungslehre mit Lockerungsgymnastik (zum „Aufknöpfen“), Bühnenfechten und -fall sowie Rhythmik und die theoretischen Dinge wie Drama, Literatur-, Theater- und Musikgeschichte, musiktheoretische Grundbegriffe und Chanson – dabei ist dieser Lehrplan noch nicht so umfangreich wie der einer staatlichen Schauspielschule.

Das größte Problem: Hemmungen

Eines der größten Probleme ist zweifellos das Überwinden von Hemmungen. Die Bewegungslehre und Lockerungsgymnastik helfen hier natürlich entscheidend weiter, Verkrampfungen und Verklemmungen abzulegen. (Aber: „Die Schauspielschule ist natürlich kein Psychotherapeutisches Institut“, betont Dramaturg Michels.) Ulrike, die gerade noch lachend ihre Schwierigkeiten beim Probieren eines Schreis schilderte, meint: „Ich dachte, das schaffst du nie. Aber irgendwie klappte es schließlich ganz gut. Für mich war das noch schlimmer als ein Striptease. Vor meinen Eltern und Kollegen könnte ich das jedenfalls nicht!“ Ulrike, Produktionssekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, sieht ihre Ausbildung in erster Linie als Möglichkeit für berufliches Fortkommen: Sie will später als Regieassistentin arbeiten.

„Das Schlimmste ist die Unsicherheit“

Ein großer Teil ihrer Mitstreiter studiert Theaterwissenschaft, Germanisnk oder Philosophie, so daß die Möglichkeit, später einen sogenannten Sekundärberuf zu ergreifen, immer gegeben ist. Sekundärberuf bedeutet hier soviel wie beispielsweise Regisseur oder Feuilletonist.

„Die Unsicherheit“, so erklären sie einstimmig, „ist wirklich das Schlimmste!“ Die bestandene Prüfung liefert bekanntlich keine Garantie für Engagements. Für einzelne gibt es natürlich wieder die Chance, ins Ensemble des „Kellers“ übernommen zu werden. Die Auslese ist erbarmungslos. Ohne eine zweite berufliche Grundlage, so versicherten jedenfalls alle, würden sie sich nicht auf das Abenteuer des Schauspielberufes einlassen.

Zu den Chancen, weiterzukommen, erklärt Dieter Janke: „Ein starkes Talent setzt sich immer durch. Es gibt heute keine unentdeckten Talente mehr. Und wenn ein guter Mann heute in Hintertupfingen spielt – ich schwöre Ihnen, daß er in der folgenden Saison auf einer größeren Bühne steht!“