DIXILAND BLUES


Ah, ein neuer Sommertag steht bevor, und da liegt bei uns hier in der Parterrewohnung immer ein Hauch von Festivalfeeling in der Luft. Seit knapp einem Jahr wird das Haus neben uns entkernt, renoviert, wieder entkernt, dann wieder renoviert, wieder aufs Neue entkernt … es hört auf jeden Fall irgendwie nicht auf, die Baustelle gehört längst zum Straßenbild, Gerüste werden aufund wieder ab-,dann mal wieder aufgebaut und Bauarbeiter wuseln herum -draußen auf der Straße meist mit einem Ziel: dem Chemieklo vulgo „Dixi“, das für sie dort aufgestellt wurde, quasi in Griffweite vor unserem Fenster, und das mit seinem türkisen Leuchten, seinem plastikenen Türscheppern, seiner funktionalen Übergangsmäßigkeit für mich einfach schwer nach Festival, nun, riecht.

Jetzt sind Dixiklos ja der Aspekt an Festivals, den ich am wenigsten vermisse, seit ich nicht mehr so oft auf welchen zu Gast bin. Gut, und die kilometerlange Zeugschlepperei vom Park-zum Campingplatz. Und Eisregen bei der Lieblingsband. Und Platzregen auf dem Zeltplatz. Und besoffene Zeltplatznachbarn mit Megafonen. Und nüchterne. Und der Schlamm. Und der Urin. Und der Urin im Schlamm. Und die verbrannten Grillwürstchen, die einem, weil sich auch im 14. Festivalsommer keine Routine insoweit eingeschlichen hat, dass man endlich mal eine anständige Beleuchtung einpacken würde (ist eh spießig), vom Rost auf den Boden in den Urinschlamm rollen, und dann schnappt sie sich entweder die Töle von den Siffpunks nebenan oder man kommt ihr zuvor, weil: wen juckt ein bisschen Schlammurin, wir sind auf Festival! Und die Siffpunks nebenan. Und die Donots. Ja gut, und ca. 60 Prozent der restlichen Bands. Ansonsten sind Festivals super!

Grad war ich auf einem kleinen hier bei uns in der Gegend und war irritiert ob der umfassenden professionellen Abfi lmung, die die Hauptband – nebst ihres Publikums – erfuhr. Keine Ahnung, wer hier so eifrig dabei war, einst für den flüchtigen Augenblick Gedachtes so hochtechnisiert in die Digitalkonserve zu betonieren -ein internationaler Musiksender? Das Lokalfernsehen? Die Plattenfirma, für die unbedingt nötige Tour-DVD im Herbst? Ein riesiger, sich permanent einem monströsen Pferdepenis gleich aus-und einfahrender, vor der Bühne herumfuchtelnder und in ständigen „spektakulären“ Schwenks übers Publikum jede begeisterte Regung, jedes „geile Bild“, das sich aus fl ächig gereckten Armen und auf Männerschultern sitzenden Mädchen ergab, nachgerade aberntender Kameraarm rief meinen Grimm hervor. Und auf der Bühne die Typen mit ihren Steadycam-Gestellen, die sich „unauffällig“ zwischen den Musikern bewegten! Ich kämpfte gegen das Gefühl an, Teil eines bestellten Saalpublikums für eine TV-Aufzeichnung zu sein – nur hat man für solche Jobs früher nicht 39 Euro gezahlt, sondern zwei Freigetränke und einen Snack gekriegt. Und die Klos waren aus Keramik (also: ganz früher).