Backfisch aus Prinzip


Für sie sind die Uhren in der Pubertät stehengeblieben. Cyndi Lauper spielt nicht das verrückte Huhn, sie ist es. Auch mit 33. Noch immer stolpert sie kopfüber in den Schminktopf, noch immer wirkt sie wie eine Schaufenster-Puppe aus einem schrillen Second-Hand-Laden. Sylvie Simmons traf Cyndi in Paris und stellte fest: The Gör can’t help it!

Fast wäre sie in einem New Yorker Taxi zur Welt gekommen — wenn man sie nicht wieder hineinbefördert und ihre Mutter bis zum Krankenhaus die Beine überkreuz geschlagen hätte. Das war vor 33 Jahren: seitdem hat sich Cynthia Ann Stephanie Lauper zur Devise gemacht, nie mehr zu früh zu kommen.

Zum Interview kommt sie ein paar Stunden zu spät — ist allerdings entschuldigt: Seit „True Colors'“, die erste Singleauskopplung aus ihrem zweiten Album, in Reinhold Messner-Manier alle Charts der Welt hochgeklettert ist. hat man sie pausenlos auf Trab gehalten.

Als wir uns in Paris treffen, bestellt sie gerade beim Room-Service Kaffee und eine Platte abscheulicher französischer Törtchen. Sie ist nicht größer als ein Kind und sieht aus wie ein Kind, das sich zusammenreißt, um heute besonders nett und artig zu sein.

Ähnlich klingt es, wenn sie den Mund aufmacht: Je nach Laune springt sie von Thema zu Thema, verweilt hier und da für einen Moment, um dann wieder einen überraschenden Haken zu schlagen. Mal ist sie mystisch und abgehoben, im nächsten Moment auf dem Boden der Realität — und gerade wenn du glaubst, sie festgenagelt zu haben, ist sie ernst, naiv und lustig auf einmal. Ansteckend lustig!

Wie dem auch sei — zurück zu Cyndi. die Törtchen mampft, ein Bild von Samantha Fox auf der Titelseite eines deutschen Magazins anstarrt und mir erzählt: „Es war immer ein zähes Ringen. Ich mußte für alles kämpfen, nichts kam von alleine.

„Ich glaube“, sagt sie achselzuckend, „der Grund ist, daß ich immer so extrem reagiere — und das erfordert eine gewisse Anstrengung. Ich war halt schon immer etwas überdreht.“

Immer schon. Als sie fünf war. ließen sich ihre Eltern scheiden, und in der linientreuen katholischen Nachbarschaft, wo sie mit ihrem Bruder Butch und ihrer großen Schwester Ellen aufwuchs, ließ man sich nun mal nicht scheiden. Obendrein schickte man sie noch auf eine Nonnenschule, in die „Folterkammer“, wo Cyndi schon bald das fromme Getue verabscheute und dafür prompt Prügel bezog.

Als sie neun war. färbte sie sich die Haare grün und durchstöberte Second-Hand Shops auf der Suche nach antiken Klamotten. „Wenn ich die Straße rumerlief. zeigten die Leute mit dem Finger auf mich. Ich glaube, es war nie meine Art. mich anzupassen. “ Und irgendwann im Laufe der Zeit zog sie sich dann — frustriert und unverstanden — in eine Welt der Phantasie. Tagträumerei und Musik zurück.

„Ich hob mit Singen angefangen, als ich zwei Jahre alt war“ — die Frau hat ein gutes Gedächtnis! „Ich erinnere mich, wie ich auf den Tisch gestellt wurde und meinen kleinen Auftritt hatte und die Dame vom oberen Stockwerk runterkam. Ich sollte sie ,Signora‘ nennen, aber das konnte ich nicht aussprechen und deshalb nannte ich sie immer ‚Senuda‘, was in Sizilien, wo meine Familie herkommt, irgend etwas Unverschämtes bedeutet…

Eigentlich wollte ich gua nicht Sängerin werden, sondern Schauspielerin. Aber ich wußte gar nicht, was genau eine Schauspielerin tut. Ich hab immer Musicals gesehen, Leute wie Judy Garland, das war für mich eine Schauspielerin. Ich spielte sie immer in meinem Schlafzimmer nach. Da hab ich mir vorgestellt, wie der Held auf meinem Bett sitzt — nichts Sexuelles oder so! — und ich mir mein kleines Herz für ihn uns dem Leib singe. „

Die ersten Sänger, die sie faszinierten, waren „Satchmo und Mario Lanza — Junge, Junge“ (ihre Stimme wird leise und entrückt), „der halle eine tolle Stimme! Ich hab ihm stundenlang zugehört. Ich wußte nicht, was um alles in der Welt da passierte, aber diese Leidenschaft in der Stimme …“

Nach ihrer ersten Band im zarten Alter von 11 Jahren (mit ihrer Schwester und einer Freundin spielte sie im Keller) ging’s ungefähr so weiter: Cyndi schnappte sich die akustische Gitarre und spielte Folk; mit 17 zog sie samt Hund von zu Hause aus. um in den Wäldern zu leben, wobei sie alle möglichen Jobs annahm —– Stallmädchen, Judo-Lehrerin, Kellnerin, Ohrstecherin –— sie ging auf die Kunstschule, flog von der Kunstschule, lebte mit einem älteren Mann zusammen und verließ ihn wieder. Schließlich landete sie als Background-Sängerin in einem New Yorker Club — und nahm Gesangsunterricht, weil sie plötzlich der Überzeugung war. nicht mehr singen zu können.

Konnte sie scheinbar doch: In Greenwich Village hörte sie der Keyboarder/Saxophonist John Tun. und zusammen gründete sie Blue Angel.

Und Cyndi war ein Star. Zwar gab’s keinen Hit (kaum jemand kaufte die erste Platte, die sie iy80 für Phonogram aufnahm), aber jeder, der sie bei einem Auftritt sah, wußte: Sie ist ein Star. Plattenfirmen versuchten sie mit einer Solo-Karriere zu locken, doch sie blieb, wo sie war.

Trotzdem: Blue Angel zerbrach; ihr Manager behauptete, daß ihm die Band 80000 Dollar schulde. „Wir mußten Konkurs anmelden“, erzählt Cyndi. „Es war nichts da, was zu Geld gemacht werden konnte, nichts! Aber der Richter meldete Konkurs an, sonst hätte ich meine Karriere nicht fortsetzen können. Sie haben wirklich gesagt, ich könne nie wieder eine Plane machen, nie wieder!“ sagt sie. als ob sie jetzt noch unter Schock stände.

„Der Richter hörte sich das alles an, und ich weiß heute noch, was er sagte. Er sagte: ,Laßt den Kanarienvogel singen!'“

Ihr jetziger Manager ist der Mann, der ihr den bezaubernden Diamantring auf ihren Finger gesteckt hat. der ehemalige Musiker David Wolff. Vor fünf Jahren, erzählt sie. hätten sie sich auf einer Party kennengelernt; Wolff versuchte ein anderes Mädchen aufzureißen, ließ sich vom Mißerfolg nicht entmutigen und richtete seine Aufmerksamkeit auf Cyndi. „Ich hab ihn ganz schön fertiggemacht, ihn einen alten Hippie genannt“, und das nicht zu Unrecht, sieht man sich die Bilder an. Aber dann verliebten sie sich doch — und als der Job ihnen Flitterwochen erlaubte, heirateten sie.

Dem trauten Glück zum Trotz: Cyndi ist Feministin. Das amerikanische „MS Magazine“ krönte sie letztes Jahr zur „Frau des Jahres“, weil sie den Feminismus „von der Anpassung zu Individualität, Rebellion und Freiheit“ gebracht habe.

„Vielleicht bin ich so wie ich bin, weil ich gesehen habe, was meine Mutter ßr ein Leben führen mußte, und meine Großmutter“, die von Italien nach Amerika verschifft wurde, um einen Mann zu heiraten, den sie nicht einmal gesehen hatte. „Und wegen der ganzen Nachbarschaft, in der ich aufgewachsen bin“, wo katholische Frauen Kinder kriegten und außerhalb des Beichtstuhls ihren Mund hielten.

Cyndi hat nie ihren Mund gehalten. Da war zum Beispiel „She Bop“. ein Liedchen über weibliche Masturbation. Sie lacht still in sich hinein: „£5 ging nicht nur um Masturbation! Es ging auch darum, daß man dir als Kind einredet, daß Gott da oben alles sieht, was du machst, und überhaupt! Gott hat nichts besseres zu tun, als zu beobachten, was du mit deinen Geschlechtsteilen anstellst?“

„She Bop“ und „Girls Just Want To Have Fun“ liegen inzwischen schon drei Jahre zurück. Warum hat es so lange gedauert? Hatte sie Angst davor, nichts als eine weitere Neuigkeit in einer Wegwerfgesellschaft zu sein?

„Nein. Ich wollte es nur richtig machen. Es kommt unter meinem Namen raus, also werd ich es nicht übers Knie brechen. Bei TRUE COLORS habe ich alles Menschenmögliche getan, um trotz Dolby, digitalem Dies und Das und all den technischen Tricks das pure Gefühl rübenubringen. Ich wollte, daß die Platte wirklich nach innen geht, daß sie ganz tief reingeht; ich wollte im Radio so klingen, daß du beim Autofahren plötzlich den Ruf der Seele hörst.

Ich hab das Lied im Radio gehört und bin ausgeflippt. Das war wirklich ich, ganz echt! Und ich hab mich fast geschämt, als ob sie mich nackt gesehen hätten. Weil es so war, als ob ich die ganze Oberfläche runtergerissen hätte und mein wirkliches Ich darunter zum Vorschein käme, echte Gefühle. Ich weiß allerdings, daß ICH eigentlich gar nicht wichtig bin, sondern vielmehr das Lied.“

Trotzdem taucht sie auf der Innenhülle der Platte immer wieder als Co-Autor, Co-Produzent, Co-dies-und-das auf. Ist das bloß ihre Art auszudrücken, daß sie für voll genommen werden will?

„Ich wollte nur, daß meine Arbeit anerkannt wird. Und ich liebe die technischen Aspekte und hasse gleichzeitig die Art, wie eine Sängerin in der Vorstellung der meisten Leute zu sein hat:, Geh und setz dich in die Ecke und überlaß die Technik den anderen.‘ Vielleicht begreifen die Leute nicht, daß ich eine ernsthafte Künstlerin bin, weil ich immer so viel rumgealbert habe. Mit der LP SHE’S SO UNUSUAL wurde schließlich ‚unusual‘ das Schlagwort, mit dem man mich immer festnageln konnte. Das half einerseits, aber es tat auch weh.“

Inzwischen ziehen sich so viele amerikanische Mädchen wie Cyndi an. daß sie augenscheinlich schon wieder zur breiten Masse gehört…

„Ja — mein Gott, es ist so weit: Beim nächsten, den ich im Korsett sehe, schreie ich. Inzwischen tragen schon Fernsehserien-Stars Korsetts! Geradezu bieder ist das geworden Es ist seltsam, wenn Anti-Mode zur Mode und Aufsässigkeit zum guten Ton wird. Aber es war gut zu sehen, wie sich die Gesellschaft öffnete, die Leute sich geradezu revolutionär schminkten und eine orthodoxere Einstellung zur Kleidung bekamen. Aber zu dem Zeitpunkt war ich mit meinem Geschmack schon längst wieder weiter.

Irgendwie ist das toll: Jeder glaubt, dich durchschaut zu haben, und du machst einfach immer wieder was anderes.“