Bärige Bande


Mit seinen edel editierten Boxen avancierte das Label Bear Family zur ersten Adresse für die Freunde kultiger Klänge.

Moderne Musik interessiert mich nicht“, gibt Richard Weize unumwunden zu Protokoll: „Ende der 70er Jahre habe ich aufgehört, mich für Neuerscheinungen zu interessieren. Dem meisten, was ich zu hören bekam, fehlte einfach die Seele.“ In blauer Latzhose, die lange graue Mähne zum Pferdeschwanz gebändigt, führt der Chef von Bear Family durch das Domizil seines Labels. Das stattliche Gehöft auf dem platten Land zwischen Hamburg und Bremen ist ein weitläufiges Labyrinth aus Lofts, Lagerräumen, Büros und der Wohnung des Meisters selbst, der von hier sein Unternehmen leitet und mit sicherer Hand ein Dutzend ständiger Mitarbeiter dirigiert: „Chef, wie hieß denn nochmal die Synchronstimme von John Wayne?“ Weize hält kurz inne: „Da gab’s zwei…“

hebt er grübelnd an, um daraufhin präzise Auskunft zu erteilen. Nicht nur, daß Richard Weize mit etwa 30.000 Platten über eine mehr als veritable Sammlung verfügt und es zu seinen Hobbys gehört.auf dem Flohmarkt ganze Jahrgänge antiker Illustrierter zu ergattern – der Mann hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Musik im Wartesaal zum Vergessen abzuholen, neu einzukleiden und unter die Leute zu bringen. Amerikanischer und deutscher (!) Rock ’n‘ Roll, Rockabilly, Schlager, Country und Kuriositäten zählen nicht nur zu seinem Repertoire, sondern auch zu seinen Leidenschaften. Aus persönlichem Interesse sammelte er bereits in den 50er Jahren Volksmusik made in USA, die er dann unter Freunden und Bekannten verkaufte. Als er schließlich zusammen mit Geschäftsführer und Kompagnon Hermann Knülle 1975 die Bärenfamilie aus der Taufe hob, sorgten sie mit alten Aufnahmen von Johnny Cash und anderen Countrygrößen für Furore. Es warWeizes Ärger über schlampige Veröffentlichungen, der ihn zurTat trieb: Der Pefektionist ist – entgegen üblicher Gepflogenheiten der Branche – keineswegs daran interessiert, die gegen teure Lizenzgebühren eingekauften Ursprungsbänder rasch auf den Markt zu werfen, sondern stürzt sich regelmäßig in die Mühe, das Material chronologisch zusammenzustellen, anerkannte Experten für die Liner-Notes zu engagieren – und schon mal monatelang nach den richtigen Fotos für die buchdicken Booklets zu suchen: „Von Hank Snow zum Beispiel gab es nur Bilder, auf denen er mit seinem schlecht sitzenden Toupet zu sehen ist“, erinnert sich Weize, „ich habe wirklich eine halbe Ewigkeit gesucht, bis ich im Archiv der Plattenfirma ein taugliches Bild aufgetrieben habe.“ Doch am Ende aller Mühen steht eine weitere der weltweit von Sammlern begehrten,edel editierten Bear Family-Boxen, denen sogar von dem Musikkritiker der New York Times bescheinigt wird: „Das sind die Sets aller Sets!“ Ein Umstand, der dem bärbeißigen Weize sichtlich Freude bereitet. Sogar nach Nashville werden seine liebevollen Wiederveröffentlichungen re-importiert, und wer sich im Virgin Megastore am New Yorker Times Square auf die hoffnungsvolle Suche nach seltenen Box-Sets macht, stößt auch hier auf Produkte aus der norddeutschen Provinz. Produkte, für die die großen Plattenfirmen einfach zu schwerfällig sind, wie Weize betont: „Die Mastertapes und Tonbänder verstauben in den Kellern der Konzerne. Die wissen oft selbst nicht, was in ihren Archiven lagert – und wüßten sie’s, würde es sie kaum interessieren. Weil sich mit alten Aufnahmen von Doris Day eben nicht die schnelle Mark machen läßt“, sagt Weize schulterzuckend. Als Liebhaber, Kenner und Sammler arbeitet er für Liebhaber, Kenner und Sammler – in aller Welt. Fachhändler von Amerika bis Japan liegen dem schrulligen Label zu Füßen,oft wird der Kontakt per Internet hergestellt und gepflegt. Trotz moderner Technologie aber bleibt Richard Weize der digitalen Revolution gegenüber skeptisch: „CDs sind schon eine ziemlich popelige Angelegenheit. Bei den Boxen hast du noch große Bilder und richtig was in der Hand“, schildert Weize das haptische Erlebnis einer satt vollgepackten Box – wie eine Schatztruhe, in der ein Stück Musikgeschichte konserviert ist.