Beth Ditto über Anderssein


Die Sängerin von The Gossip sorgt nicht nur durch ihre Stimme für Aufsehen, sondern auch durch provokante Statements und mutige Aktfotos. Eine Kämpferin für Offenheit und Individualität.

Beth, du fällst auf, hebst dich von den meist eher konformen heutigen Popstars deutlichst. Fühlst du dich als Vorbild?

Ditto: Ich wünschte nur, es hätte für mich jemand als Vorbild gegeben, als ich ein Kind war. Jede Generation braucht neuen, frischen Wind, um aufatmen zu können. Und jede Generation hat einen subkulturellen Bodensatz. Er ist wichtig, und die Musik braucht ihn. Ich fühle mich mehr als Freundin denn Vorbild. Ich bin doch nur ich, ein Dummerle.

Du stehst ganz offen zu deiner Sexualität. Wann wurde dir bewusst, dass du lesbisch bist?

Schon so mit vier, fünf Jahren. Ich war noch ganz klein und hatte Angst vor meinen Gefühlen, sie waren schwer zu verstehen. Und ich wollte nicht in die Hölle kommen! Meine Mutter hat zwar nie behauptet, das ich dort landen würde – aber sie ist auf ihre eigene Art und Weise ziemlich kompliziert und christlich. Ganz sicher wurde ich mir dann mit 15. Ich hasste die Freunde meiner Freundinnen, fand, die sollten besser mit mir zusammen sein. Und diese Eifersucht war nicht normal.

Ein Gefühlschaos?

Ich schwärmte für meine Freundinnen, wusste einfach, dass mich Männer nicht so anmachen. Allerdings zu Typen, die süß und nett waren, fühlte ich mich schon auch mal sexuell hingezogen – aber es fühlte sich nie ganz richtig oder toll an. In der High-School hatte ich auch drei Jahre lang einen Freund. Ich habe drei Mal Schluss gemacht, weil ich schon ahnte, lesbisch zu sein. Und als ich es ihm sagte, dass ich meine, lesbisch zu sein, hat er wunderbar reagiert. Am Anfang unserer Beziehung dachte ich übrigens, er sei schwul. Erst mit 15 wurde alles besser, konnte ich mit meinen Gefühlen umgehen.

Und jetzt, bist du gerade liiert?

Ja, und zwar seit fünf Jahren in einer ganz großartigen Beziehung. Am schlimmsten ist es für uns, dass ich so viel unterwegs bin, manchmal kann sie mitkommen. Kann er mitkommen! Ich nenne sie lieber „er“. Aber nicht jeder kann das nachvollziehen, der nicht ständig mit anderen verrückten schwulen Transsexuellen zusammen ist. Ich bin also definitiv schon vergeben, aber wir leben nicht zusammen, und es läuten auch keine Hochzeitsglocken.

Deine Figur wird oft zum Thema gemacht. Wurdest du wegen deines Gewichts schikaniert?

Nein, ich kann mich verteidigen. Aber dennoch verletzten mich blöde Bemerkungen – aber das ließ ich niemals durchblicken. Ich war immer froh und heiter – aber das wird bei Dicken schon zum Charakterzug. Oh, die lustigen Dicken, immer glücklich! Aber wenn wir nicht die Zähne zusammenbeißen würden, um zu lächeln, wären wir halt pausenlos deprimiert. Meine Mutter gibt mir viel Kraft, sie ist die Beste, wenn es darum geht, Gefühle hinter einem Lächeln zu verbergen. So ist unsere Kultur in den Südstaaten: Sehr gastfreundlich und nett, und sollte dir jemand von hinten ein Messer in den Rücken rammen, wird dabei gelächelt.

Hast du jemals versucht, dich anzupassen, oder eine Diät gemacht?

Bis heute kämpfe ich mit dem Satz: „Sollte ich abnehmen, eine Diät machen?“ Es ist nicht leicht, aber es geht um Selbstvertrauen. Ich kann zwar nicht das Gerede abstellen. Aber ich fühle mich, wie ich mich fühle, und vieles in mir ist anders geworden. Ich sage mir, egal wie, Beth, du bist im Recht. Ich akzeptiere mich und versuche mich nicht zu ändern, zu verbiegen. Ich sage nicht, dass alle anderen total gestört sind und Unrecht haben; ich meine nur, ich mache mir nichts mehr daraus. Das Leben ist einfach zu kurz.

Aber du leidest an Depressionen.

Ja, stimmt. Jeder mit ein bisschen Bewusstsein in dieser Welt hat es schwer. Es gibt Dämonen aus der Vergangenheit, die vermutlich bei jeder Frau immer wieder mal vorbeischauen, um sie so richtig zu erwischen. Aber mit mir geht es gerade aufwärts, Tag für Tag. Positiv zu denken, funktioniert für mich. Man muss sich auf das Gute konzentrieren, während es passiert.

Welche Drogen hast du ausprobiert?

Einmal Ecstasy. Letzten Sommer mit Freunden, wir waren im Auto. Es war unglaublich gut, deshalb werde ich es niemals wieder nehmen. Ich erinnere mich nur noch daran, die anderen ausgiebig geküsst und über den Kopf gestreichelt zu haben. Aber Drogen gehören eher in ein Weggeh-Umfeld, in Clubs. Und ich gehe kaum in Clubs. Dort sind alle so jung, um die 18. Und ich bin schon 26. Dabei mag ich Houseparties, aber die gibt es immer nur für die 18-Jährigen.

Waren Drogen eigentlich ein großes Thema in den Südstaaten, als du aufgewachsen bist?

Schon, unser Gitarrist Nathan und ich haben so Sachen erlebt, die man kaum für möglich hält. Eine Geschichte erzähle ich immer gerne: Das erste Mal, so mit 14, habe mit meinem Cousin etwas geraucht. Wir benutzten dafür eine Coladose. Während wir noch ziehen, reißt er plötzlich die Tür zum Hinterhof auf, nimmt seine Pistole und schießt wild nach draußen. Er hat ein paar Eichhörnchen erlegt, geht raus, häutet sie und hat sie dann in der Pfanne gebraten, weil er beim Grasrauchen so hungrig wurde. Echt wahr.

Passt es dir, wie du in den Medien dargestellt wirst? Gefällt es dir, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen?

Ich sehe so einiges im Internet. Alles höchst amüsant. Mein Herz schlägt für den Underground. Mein Leben geht total am Mainstream vorbei, sogar dem Schwul-Lesbischen-Mainstream.

Du giltst aber als Stilikone.

Das ist zum Schießen! Ich habe Stylisten, aber die haben keinen Plan – sie schleppen fast immer nur bescheuerte Klamotten an, die nicht mal passen. Meine Freunde und ich machen die meisten Sachen selbst.

Gibt es Schattenseiten eures Erfolgs?

Nicht so viele. Nur, dass ich mehr Interviews gebe und viel mehr für meine Telefonrechnung bezahle. Manchmal werde ich falsch verstanden, fehlinterpretiert, das ist natürlich kein Spaß, wenn so etwas passiert. Oder wenn Leute vor mir Angst haben, sich einschüchtern lassen, nur weil ich lesbisch bin. Viele Männer haben vor mir Angst, weil ich eine Lesbe und einen Feministin bin und ganz offen dazu stehe.

Wann hast du deine unglaubliche Stimmgewalt entdeckt? Und wer inspiriert dich beim Singen?

Als Kind war ich im Kirchenchor, und meine Mutter ist eine gute Sängerin und hat mir beigebracht, wie man singt. Punk und Soul haben mich dann sehr beeinflusst. Ich höre eigentlich alles Mögliche, das mich inspiriert. Das Wichtigste ist aber, dass ich keine Angst davor habe, meine Stimme auch voll einzusetzen. Ich bin jetzt stolz auf die Stimme, die mir gegeben wurde. Aber das hat lange gedauert. Drei Alben und eine Menge EPs, seit ich 18 bin. Ich hatte viele Hemmungen und war total unsicher, das hat meine Entwicklung erstmal behindert.

Wie viel Erfolg hast du dir am Anfang deiner Musikkarriere gewünscht?

Ich habe nur davon geträumt meine Miete zahlen zu können. Es ging nicht darum, viel Geld zu machen, sondern ich wollte mit der Band touren und einen Job nebenbei machen, der die Band über Wasser hält. Jetzt ist es mir wichtig, dass alles nicht nur ein kurzes Strohfeuer ist.

Kannst du uns etwas von deinen Erfahrungen beim Heranwachsen erzählen?

Ich wuchs im tiefen Süden auf und war überhaupt nicht selbstbewusst. Ich war umgeben von Frauen, die ihre Körper hassten und sich selbst hassten. Viele intensive Sachen geschahen. Ich wuchs in einer Familie mit sieben Kindern heran. Es war seltsam instabil. Ich wusste immer, wohin ich unterwegs war, wohin ich wollte, und ich kannte mich selbst. Aber was all die anderen von mir dachten und von mir hielten, machte mich verrückt. Ich hatte immer dieses innere Selbstbewusstsein und wusste, dass alles völlig okay sein würde. Verstehe mich nicht falsch – nicht alles ist völlig okay. Immer noch ringe ich mit Eigenschaften von mir, wie andere Leute auch. Besonders mit Sachen, für die ich zerrissen werde, wie mein Gewicht.

Manche deiner Songs sind ziemlich politisch, machst du das, um kontrovers zu sein?

Manche Songs sind politisch, für mich sind die Songs authentisch. Sie sind nicht die ausgefeiltesten Songs es sind nicht Roberta-Flack- oder Nina-Simone-mäßig wunderschöne Texte, aber sie sind sehr bedeutungsvoll für mich und sind auf diese Weise politisch – sie erzählen vom immer währenden Kampf gegen das System oder vom Zwang, Kompromisse zu machen. »>

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Übersetzung: Birgit Ackermann