Blur, Glasgow, Barrowlands


Britische Kids brauchen Idole zur totalen Identifikation. Helden, die über das tägliche Grau, den kleinbürgerlichen Mief und die ökonomische Misere des Durchschnitts-Insulaners hinwegtrösten. Publikumsnähe, Klassenbewußtsein, Omnipräsenz und gutes Aussehen sind dabei Grundvoraussetzung. Blur machen da keine Ausnahme. Allerdings sind sie inzwischen schon auf einem viel ambitionierteren Level. Während der Rest der Szene noch nach neuen Ideen fahndet oder sich hoffnungslos im eigenen Retro-Wahn verrennt, haben die vier Vorzeige-Popper bereits den Ausweg aus der Einbahnstraße Brit-Pop gefunden: ein neues klangliches Verständnis – stilistische Vielfalt und ausgereifte Musikalität. Während die 3.000, zumeist pubertären Fans im subtropischen Fluidum des Barrowland nach Luft und Platz ringen und in ekstatischer Verzückung die Arme zur Bühne recken, passiert dort etwas Unverhofftes. Blur präsentieren sich als gereifte, beinahe erwachsene Band. Ohne trunkene Clownereien, ohne arrogante Attütide, ohne bizarre Egotrips. Gitarrist Graham Coxon, Drummer Dave Rowntree und selbst Basser Alex james erweisen sich als versierte Musiker, die in erster Linie nach einem perfekten Sound streben. Und genau daraus resultiert die auffälligste Veränderung im Blur-Kosmos: Der Drang nach einer immer abwechslungsreicheren Ausdrucksweise. Verstärkt durch einen Keyboarder nebst Bläsersektion gewinnt der Sound an Durchschlagskraft. Davon zeugen auch die Songs ihres fünften Albums, die das Gros des 9ominütiges Sets einnehmen. Nach einer unfreiwilligen Bier-Dusche mutiert Sänger Dämon Albarn dann noch einmal zu dem rotznäsigen, koketten Lümmel der frühen 90er Jahre. „Ist mir scheißegal“, sagt Dämon, streckt die Zunge raus und verdreht die Augen, während Glasgow feiert.