Brian Ferry


Name: Ferry Vorname: Bryan Geburtstag: 26.9.1945 Geburtsort: Newcastle Größe: 185 cm Farbe der Augen: blau Unveränderliche Kennzeichen: Frauentyp.

In den Siebziger Jahren gab sich der Sohn eines Bergarbeiters als mondäner Party-Löwe. Auf der Bühne erschien er in bizarren Kostümen, zum Teil vom Großmeister des Surrealismus, Salvador Dali, entworfen, als südamerikanischer Gaucho oder als dekadenter Bohemien. Oder aber Ferry schockte in einer schwarzen Nazi-Uniform. Heute legt der eher biedere Hausmann Wert auf stilvolle italienische Garderobe. Mit Ehefrau Lucy, 25, Tochter des britischen Versicherungs-Millionärs Helmore, und Sohn Otts, 2, lebt Bryan Ferry zurückgezogen in einem Landhaus in Sussex. Weiterer Nachwuchs ist unterwegs.

ME/Sounds: Ein neues Album von Bryan Ferry zählt immer noch zu den nennenswerten „Ereignissen“ im Musikgeschäft. Gleichzeitig aber läßt sich feststellen, daß die Phasen zwischen Plattenveröffentlichungen immer länger werden. Bist du nicht mehr so spontan in deinen Ideen ? Oder was ist der Grund?

Ferry: „Durchaus möglich, doch es gibt sicher auch andere Ursachen, die hierbei eine Rolle spielen: Die technologische Entwicklung in der Musik geht von Jahr zu Jahr sprunghaft voran. Jedes Mal, wenn ich ins Studio gehe, muß ich erst einmal die technischen Neuerungen aufarbeiten. Ich will eine Platte mit dem optimalen Sound machen, die auch in einigen Jahren noch gut klingt. Also muß ich mich mit veränderten Instrumenten und Aufnahme-Techniken rumschlagen. Es kostet Zeit.

Natürlich lastet auf einem Musiker auch die Herausforderung, den Standard der letzten Platte zu überbieten. Avalon war ein gutes Album, das sicher schwer zu übertreffen ist. Außerdem war es das kommerziell erfolgreichste Album, das wir je gemacht haben. Da wirst du schon etwas nervös: Was mache ich nur als nächstes? Natürlich ist es am einfachsten, nicht darüber zu grübeln, sondern einfach anzufangen. Aber…

Ein anderer Anspekt, der die Arbeit an Boys And Girls in die Länge gezogen hat, ist die Tatsache, daß die Aufnahmen nicht an einem Ort gemacht wurden. Vieles entstand in New York, einiges in Nassau, einiges in London – insgesamt waren es wohl 11 Studios! Diese räumlichen Veränderungen haben allerdings auch ihren positiven Einfluß: Musiker der unterschiedlichsten Couleur kamen als zusätzliche Würze hinzu.

Die meiste Zeit hat jedoch das Schreiben der Songtexte eingenommen. Das ist für mich wirklich Schwerstarbeit. Ich habe das Gefühl, es wird jedes Mal vertrackter.“

ME/Sounds: Eigentlich sollte man doch meinen, daß langjährige Erfahrungen Sicherheit und Routine geben…

Ferry: „Eigentlich ja. Doch je länger du in diesem Geschäft bist, desto vorsichtiger und pedantischer wirst du.“

ME/Sounds: Oder bist du vielleicht irritiert von all den Entwicklungen, Wellen und Revivals, die an dir vorbeiziehen? Die Konkurrenz ist wohl heute auch stärker und vielfältiger als in den Anfangstagen von Roxy Music…

Ferry: „Bis zu einem gewissen Punkt stimme ich dir zu. Als ich anfing, hatte ich das Gefühl, ich wäre der einzige in diesem musikalischen Revier. Keiner schien das machen zu können, was wir damals mit Roxy machten. In den letzten Jahren sind nun viele junge Musiker mit der gleichen Sensibilität für ekzeptionelle Songs und Sounds ans Tageslicht gekommen. Die nehmen sich der gleichen Dinge an wie ich. Und das ist natürlich eine Herausforderung und treibt mich wiederum in völlig neue Richtungen. Was gut ist! Du trittst nämlich nicht auf einer Stelle. Jeder will schließlich einzigartig sein. Ich auch!“

ME/Sounds: Und du fühlst dich angesichts des Nachwuchses nicht zu alt und arriviert?

Ferry: „Ich habe das Gefühl, daß meine Sachen immer etwas anders sind. Die Vergleichsmöglichkeiten sind begrenzt. Wenn ich mir die TV-Show ,Top of the Pops‘ anschaue, dann frage ich mich , Ist es das, was ich mache? Gehöre ich dort hin?‘ Und ich komme dann immer zu dem Schluß: .Nein, von dort habe ich mich entfernt.“

ME/Sounds: Du verstehst deine neue Solo-LP als direkten Nachfolger von AVA-LON. Ist Bryan Ferry heute Roxy Music?

Ferry: „Ich sehe jedenfalls keine großen Unterschiede. Mit Roxy Music bin ich soweit gegangen, wie es innerhalb dieser Musik möglich war. Deshalb haben wir die Band dann auch aufgelöst. Zwischen AVALON und BOYS AND GIRLS liegt nun insofern eine Kontinuität vor, als die Hälfte der Musiker die gleichen sind.

Den Namen Roxy Music haben sich letztendlich drei Leute geteilt: Phil Manzanera, Andy MacKay und ich. Es ist absolut tödlich, wenn ein Projekt zu einem reinen Geschäft degeneriert. Man produziert nur noch Platten, um den Namen aufrechtzuerhalten. Und dieses Sicherheitsdenken lähmt natürlich jegliche Experimentierfreudigkeit, besonders wenn man über zehn Jahre zusammenarbeitet. Unter diesen Aspekten möchte ich heute keine Platten mehr machen.“

ME/Sounds: Nehmen wir einmal an, deine Solo-Erfolge würden nicht den Erwartungen entsprechen: Wird es auch unter diesen Umständen keine Wiedervereinigung von Roxy Music mit den Originalmitgliedern geben? Reunions sind ja momentan sehr populär und verkaufsträchtig.

Ferry: „Das könnte ein interessantes Experiment sein. Der einzige, mit dem ich seit 12 Jahren nicht gearbeitet habe, ist Brian Eno. Das würde mich insofern schon reizen, weil er in den vergangenen zehn Jahren aufregende Dinge gemacht hat.“

Es klingelt. Jemand eilt die Treppen zum Büro von „EG Records“ in der Kings Road hinauf und rauscht an mir vorbei.

Ferry? Sekunden spater lugt ein dunkelhaariger Typ hinter dem Türrahmen hervor und entschuldigt sich für die unhöfliche Begrüßung. Bryan Ferry. Einige Minuten Verschnaufpause wünscht er sich, da er gerade von einem anderen Termin herbeigehetzt sei. Back to work. Nach mehrjähriger Pause muß sich der scheue Rockstar wieder der Öffentlichkeit stellen. Eine Pflicht, der unser 39jähriger Engländer nur ungern nachkommt. Interviews zählen nicht zu seiner bevorzugten Beschäftigung; Außenstehenden mag er auch schon mal zickig erscheinen. Doch 90 Minuten später wirkt er völlig entspannt und sucht gar die weitere Konversation. Der Versuch, den Cassettenrekorder abzustellen, rückt in weite Ferne. Ferry nonstop.

ME/Sounds: Hast du zuletzt auch einmal mit dem Gedanken gespielt, andere Musiker anzusprechen, die seit langem auf deiner Wunschliste stehen ?

Ferry: „Nein… ich bin immer offen für Vorschläge. Auf diesem Album habe ich aber ohnehin mit interessanten Musikern gearbeitet – jeder in seiner Art eine starke Persönlichkeit: Mark Knopfler, Nile Rodgers, David Gilmour, Marcus Miller, David Sanborn.“

ME/Sounds: Gab’s keinerlei Probleme, solche Persönlichkeiten für deine Vorstellungen einzuspannen?

Ferry: „Nein, jeder ist ein perfekter Profi. Er weiß, was er macht und was er zu machen hat. Alle wußten, daß meine Musik einen eher ernsten, seriösen Unterton besitzt – und jeder hatte davor Respekt. Da spielte keiner wie für einen Werbespot! Alle hatten das Bestreben, daß meine Platte in sich stimmig und gut wird. Hat mich äußerst beeindruckt.“

ME/Souhds: Du hast auf BOYS AND GIRLS wieder mit Rhett Davis als Produzenten gearbeitet. Wie wichtig ist dieser Mann für dich ?

Ferry: „Sehr wichtig. Er bedeutet für mich Geduld und Ausdauer und Zuverlässigkeit. Ich bin im Studio eher ein Chaot und Träumer. Da hilft es ungeheuer, wenn man jemanden wie Rhett hat, der sehr diszipliniert ist und gleichzeitig auch noch Begeisterung mitbringt. Es ist ungemein schwer, über eine Produktionszeit von 18 Monaten immer gut drauf, immer kreativ zu sein.“

ME/Sonds: Du hast aber doch nicht 18 Monate nonstop an diesem Album gearbeitet?

Ferry: „Nein, im letzten Jahr habe ich über zwei Monate Pause gemacht. Mein Vater war nämlich im August gestorben und das hat mich in meinem Alter doch noch ganz schön mitgenommen. Ich hatte zuletzt eine viel intensivere Beziehung zu meinen Eltern als früher.“

ME/Sounds: Was hielt denn dein Vater von deiner Musik?

Ferry: „Wir haben nie darüber geredet. Er war ein naturverbundener Mann, der nichts mit dem 20. Jahrhundert im Sinn hatte. Er hatte keinen Führerschein – und ich glaube, er konnte nicht einmal telefonieren. Er wurde auf einer Farm geboren, und obwohl er später im Bergbau arbeiten mußte, hat sich an seinen Ansichten wenig verändert. Er war sehr ausgeglichen – und schon glücklich, wenn er im Garten arbeiten konnte oder seine Haustiere um sich hatte.“

ME/Sounds:Har er je versucht, dich von der Popmusik fernzuhalten?

Ferry: „Nein, schon in jungen Jahren war ich total anders als er. Ich interessierte mich für Kunst – er für Blumen und Tiere. So haben wir damals immer aneinander vorbeigeredet.“

ME/Sounds: Bist du vielleicht gerade dadurch schneller selbständig geworden? -Ferry: „Gut möglich. Meine Erziehung war aber dennoch eine sehr prägende Erfahrung. Meine Eltern glühten vor Stolz, als ich zur Universität kam. Natürlich wollten sie, daß ihr Sohn es einmal besser haben sollte als sie selbst. Das alte Klischee, aber in meinem Fall ist es nun mal wirlich zutreffend.

Meine Mutter hat sich sehr für Musik

interessiert; sie wußte immer besser als ich die Namen der Gruppen in den Charts. Sie war erstaunlich modern und dachte sehr jugendlich – das totale Gegenteil zu meinem Vater.“

ME/Sounds: War deine Mutter denn auch musikalisch eine ernstzunehmende Kritikerin für dich?

Ferry: „Oh nein! Sie kritisierte niemals; alles war gut – was immer ich auch tat.“

ME/Sounds: Du bist heute selbst Familienvater. Würdest du deinem Sohn raten, Popmusiker zu werden?

Ferry: „Bestimmt nicht! Ich bin mir auch sicher, daß er ohnehin genau das Gegenteil von dem machen würde, was ich ihm rate. Er ist Sternzeichen Skorpion und für sein Alter erstaunlich selbstbewußt. Ich finde, er sollte Bauer werden; das würde den Kreislauf mit meinem Vater schließen. Ich wäre eigentlich auch lieber ein Bauer geworden.“

ME/Sounds: Ist das die bislang unbekannte Seite von Bryan Ferry? Wäre er nicht Sänger geworden, würde er heute auf seiner Farm die Kühe melken?

Ferry: „Ich würde gerne eine Farm besitzen, aber nicht die ganze Arbeit machen. Andererseits; Ich würde sicher alles wieder so machen, wie ich es bislang in meinem Leben als Musiker gemacht habe, wenn ich noch einmal die Chance hätte.

Ich hätte es mir sicher einfacher machen können, indem ich nur Songs von anderen Leuten gesungen hätte, und nicht selber komponiert hätte. Vielleicht wäre ich dann ein guter .Middle of the road‘-Sänger geworden.“

ME/Sounds: Nimmst du generell Dinge manchmal zu ernst?

Ferry: „Zumindest in Interviews. Aber ich fühle nun mal immer eine Verantwortung, wenn ich ein Interview mache, das sowieso zu kurz ist, um alles angemessen zu artikulieren. Stimmt aber, ichbin ein zu ernster Typ. Doch Popmusik heutzutage ist für mich auch ein ernstes Geschäft.“

ME/Sounds: Hast du Angst, in Interviews falsch interpretiert zu werden?

Ferry: „Immer schon. Die Art und Weise, wie mein Image durch die Medien geprägt wurde, das hat mir viel zu schaffen gemacht.

Solange es meine Arbeit betrifft, ist Publicity ja völlig okay, aber wenn es dann in die Intimsphäre geht… dann sagst du dir plötzlich: Moment mal, welcher Film läuft hier eigentlich ab?‘ Das öffentliche Image sitzt neben dir wie ein dunkler Schatten und wächst und wächst, ohne daß du es kontrollieren kannst. Dann denke ich mir: ,Mein Gott! Wenn ich so etwas über mich lesen würde, würde ich mir sicher keine meiner Platten kaufen.‘ Das Resultat ist natürlich, daß man sich eher auf die Lippen beißt als eine Äußerung zu tun, die aller Voraussicht nach ohnehin mißinterpretiert wird. Irgendwie ist es schade, weil du dir viele Dinge verkneifst, die du normalerweise gerne machen würdest. Aber ich sehe sie in meinem geistigen Auge schon vor mir, die Paparazzis mit ihren Kameras. Und die Bildunterschrift: ,Salonlöwe vergnügt sich auf einer Party‘. „

ME/Sounds: Verstehst du dich eigentlich als Vorbild, als Identifikations-Schablone für deine Fans?

Ferry: „Schwierige Frage. Ich weiß es nicht. Ich kann eigentlich nur für mich selbst verantwortlich sein, und jetzt vielleicht für meinen Sohn. Ich habe nie irgendwelche Botschaften oder politische Thesen gepredigt. Dann wäre es sicher etwas anderes.“

ME/Sounds: Wie würdest du dich denn selbst primär bezeichnen? Als Entertainer, als Musiker, als Sänger?

Ferry: „Immer schon als Künstler. Einer, der die Kunst der Performance genauso macht wie er Kunst-Produkte schafft. Das Platten-Machen war natürlich immer der wichtigste Teil. Alles andere hat man nur gemacht, um die Platten zu promoten. Wenn deine Platten nicht verkaufen, hast du kein Geld und kannst deine Pläne nicht verwirklichen. Nicht einmal deinen Lebensstil finanzieren, was für mich auch eine wichtige Rolle spielt.“

ME/Sounds: Wie passen Konzerte und ausgedehnte Tourneen in diesen Rahmen?

Ferry: „Tourneen waren für mich immer ein Greuel. Jede Nacht dieser aufreibende emotionale Striptease! Gerade als Sänger versucht man natürlich, jeden Abend in Bestform zu sein – was natürlich unmöglich ist.“

ME/Sounds: Und das Klischee von „Sex & Drugs & Rock’n’Roll“?

Ferry: „Existiert wirklich. Auf alle Fälle ist es ein total destruktiver Lebenswandel. Einer, der mir heute nicht mehr behagt. Wenn man 20 ist, mag das okay sein, aber nicht mit 40 Jahren. Heute mache ich lieber eine TV-Show, die erreicht viel mehr Leute. Trotzdem: Vielleicht im nächsten Jahr möchte ich wieder einmal auf der Bühne stehen – wenn auch nur für einen Auftritt.“

ME/Sounds: Stecken hinter der Bühnen-Abstinenz vielleicht auch schauspielerische Ambitionen ?

Ferry: „Schauspielerei könnte mich nur für sehr viel Geld reizen. Sicher bekomme ich laufend Angebote, da ich angeblich für die Leinwand prädestiniert sei und auch in unseren Bühnenshows immer eine gewisse Theatralik vorhanden war.

Vom künstlerischen Standpunkt her interessieren mich solche Angebote allerdings nicht. Ich werde nicht den Pfad nach Hollywood beschreiten wie einige Kollegen. Selbst im neuen Video, ,Slave To Love‘ erscheine ich nur kurz.“

ME/Sounds: Was hältst du generell von Pop-Videos?

Ferry: „Ein seltsames Phänomen. Jahrelang haben wir die Zukunft der Promotion-Filme gepredigt. Bereits 1972 fingen wir an, Filme zu drehen; Live-Mitschnitte oder Studio-Clips. Hauptsächlich wurden sie in Australien gezeigt, da wir dort nicht live spielten. Es funktionierte hervorragend: Mit ,Hard Rain’s Gonna Fall‘ hatten wir dort nur aufgrund des Videos eine Nummer eins.

Doch heute ist diese ganze Video-Industrie viel zu überzüchtet und selbstgefällig geworden. Und zu gefährlich, da Videos wirklich den Zuschauern die eigene Fantasie rauben. In meiner Plattensammlung verbinde ich mit jeder Platte eine ganz spezifische Erinnerung, einen konkreten Traum. Das sollte Musik auch beim Zuhörer bewirken: eigene Vorstellungn zu erwekken, Kreativität fördern. Mich irritiert es, wenn ein amerikanischer Teenager meine Single das erste Mal auf dem Bildschirm sieht und all diese vorfabrizierten Vorstellungen und Fantasien aufnimmt, und diese dann nicht einmal denjenigen Fantasien entsprechen, die ursprünglich in dem Song stecken.“

ME/Sounds: Als Musiker muß man heutzutage nicht nur mit Noten und Instrumenten umgehen können, auch die Banknoten sind wichtig. Bist du ein guter Geschäftsmann?

Ferry: „Ich bin ein miserabler Geschäftsmann. Zum Glück hatte ich aber immer einen Manager, dem ich voll vertrauen konnte. Es ist aber interessant zu beobachten, wie heute, besonders in der New Yorker Szene, einige Künstler arbeiten, die gleichzeitig auch knallharte Geschäftsleute sind.“

ME/Sounds: Das Cover der Single „Slave To Love“ erinnert sehr an alte Filmplakate. Du bist ein Fan von Filmen aus den 40er und 50er Jahren, wie du auch Jazz aus jenen Tagen liebst. Steckt da mehr Qualität drin als heutzutage – sei es Film oder Musik?

Ferry: „Nun, schlechte Musik gibt es in jeder Epoche. Nach 20 oder 30 Jahren werden die guten Dinge allerdings rückblikkend klarer erkennbar. Von den Platten, die heute jede Woche auf den Markt kommen, ist das meiste unsäglich schlecht. Da ist wenig Qualität oder Niveau zu erkennen. Wer weiß, vielleicht habe ich in 10 Jahren eine andere Meinung.

Aber es stimmt, ich bin ein Fan von Musikern, die längst das Zeitliche gesegnet haben: Charlie Parker, John Coltrane, Billie Holiday. Vornehmlich schwarze amerikanische Jazz- und Soulmusiker. Otis Redding zählt auch dazu. Ich liebe Musik, in der Leidenschaft steckt – Musik, die sowohl deine Gefühle als auch deine Beine anspricht.“

ME/Sounds: Sind die Persönlichkeiten in der Musik inzwischen seltener geworden ? Heute scheint die Industrie ja überwiegend gesichtslose Massenware zu veröffentlichen.

Ferry: „Stimmt. Leider werden auch wirklichen Talenten nicht genügend Chancen gegeben. Bei vielen Newcomern habe ich zudem beobachtet, daß sie zu schnell zu groß werden und unter dem enormen Erfolgsdruck plötzlich zusammenbrechen.“

ME/Sounds: Wie hat dir denn der Erfolg psychologisch zu schaffen gemacht?

Ferry: „Ich habe mich bewußt die letzten drei Jahre zurückgezogen. Vor meiner Heirat hatte ich harte Zeiten – vor allem ausgelöst durch die englische Presse. Die jagten penetrant hinter irgendwelchen Ferry-Sensationen her. Du befindest dich plötzlich in einer Position, wo das öffentliche Image deine Arbeit bedroht und dich selbst zu vernichten droht. Und dann werde ich äußerst sauer auf jene Medien-Mafiosi.“

ME/Sounds: Ich habe die Memoiren von Jerry Hall (ex-Ferry-Freundin, heute Mrs. Jagger) nicht gelesen, doch gut schneidest du dabei wohl nicht ab. Warst du sehr nervös, als ihre Stories an die Öffentlichkeit drangen?

Ferry: „Klar! Begeistert war ich nicht. Wir machen alle Fehler und neigen dazu, diese schnell zu vergessen. Das aber war mein größter Fehler! Ich habe viele Fehler in meinem Leben gemacht, doch auf diesen werde ich immer wieder gestoßen. Ich bin froh, daß ich mich von dieser Erinnerung befreien konnte. Zum Glück glaubt man nicht alles, was man in derartigen Memoiren liest. Was mich enttäuscht, ist die Tatsache, daß Jerry schamlos unsere Freundschaft oder Liebe für Geld verschachert hat. Das ist absolut vulgär!“

ME/Sounds: Du könntest mit deinen Memoiren zurückschlagen…

Ferry: „Das ist nicht mein Stil. Ich hoffe, meine LP läuft so gut, daß ich auch gar nicht erst in diese Verlegenheit komme.“

ME/Sounds: Hast du eigentlich Angst, einmal einem Irren zum Opfer fallen zu können wie John Lennon?

Ferry: „Ich sehe mich nicht in der gleichen Rolle wie John Lennon. Die Beatles waren ein Phänomen, das absolut jeder kannte. Natürlich war ich schockiert und traurig, als ich von Johns Tod hörte; ich war ein großer Fan. Doch beunruhigt hat mich dieser Mord nicht. Ich lebe anonymer. Ich liebe es nicht, dauernd im Rampenlicht zu stehen und ziehe mich zurück, wann immer es geht. Deshalb bin ich auch vor acht Jahren aufs Land gezogen.“

ME/Sounds: Nimmst du aktiv am Leben der Landbevölkerung teil?

Ferry: „Nur wenig. Wir leben dort sehr isoliert.“

ME/Sounds: Hast du viele Freunde?

Ferry: „Nein.“

ME/Sounds: Was bedeutet dir Freundschaft?

Ferry: „Humor ist das Wichtigste für eine Freundschaft. Man muß nicht viel erklären, man reagiert einfach ohne große Worte. Respekt ist wichtig. Meine Frau ist ein guter Freund.“

ME/Sounds: Bist du von einem Freund einmal enttäuscht worden?

Ferry: „Nur einmal, aber dafür richtig. Das war Miss Hall.“

ME/Sounds: Welches war die erste Platte, die du dir gekauft hast?

Ferry: „Eine LP von Charlie Parker. Ich habe alle Solos gelernt und konnte alle Melodielinien singen. Ich hatte das Gefühl, mit einem Genie zusammen sein zu dürfen. Damals war ich gerade 11 Jahre alt.“