Bring the noise, Baby!


Jetzt kommt die staade Zeit. Leider ist das nicht allen Personen im Haushalt von Josef Winkler ohne weiteres zu vermitteln.

Also gut. Das hat also mal in der Hinsicht gar nichts gebracht. Da rennt man Jahr und Tag, über Dekaden hinweg, auf alle möglichen Konzerte, tut dazu noch bis ins hohe Alter ganz jugendlich und schlägt weitgehend Ratschläge und Vorsichtsmaßnahmen in den Wind von wegen Gehörschutz. Gehörschutz? Ja. Wir haben uns sogar mal für viel Geld individuell angepasste Ohrenstöpsel machen lassen, für die ein Mann uns (das ist übrigens kein pluralis maiestatis, sondern ein pluralis ich-und-die-Kollegen-Frank-und-Kochis) rosaroten Baatz in die Ohren schmierte und anhand geronnener Abdrücke knubbelige Silikonpfropfen erstellte, die dann, nach Ablieferung eines, wie gesagt, brutal immensen Geldes, natürlich entweder ständig nicht auffindbar waren oder aber durch ins Spezialbehältnis eingedrungenes irgendwelches Gebrösel so unappetitlich verunreinigt, dass man sie sich gerade nicht in den Kopf quetschen wollte. Also, bei mir zumindest. Und wenn ich sie doch mal benutzte bei einem Konzert, verliehen sie mir ein hermetisches Kopfgefühl, als hätte ich einen mit Betonwatte ausgekleideten Motorradhelm auf. Was nicht nur die bei rockenden Popkonzerten wichtige Verbundenheit zu den umstehenden Besuchern – Stichwort: Gemeinschaftserlebnis; ich rede hier nicht dem Volllabern oder Vollgelabertwerden während eines laufenden Konzerts das Wort, aber doch einer gewissen kommunikativen Offenheit – fast gänzlich wegdämmte. Sondern auch, ganz entgegen der Ankündigung des Gehörschutzmannes, die feineren Nuancen der Musik. Und ganz generell stand der anti-akustische Pfropfen dem erwünschten Gefühl des Kopffreiblasens durch eine gleißende Performance entgegen und war also vollständig kontraproduktiv. Wie Sex mit Daunen-Overalls an. Oder Hundestreicheln mit Gummihandschuhen. Oder Blumenriechen mit Gasmaske. Oder der weiße Hai ohne Zähne. Oder … ach, Sie wissen schon, was ich meine.

Jedenfalls war ich bald wieder zu Zellstoffpfröpfchen zurückgekehrt. Die waren flugs aus einem aus der Jackentasche gefischten Papiertaschentuch hergestellt – ohne viel Geld und rosaroten Baatz, nur ein bisschen Spucke dran, zusammengezwirbelt, fertig – wenn es der Gitarrist oder der Mischer mal allzu wild trieben. Und aus Sicht des Gehörschutzmannes wohl unheiligster Humbug. Aber hey, so ein kleiner Hörschaden, ein wenig Hochtonschwerhörigkeit ist ja quasi Ehrensache unter uns Musikfrieks, bisschen Hornhaut auf der Ohrschnecke, harhar … – und nun dies: Aus dem Baby tönt es grell, den Vater juckt’s im Trommelfell!

All die Jahre von Nirvana (ich hab mir gedacht, ich nutze die folgende Aufzählung, um mal ein bisschen mit Konzerten anzugeben), Sonic Youth und Caspar Brötzmann Massaker über die Tindersticks (Muffathalle 1995, tatsächlich eines der schrill-lautesten Konzerte ever) und Leftfield (DAS lauteste Konzert ever) bis hin zu AC/DC und, hüstel, Led Zeppelin (wie gesagt …) scheinen mich in keinster Weise abgehärtet zu haben für die Schalldruckereignisse, die meine kleine Tochter in die Bude zu zaubern fähig ist. Wenn die Gute – eben noch niedlich, jetzt mit hochroter Birne und aller in die Klangerzeugung hineingepressten Körperkraft – loslegt, komme ich mir vor wie ein australischer Ureinwohner, der sein ganzes Leben lang auf einem Stein im Outback den Kanguruhs nachgeschaut hat und jetzt zum ersten Mal an einer Industriekreissäge steht. Da werden Frequenzen erreicht, die mein Trommelfell, dieses rosige Läppchen, das noch nichts hat mitmachen müssen in seinem Leben, fühlbar zum Flattern bringen. Jetzt habe ich es mit angefeuchteten Taschentuchpfropfen versucht – ein Witz. Heute abend stell ich die Wohnung auf den Kopf: Da war zwar ein Umzug dazwischen, aber irgendwo müssen diese verdammten Silikonstöpsel sein. Wird Zeit, dass sie sich bezahlt machen. Frohes Fest und guten Rutsch!