Bücher


Buch des Monats

Dozent Springsteen als Berater in allen Lebenslagen

Was würde der Boss tun?

von Dominik Schütte

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„Wenn die Liebe ruft, muss das Bücherschreiben Pause machen. (,Dancing In The Dark‘)“

Tom König, der Held dieses Romans, ein Mann Anfang 30, hat es mit den ganz großen Gefühlen zu tun. Um Freundschaft geht es, um seinen toten Vater und um Ersatzfiguren, um Bruderliebe und Muttersorgen, um die eigene Würde im Job und vor allem darum, ob Tom Anna heiraten soll. Weil aber jeder Frauenzeitschriftenleser und Vorabendseriengucker weiß, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen können, kann nur noch einer helfen: der Boss. Denn, natürlich: Bruce Springsteen trägt sein Herz am rechten Fleck – und darüber hinaus ist ihm in seinen Songtexten kein (Männer-)Gefühl fremd, und er singt die Wahrheiten und Weisheiten entsprechend inbrünstig heraus. Tom und sein bester Freund Ben haben sich das zunutze gemacht und eine Kartei angelegt „mit universellen Anweisungen für jede Lebenslage“ des Bosses. Da steht dann zum Beispiel: „Wenn jemand nicht mehr mit dir redet, dann schreib ihm ein Lied. (,Bobby Jean‘)“. Oder: „Wenn einen alles ankotzt: einfach abhauen. (,Born To Run‘,, Atlantic City‘,, Badlands‘,, Thunder Road‘, etc.)“. Dummerweise stellt sich aber heraus, dass sich Springsteen ausgerechnet in Heiratsfragen eher ambivalent geäußert hat. Also beschließt Tom, dass er nach New Jersey reisen muss, um den Sänger selbst zu befragen. Man sieht schon am Plot: Das hier ist Unterhaltungsliteratur und mehr will es nicht sein. Dominik Schütte, im Hauptberuf stellvertretender Chefredakteur des Männermagazins „GQ“, hat keinen besonders präsenten Schreibstil; viele Dialoge, ein Ich-Erzähler, der sich nicht schlauer macht, als er ist, und natürlich ein paar herzerwärmende Schwärmereien über Bruce Springsteen. Reizend, wie Schütte auch die Neo-Springsteenianer-Bands The Hold Steady (Tom war bei einem Konzert) und The Gaslight Anthem (Tom bekommt ein Demotape – „hat vor dir wahrscheinlich noch niemand außerhalb von New Jersey gehört“) einbaut. Ganz nett also alles, aber nicht weltbewegend. Und doch: Das Buch funktioniert; gerade weil die Handlungen auf so ein unvermeidliches Finale zusteuern, in dem alles auf einmal kommt, nur noch wenige Worte gemacht werden, aber dafür große Gesten. Weil es dann traurig und sentimental und kämpferisch und romantisch und auch ein bisschen heldenhaft wird. Wie so ein Springsteen-Song natürlich, den man mit der Faust in der Luft und einem Kloß im Hals mitsingt. Soll keiner sagen, Männer wären für Kitsch nicht empfänglich.

Felix Bayer

She Loves You. Beatles, Stones und der ganze Rest

von U. Schleifenbaum

ohne Bewertung

It’s all about the Sixties

Uwe Schleifenbaum ist nicht nur einer der aufregendsten Schlagzeuger (Keith-Moon-Schule), von dem Sie keine Platte daheim haben, weil er leider nie eine gemacht hat, sondern auch der Einzige, den ich kenne, der ein Mellotron besitzt. Als Redakteur und Autor der ME-Redaktion hatte er den Ruf des „60s-Puristen“ weg, wobei ihn der „Purist“ ärgerte, weil er als Journalist natürlich über den Tellerrand seines Lieblingsjahrzehnts blickte und blickt. Aber die 60er sind tatsächlich Schleifenbaums – der vom Alter her eigentlich Punk hätten werden müssen, aber da kam ihm mit zehn eine Beatles-Best-of dazwischen – Leib-und-Magen-Dekade, die er geradezu studiert zu haben scheint. Jetzt hat er sein geballtes Wissen – oder zumindest weite Teile davon – über das entscheidende und spannendste Jahrzehnt in der Evolution der Popkultur in ein Buch gegossen, das keine distanzierte Zergliederung sein will, sondern explizit „den Appetit anregen“ auf die Musik der 60er, sowie ein kleines Sittengemälde dieser Zeit erzählen soll. Und das tut es, mit trockenem Humor hier, einer Abschweifung da, aber stets dem Herzblut des Fans, der das alles nicht nur liebt, sondern auch genau weiß, warum.

Josef Winkler

A Visit From The Goon Squad

von Jennifer Egan

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Herausragender Gesellschaftsroman

Wenn die „New York Times“ unter den Büchern 2010 eines nennt, das in der San-Francisco-Punkszene der 70er spielt, horchen wir natürlich auf. A Visit From The Goon Squad ist ein Mittelding zwischen Kurzgeschichtensammlung mit wiederkehrenden Charakteren und Roman mit so circa 13 von Kapitel zu Kapitel wechselnden Erzählperspektiven, die von den 70ern bis zur Zukunft in 15 Jahren handeln. Es ist nur ein Nebenaspekt, aber die strukturelle Veränderung der Rolle der Musik in der Gesellschaft wird hier sehr eindrücklich thematisiert und mündet in der interessanten Fantasie, dass es vorsprachliche Kinder sind, die das Musikgeschäft retten. Es ist ein grandios geschriebenes Sittenbild über Bohemiens in verschiedenen Stadien des Alterungsprozesses und des Veraltetwerdens. Literarisch hochambitioniert – ein Kapitel ist eine Powerpoint-Präsentation – aber ohne dass die Experimente zum Selbstzweck werden. Die bisherigen vier Bücher von Jennifer Egan (Jahrgang 1962) werden bei Schöffling übersetzt, man könnte sich also auch noch in Geduld üben; aber irgendwann sollte jeder, den amerikanische Literatur auf der Höhe der Zeit interessiert, dieses Buch lesen.

Felix Bayer

Eure Kraft und meine Herrlichkeit

von Constanze Petery

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Hochtalentierte Autorin debütiert mit Jugendbuch-Plot

Constanze Petery, das ist natürlich wichtig im Jahr eins nach Hegemann, ist erst 19 Jahre alt. Sie hat schon vor zwei Jahren einen Literaturpreis ihrer Heimatstadt München gewonnen, und zwar mit dem Anfang dieses Romandebüts. Man kann das verstehen, denn wie die Ich-Erzählerin Anita sich als perfekte Schönheit im Zentrum des Ausgehlebens beschreibt, hat eine eindrucksvolle sprachliche Dichte, die man kaum viel länger aushalten könnte. Muss man auch nicht, denn bald stellt sich heraus: Anita ist 15, Schulschwänzerin seit Papa die Familie verlassen hat, trinkt zu viel und rutschte unlängst auf die schiefe Bahn. Und dann wird sie auch noch schwanger. So weit, so Jugendbuch. Man merkt der Geschichte an, dass dieses Alter für Petery noch nicht lange her ist; Anitas innere Monologe, die Beschreibungen der Hilflosigkeit ihrer Mutter, die Schuldgefühle für den Verfall der Familie haben eine Dringlichkeit, dass man sich darauf freut, wenn sich diese Autorin demnächst vielleicht weniger klischeebeladenen Geschichten zuwenden wird.

Felix Bayer

The Celestial Café

von Stuart Murdoch

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Das Tagebuch eines Mannes, der noch Zeit hat

Wer die musikalischen Feinzeichner von Belle & Sebastian aus dem englischen Glasgow auch nur ein bisschen kennt, wird bereits ahnen, dass die schreiberischen Ergüsse ihres Komponisten und Sängers nicht den Gang der üblichen Rock’n’Roll-Memoiren nehmen werden. Und in der Tat, so ist es. Stuart Murdoch entzückt seine Fans auf der Band-Website schon seit Jahren mit einem charmanten Tagebuch. Der vorliegende Band beginnt mit dem Eintrag vom 10. September 2002 und endet am 20. August 2006. Und obwohl der Schreiber dieser Zeilen nicht gerade ein Fan von der Musik Belle & Sebastians ist, hat er dieses Buch regelrecht verschlungen. Weit und breit finden sich keine Orgien, Groupies und zertrümmerte Fernseher. Dafür aber ein gemächlicher Fluss von Beobachtungen und Gedanken über Glasgow, Langstreckenläufe, die Band Felt, den Film „Annie Hall“, Katastrophenkellnerinnen, Girlfriend-Mangel, Sonntage, Welt-Tourneen, Kirchenchor und das Teetrinken im Café. All das in einem Schreibstil gehalten, für den das Wort „Eile“ gar nicht zu existieren scheint. Und gerade durch die Weigerung, selbst den winzigsten Gedankengang als Zeitverschwendung zu (v)erachten, wirkt dieses Buch von Stuart Murdoch erfrischend und inspirierend wie ein Spaziergang ducrh Neuschnee im wunderschönen Schwarzwald.

Hanspeter Künzler