Charlotte Gainsbourg über zu Hause


In Lars von Triers Skandalfilm "Anti christ' verwandelt die französische Schauspielerin und Sängerin ihren Zweitwohnsitz in einem idyllischen Wald in die Hölle. Im Privatleben sind ihre Kinder dafür zuständig, die heimischen vier Wände mit Charakter zufallen. Und, klar, die Musik spielt dabei auch eine wichtige Rolle.

Madame Gainsbourg, ihr neues Album IRM haben Sie mit Beck in Los Angeles aufgenommen … Ja. Schrecklich, oder?

Warum? Ich wollte darauf hinaus, dass man sich doch dort sogar im Hotel prima zu Hause fühlen kann. Alles ist erfreulich niedrig gebaut, eben erdbebensicher und mit menschlichem Maß.

Sie machen Witze, stimmt’s? Gut, die Häuser dort wachsen nicht alle in den Himmel. Aber die Stadt breitet sich einfach zu weit aus, wie eine Wüste aus Beton. Und diese Hässhchkeit an allen Ecken und Enden! Ich habe Häuser gesehen, die wirkten wie eine extrem deprimierende Mischung aus Sowjet-Architektur, Disneyland und diesen Autohäusern, wie wir sie in Europa aus unseren Vorstädten kennen. Gesichtslos, herzlos, irgendwie krank. Andererseits habe ich dort Villen gesehen, vor allem in Beverly Hills, die auf Stelzen standen oder in den Fels hineingebaut waren, das war ziemlich verrückt. So was können sich aber auch nur Leute aus der Filmindustrie leisten …

Gut. Wo wohnt man denn dann da, wenn man nicht wahnsinnig werden will?

Im Chateau Marmont natürlich, am Sunset Boulevard. Ein legendäres Hotel mit einer langen Geschichte, vielleicht habe ich mich deshalb dort so wohl gefühlt. Auch wenn diese Geschichte nicht immer eine schöne war …

John Belushi ist dort gestorben, John Frusciante fast auch, und Jim Morrison ist vom Dach gefallen … Genau. Aber weil es so alt ist, ich glaube von 1927, ist es ein ganz besonderer Ort. In Los Angeles ist ja fast alles nagelneu oder steht kurz vorm Abriss. Das Chateau Marmont hingegen wirkt, als wäre die Zeit stehengeblieben. Ich habe Amerikaner getroffen, denen ist es dort zu unheimlich und vor allem zu dreckig. Die Wände haben Flecken, der Teppich wellt sich, die Spiegel werden langsam blind. Wahrscheinlich spukt es dort sogar. Sehr unamenkanisch. Ich mag das. Ich mag’s dreckig. Ich bin Europäerin.

Ihr übelstes Hotel?

In Europa. In Deutschland. Während der Dreharbeiten zu „Antichrist“ wohnten wir in einem offenbar nagelneuen Golfressort bei Köln. Es regnete Tag und Nacht. Unter mir wohnte Willem Dafoe, am Ende des Ganges Lars von Trier, und beim Blick aus dem Fenster gab es nichts zu sehen als frisch angelegte Golfkurse im Nieselregen. Vielleicht lag es auch an dem Film, in dem es um Hexen geht und übernatürliche Erscheinungen, aber … na ja, Lars sagte später: “ Wenn ich nicht schon vorher Depressionen gehabt hätte, dort hätte ich sie bekommen.‘ Ich habe zwar keine Depressionen, kann ihm aber nur beipflichten. Es war sehr unheimlich …

Wie wichtig ist denn das Zuhause für Sie?

Ich habe gelernt, dass es sehr wichtig ist. Mit meinem Freund Yvan, mit dem ich jetzt schon seit 19 Jahren zusammen bin, habe ich jahrelang in verschiedenen Wohnungen in Paris gelebt, immer nur sechs Monate lang oder so. Wir sind umgezogen, weil uns das Spaß gemacht hat. Aber irgendwann wollte ich Kinder, und wir machten uns auf die Suche nach einer eigenen Wohnung. Sechs Monate lang haben wir dann ein Appartment nach dem anderen besichtigt, und das war wirklich komisch: Ich wollte immer die Wohnungen kaufen, in denen Bauklötze, Puppen oder bekritzelte Wände darauf hindeuteten, dass es da Kinder gab. Kinder machen, finde ich, eine Wohnung erst wohnlich.

Kinder? Nicht die Möbel?

Um Gottes Willen, nein! Ich habe da nicht einmal einen eigenen Stil, nie gehabt. Meine Mutter beispielsweise (Jane Birkin — Anm. d. Red.) hat immer nur antike Möbel gekauft, edles altes Zeug. Also dachte ich immer, ich brauchte das auch. Ivan aber hat Geschmack, wir haben jetzt vor allem Möbel aus den 30er und 40er Jahren. Aber eigentlich ist mir das egal. Die richtige Musik ist wichtiger!

Wie bei Ihrem Vater, Serge Gainsbourg?

Ja, dort bin ich eben aufgewachsen, dort lief immer Musik.

Stimmt es, dass Sie sein Haus gekauft … … und in ein Museum verwandelt haben? Nein. Ich habe das Haus gekauft, nachdem er gestorben ist, ja. Und ich wollte es auch immer irgendwann in ein Museum verwandeln. Auch, weil noch immer Leute irgendwelche Textzeilen auf die Hauswand pinseln. Inzwischen will ich das aber nicht mehr. Ich gehe gerne in die alte Wohnung, in der ich alles so belassen habe, wie er es verlassen hat. Langsam wird’s aber problematisch, weil die Wasserleitungen zukalken und andere Rohre lecken, ich bin dort ständig am Flicken und Aufwischen. Aber mir ist dieser Ort der Erinnerung wichtiger als der Friedhof. Dort hat er eben gelebt. Es ist, als wohnte sein Geist noch immer dort.

Und Sie mit ihm. Ist das Heimat?

Ja, das ist Heimat, mein „Elternhaus“. Wissen Sie, als Kind haben wir immer sehr gerne unsere Großmutter besucht, die ein Haus in London besaß. Das war immer etwas ganz Besonderes, auch eine Form von Heimat. Nach ihrem Tod wurde das Haus verkauft… und war einfach weg. Dann lebten da andere Leute, es war renoviert und sah anders aus. Das wollte ich mit meinem Elternhaus nicht geschehen lassen.

Lieben Sie Gärten?

Nein. Wir hatten zwar eine Villa in der Normandie, bei Deauville, und ich erinnere mich, dass wir dort als Kinder im Regen im Garten spielten. Aber ich bin ein Stadtkind, gewohnt, zu Boden zu blicken oder nur bis zur nächsten Hauswand. Neulich ist mir beim Urlaub in Australien klar geworden, dass ich Dinge — Berge oder Bäume – in der Ferne kaum wahrnehme, einfach, weil ich es nicht gewohnt bin. Wissen Sie, mein Vater war kein unkomplizierter Mensch. Er konnte sehr pedantisch sein. Wenn man auch nur eine Streichholzschachtel verrückte, rückte er sie anschließend wieder zurecht. Er hatte zwar moderne Möbel, zum Beispiel die erste Neonröhre in ganz Frankreich, dazu aber seltsam depressive, schwarze Tapeten. Und alles war sehr, sehr ordentlich. Ganz im Gegensatz zum Boudoir meiner Mutter-ein Hort des Chaos und der Unordnung. Diese beiden Pole habe ich heute noch in mir, denke ich. Natur gehört nicht dazu.

Und wenn euch mal die Decke auf den Kopf gefallen ist?

Dann sind wir ausgezogen, rüber ins Hotel Raphael an der Avenue Kleber, und haben dort ein wenig Urlaub in der Renaissance gemacht.

Charlotte Gainsbourg

kam 1971 als Tochter von Serge Ciains-Iwurg und Jane Birkin zur Well. Sie lebl mit dem französischen Schauspieler und Regisseur Yvan Attal zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat. Ihre erste Rolle, im Film „Duett zu dritf. spielte sie mit zwölf Jahren. Zuletzt war sie in Lars von Triers Horrorfilm“.Antichrist“ auf der Leinwand zu sehen. Ihr musikalisches Debüt war 1984 „Lemon Incest“, ein Duett mit ihrem provokationsaffinen Vater. Nach Kooperationen u. a. mit Madonna und Air veröffentlicht sie am 12. Dezember ihr drittes Album IRM.