Chemical Brothers über Klang und Bild


Klassische Musikvideos interessieren die Chemical Brothers nicht mehr, ebenso wenig wie Gaststars im Studio. Was zählt, ist das Erlebnis: Musik und Bilder, zur Einheit verschmolzen. Zuhause im Wohnzimmer oder live auf Konzerten.

Wenn man ein bisschen durch YouTube surft, findet man unzählige von Usern produzierte Videos zu Ihren Songs – beginnend mit „Leave Home“, dem ersten Song Ihres ersten Albums. Verfolgen Sie das?

Tom Rowlands: Den Clip zu „Leave Home“ kenne ich nicht. Was passiert da?

Irgendjemand rennt.

Ed Simons: Das machen sie gerne. Irgendjemand rennt immer.

Rowlands: Es gibt eine ganze Menge solcher Videos, von denen einige sehr anspruchsvoll sind, wahrscheinlich Abschlussarbeiten oder so. Eigenartigerweise meistens zu den Songs, bei denen Beth Orton singt. Ich habe gerade eines zu „Song To The Siren“ im Kopf, das mir sehr gut gefiel.

Ihre offiziellen Videos sind in Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Spike Jonze und Michel Gondry entstanden. Zum Album FURTHER gibt es statt des Musikvideos Visuals zu jedem einzelnen Track. Haben sie das Interesse am klassischen Genre Musikvideo verloren?

Rowlands: Wir haben gerade in den 90er-Jahren tolle Clips mit tollen Leuten gemacht. Aber bei den letzten Alben interessierte mich das einfach nicht mehr. Dazu kam, dass unsere letzten beiden Alben durch die vielen Gastmusiker eine ziemliche Feature-Schlagseite hatten. Wir hatten das Gefühl, dass wir insgesamt etwas verändern würden müssen. Also setzten wir uns nach der Tour hin und überlegten, was man anders machen könnte. Und weil wir wussten, dass diese acht Stücke irgendeine Form von Zusammenhalt benötigen würden, entschieden wir uns, sie als visualisierte Live-Show zu begreifen. Wir veröffentlichen schließlich seit 1995 Platten. Und wir sehen, wie sich die Dinge in den letzten Jahren verschoben haben. Wir glauben, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, eine Platte wie FURTHER zu veröffentlichen.

Dabei haben Sie bisher ihre Visuals in den Hallen und auf den Festivalbühnen belassen – es gibt keine Live-DVD von den Chemical Brothers …

Rowlands: Die Leute wollten natürlich eine solche DVD haben. Wir aber nicht, weil wir der Ansicht waren, dass die Erfahrung eines Livekonzerts nicht reproduzierbar ist. Und further ist auch keine Live-DVD. Es sind Songs und die dazugehörigen Bilder. Fürs Wohnzimmer.

Sie haben für FURTHER mit Adam Smith und Marcus Lyal zusammengearbeitet, die seit Jahren Ihre Bühnenvisuals entwerfen. Wurden die beiden in den Entstehungsprozess des Albums als gleichberechtigte Partner miteinbezogen?

Rowlands: Die Musik kam an erster Stelle. Wir dachten aber durchaus darüber nach, mit einem Bild anzufangen und dann die dazu passenden Klänge herauszuarbeiten, merkten jedoch schnell, dass das nicht funktioniert. Also arbeiten wir im Studio, Adam kam während des Aufnahmeprozesses vorbei, hörte sich an, was wir bis dahin produziert hatten und dachte darüber nach, wie er das in Bilder umsetzen könnte.

Simons: Wobei beide Parteien eine eigene Vision hatten. Dass es am Ende so gut aussieht, liegt vielleicht daran, dass wir nicht allzu viele Fragen stellten. Ich glaube, dass viel, was die Verbindung von Musik und Bildern angeht, im Unterbewusstsein stattfindet und man das gar nicht überanalysieren sollte.

Wie sah Ihre Zusammenarbeit in den Anfangsjahren aus?

Rowlands: Adam war schon bei unserem ersten Gig dabei – das war 1993 und mehr oder weniger Zufall. Er war Teil der sogenannten Visual Vegetable Gang, die in dem Club, in dem wir spielten, jeden Abend Super-8- und 16-Millimeter-Filme an die Wände warf. Das gefiel uns gut, weil es etwas sehr Eigenes war.

Simons: Bei den Raves – egal, ob es die großen waren oder die in irgendwelchen Clubs – war die optische Ausgestaltung meistens sehr simpel, um ein paar Filme im Pink-Floyd- oder Velvetunderground-Stil und Lavalampen-Effekte modelliert, dazu kamen Stroboskope. Wenn überhaupt Filme liefen, dann zeigten die einen tanzenden Roboter oder so. Der Ansatz von Adam und Marcus war ein anderer. Sie hatten einfach besseres Material. Sie warfen Bilder von Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei an die Wand, eine Zeit lang gehörten Aufnahmen von der Operation an einem Augapfel zu ihrem Programm. Dabei legten sie sehr viel Wert auf das richtige Equipment, auf diese alten Projektoren. Höhepunkt war ein Auftritt in der Brixton Academy, wo sie 20 davon verwendeten.

Aber diese Visualisierung ließ sich nicht ewig aufrecht erhalten?

Rowlands: Als die Konzerte größer und größer wurden, musste auch das Equipment mitwachsen. Bei unserem ersten Konzert auf der Hauptbühne bei Glastonbury haben wir ewig all den Kram hin- und hergeschoben – und festgestellt, dass das einfach nicht ging, dass wir professionelle Projektoren benötigen.

Wurde dieser Spaß eigentlich nicht eines Tages zu teuer? Gab es Touren, mit denen Sie keinen Gewinn mehr machten?

Rowlands: Ja! Die aktuelle Tour zum Beispiel. Die ist teuer. Die Visuals sind sehr anders als das, was wir in der Vergangenheit machten. Der Beginn des Sets etwa ist sehr intensiv und auch sehr hochauflösend.

Simons: Das hier ist unsere Tour der Eitelkeit. Wir hoffen, dass sie irgendwie funktioniert. Adam besteht heute leider darauf, die feinsten, modernen Technologien zur Verfügung gestellt zu bekommen. Wir verwenden irgendwelche kaputten Synthies, und er bekommt glitzernd-glänzendes Hi-Tech-Eqipment.

Albumkritik S. 75

www.thechemicalbrothers.com

Als die britischen Dust Brothers Mitte der 90er von den original US-Dust-Brothers (u. a. Produzenten der Beastie Boys) aufgefordert werden, ihren Namen zu ändern, sind Tom Rowlands und Ed Simons eigentlich schon nicht mehr aufzuhalten. Sie haben als DJs des „Heavenly Sunday Social Club“ in London Noel Gallagher, Paul Weller, Tim Burgess u. a. kennen gelernt, sie remixen bereits deren Songs und viele mehr, vor allem aber haben sie mit „Chemical Beats“ schon den Blueprint-Track des Big Beat veröffentlicht – eine der Dance-Innovationen des Jahrzehnts. Rowlands und Simons nennen sich schließlich in The Chemical Brothers um und gehören seither zu den erfolgreichsten Danceacts weltweit.