Cher


46 Jahre und kein bißchen leiser: Wenn Cher über Kollegen und den Rest der Welt herziehen kann, fühlt sie sich noch immer jung. Doch in eigener Sache zeigt sich die Chirurgen-verwöhnte Sängerin von quälenden Selbstzweifeln angenagt.

ME/Sounds erfuhr in Beverly Hills, was es bedeutet, ein Leben lang die Hinterbacken zusammenkneifen zu müssen.

ME/SOUNDS: Welches Bild, glaubst du, haben die Leute von CHER?

CHER: Keine Ahnung. Sag du es mir. Ernsthaft — ich will es wissen.

ME/SOUNDS: Man sieht dich sicherlich als jemanden, dem Sex verdammt wichtig ist…

CHER: Das stimmt. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit. Doch es ist nur ein Teil des Pakets. Freilich scheint es das Ding zu sein — von allem, was ich von mir gebe — das am gierigsten herausgepickt wird, während andere Sachen nicht beachtet werden.

ME/SOUNDS: Hierzulande jedenfalls ist Cher eine attraktive Frau, die nicht allzu viel Kleidung trägt, gelegentlich einen Hit landet und einige recht gute Filmrollen gespielt hat.

CHER: Ich vermute, das geht in Ordnung. Du hast das Kind beim Namen genannt.

ME/SOUNDS: Mal ehrlich: Du läßt dich halbnackt von Unten fotografieren, um deine Tournee zu . promoten? Du verkaufst also im wahrsten Sinn des Wortes deinen Arsch?

CHER: Ich verkaufe meinen Arsch eher im übertragenen Sinn. Es ist ein Weg, Menschen zu den Konzerten anzulocken. Ich benutze meinen Hintern, um die Leute zu faszinieren.

ME/SOUNDS: Wenn das Hinterteil wichtiger ab der Kopf wird, istesfir viele deiner Kolleginnen Zeit, sich von dem nackten-Hintem-Image zu distanzieren.

CHER: Ich distanziere mich nicht davon, schließlich ist das ja nicht die Person, die ich die ganze sonstige Zeit bin. Es ist einer der kleinsten Teile meines Lebens. Ob mir das peinlich ist? Nein. Es macht mir so oder so nichts aus. Um dir die Wahrheit zu sagen: ich denke, daß Sex eine großartige Sache ist, aber ich weiß nicht, ob Sex und Nacktsein viel miteinander zu tun haben.

ME/SOUNDS: Praktisch gesehen, schon.

CHER: Stimmt, aber ich verbringe nicht viel Zeit damit, über das Nacktsein nachzudenken. Ich sah das Bild von mir an und dachte, daß es wirklich schön ist. Kein Pomofoto, aber auch nicht die Venus von Milo. Ich dachte nur, es ist eine Alternative zu den sonstigen Tournee-Plakaten, und diese Idee — Chers Rükken — ist wirklich gut. Der Nachteil ist, daß man sich irgendwann in diesem Image verfängt. Ich habe in Amerika zwei Videos gemacht, die einfach nicht ankamen. Man sagte, das sei kein CHER-Video, weil:

„Du hast die ganze Zeil deine Klamotten an.“ Das würden sie bestimmt nicht zu Eric Clapton sagen.

ME/SOUNDS: Gott sei Dank‘ CHER: Das hast du gesagt!

ME/SOUNDS: Du weißt das sicherlich besser, schließlich bist du vor kurzem mit ihm ausgegangen. ..

CHER: Es war eigentlich eher ein Essen als eine Verabredung. Wir hatten eine nette Zeit. Er ist sehr nett. Ich fühlte … eine Menge für ihn.

ME/SOUNDS: Besucht ihr gegenseitig eure Konzerte?

CHER: Ich bin mir nicht sicher, ob er in meiner Show war. Ich selbst gehe auch nicht mehr so gern auf Konzerte. Ich fände es aber schon aufregend, Eric Clapton zu sehen. Oder Etta James. Mir fallen nicht viele Leute ein, die ich wirklich gern live sehen möchte. Aber ich liebe Eric Claptons Musik, und ich liebe die Geschichte seiner Musik. Außerdem denke ich, daß er ein wirklich großartiger Musiker ist. Also: das wäre etwas, womit ich ein wenig Zeit verbringen würde.

ME/SOUNDS: War erwarten die Leute deiner Meinung nach von einem CHER-Konzert?

CHER: Ich habe keine Ahnung. ¿

ME/SOUNDS: Würdest du dich selbst live ansehen, wenn du dafür zahlen müßtest?

CHER: Wenn ich ein Fan von mir wäre, würde ich mich anschauen. Ich habe aber Zweifel, ob ich ein Fan von mir werden könnte.

ME/SOUNDS: Warst du schon so selbstsicher, als du deine Karriere als Künstlerin begonnen hast?

CHER: Noch nie. Ich habe immer noch nicht so viel Selbstvertrauen. Es war am Anfang noch schwieriger für mich. Es war Sonny, der mich erstmals auf die Bühne schubste. Ich war richtig ängstlich.

ME/SOUNDS: Trotzdem hast du auf praktisch allen von Phil Spectors Klassikern den Background gesungen.

CHER: Ja, ich fing mit „Be My Baby“ an, hörte mit „You’ve Lost That Lovin‘ Feelin'“ auf und sang auf allen LPs dazwischen, einschließlich dem „Cnristmas Album“.

ME/SOUNDS: Wie war es ßr dich, als kleines Mädchen in Spectors Studio?

CHER: Philip war immer merkwürdig, ein sehr seltsamer. Aber er war damals auch sehr jung. Ich war 16, also konnte er gerade Anfang 20 gewesen sein, glaube ich. Sonny und Jack (Nietzsche) waren 28. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Philip traf. Er nahm gerade Französisch-Stunden und als wir uns vorgestellt wurden, sagte er zu mir — auf französisch — „Willst du mü mir ins Ben gehen V Ich antwortete ihm — auf französisch — „Für Geld“. Ich war sehr verwirrt, weil er den ganzen Tag so herablassend mit mir umging. Das machte mich sauer. Deswegen hatten wir vom ersten Moment an eine sehr merkwürdige Beziehung. Wir mochten uns aber immer. Ich habe sein Benehmen nicht immer gutgeheißen, weil er ein echtes Arschloch sein konnte, wirklich hinterhältig und größenwahnsinnig. Er war sonderbar — er fickte alle, mit denen er es machen konnte, ließ aber die Finger von denen, die sich dagegen wehrten. Er war wie ein Kind, das drängelt und quengelt, nur um zu sehen, wo deine Grenzen sind. Aber es war eine völlig andere Zeit. Es war, als lebte man auf der Erde und wäre auf dem Mond aufgewachsen. Das Plattengeschäft, der Rock ’n‘ Roll, war damals noch keine Industrie. Ich erinnere mich daran, wie ich mit Brian Wilson und den Byrds zusammen gewesen war. Wir hingen in den Gold Star Studios herum und die Musik wurde nur von jungen Leuten gemacht. Die älteren Leute blieben außen vor, weil sie nicht richtig wußten, wie sie damit umgehen sollten. Und die jungen Leute wußten nicht, was sie wert waren oder wie wichtig sie als Künstler waren.

ME/SOUNDS: Wenn du heute diese Spector-Platten hörst, erkennst du deine Stimme heraus?

CHER: Absolut. Ich habe so eine charakteristische Stimme. Man kann sie hören, wenn man genau aufpaßt. Ich mußte bei den Aufnahmen einige Meter hinter den anderen stehen, weil meine Stimme immer die anderen Chorsänger übertönte. Sie schnitt richtig durch. Das muß der Studiowitz gewesen sein: „Noch einen Schritt zurück, Cher!“

ME/SOUNDS: Du hattest eine lange Freundschaft mit Bob Dylan. Wie fing das an ?

CHER: Mein erster Hit war von ihm geschrieben. Ich habe ihn aber seit Jahren nicht mehr gesehen. Er ist ein merkwürdiger Mann. Er schert sich nicht um irgendwelche kleinen Höflichkeitsfloskeln. Sollte ich ihn nie wieder sehen, wäre es mir egal. Aber es war interessant, ihn zu damaliger Zeit gekannt zu haben und in seiner, Sarah’s und der Kinder Nähe gewesen zu sein. Wir lebten als Nachbarn, daher kannte ich sie gut. Wir sangen 1974 so etwas wie ein Duett für Davids Geburtstag: Bob, ich, Robbie Robertson, J. D. Souther und Jackson.

ME/SOUNDS: Warum ziehst du so hart über Madonna her, wenn du in der Offendichkeil über sie redest?

CHER: Die Sache geriet irgendwie aus der Hand. Ich traf sie, sie kam zu mir nach Hause. Und sie hat sich unverschämt benommen. Sie ist unverschämt, weil sie es sich leisten kann, weil sie damit bei den Leuten durchkommt. Sie war nicht richtig grob zu mir, aber zu allen anderen. Ich dachte, es ist dumm, aber sie ist ja noch jung. So unverschämt zu sein ist nur unreifes Kleinmädchengetue.

ME/SOUNDS: Du bist für dein Alter unverschämt gut aussehend Hast du bei deinem Schönheits-Chirurgen eigentlich eine Zehnerkarte?

CHER: Ach was, das sind doch alles beruflich bedingte Eingriffe. Die Dinge, die ich habe machen lassen, wie meine Zähne und meine Nase, waren mir sehr wichtig. In den Filmen sahen meine Zähne richtig schlecht aus, und ich wollte sie gerade gemacht haben. Meine Nase war sehr groß, und ich wollte sie kleiner haben. Wenn das für dich bedeutet, ich würde mich selbst hassen, dann will ich dir dein Recht lassen.

ME/SOUNDS: Es wäre doch keine Schande, mit 46 langsam über das Alter und seine kleinen Schwächen nachzudenken…

CHER: Was denkst du, was mich die ganze Zeit beschäftigt. Ich weiß im Moment wirklich nicht, ob ich weiter diese Cher bleiben will.

ME/SOUNDS: Du könntest dem Beispiel deines Ex-Freundes Sonny folgen und Politikerin werden.

CHER: Nein, ich wäre nicht dazu in der Lage, in die Politik zu gehen. Dafür bin ich viel zu ehrlich. Ich sehe, wie die Öffentlichkeit manipuliert werden kann. Das könnte ich auch, aber ehrlich gesagt, ich muß das nicht haben. Ich habe „Cher“ verkauft, obwohl es nicht modisch oder statthaft war. eine Tätowierung oder einen jüngeren Freund zu haben. Aber… ich mag einfach die Welt um mich herum nicht besonders. Es ist kein toller Platz, und ich weiß nicht, ob ich etwas dazu beizutragen habe, ihn zu verbessern. Ich muß einen Weg für mich herausfinden, etwas zu tun, das ehrlicher ist oder lohnender. Denn Unterhaltung allein scheint mir nicht so wichtig zu sein. Wenn ich die Sachen sehe, die passieren, bezweifle ich, ob sie mir Mut machen, weiterhin eine Unterhaltungskünstlerin zu bleiben.

ME/SOUNDS: Fühlst du dich durch den Ruhm in der Entfaltung deiner Persönlichkeitbehindert?

CHER: Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich war mein Leben lang nie etwas anderes als berühmt ¿

ME/SOUNDS: Was außer Unterhaltung würdest du dir sonst noch zutrauen ?

CHER: Ich weiß nicht, was ich sonst machen würde. Ich bin mir aber sicher, daß, was auch immer ich tun würde, ich es gut machen würde.

ME/SOUNDS: Was kannst du mit deinen Talenten außerdem anfangen?

CHER: Ich weiß nicht, was ich bisher damit angefangen habe. Ernsthaft — ich meine, du bringst eine Platte heraus und verbringst eine Menge Zeit damit, sie zu verkaufen. Und wenn du es geschafft hast, war es das. Ich habe immer versucht, mich zu verändern, so daß man mich nicht in eine Schublade stekken kann. Ich meine, ich mag die Schauspielerei und mein Herz ist ganz bei der Sache, wenn ich es mache. Aber ich sehe mich nun wirklich nicht als ernsthafte Schauspielerin.

ME/SOUNDS: Machen wir zur Auflockerung mal ein kleines Assoziations-Spiel: Schnelle Fragen, schnelle Antworten.

CHER: Schieß los! ME/SOUNDS: Bewegt dich deine eigene Musik?

CHER: Nein. ME/SOUNDS: Was hast du von deinen Eltern geerbt?

CHER: Wahnsinn von meiner Mutter und eine Art Liebenswürdigkeit von meinem Vater.

ME/SOUNDS: Hast du wegen deines Wohlstandes ein schlechtes Gewissen?

CHER: Ich weiß nicht, ob einem jemals dabei behaglich sein kann. Ich komme aus sehr armen Verhältnissen, deswegen wird Größenwahnsinn nie meine zweite Natur werden. Ich weiß es zu schätzen, aber ich bin nicht wie meine Kinder, die es einfach so hinnehmen.

ME/SOUNDS: Hast du ein Laster?

CHER: Ich weiß nicht. Gilt Schokolade?

ME/SOUNDS: Was ist dein größter Fehler?

CHER: Ich bin eitel.

ME/SOUNDS: Hast du dich in den 61km so angezogen, um eine Reaktion zu provozieren?

CHER: Jetzt darf ich aber wieder mehr sagen? Wir wollten eigentlich niemanden provozieren. Wir dachten nur, es sei anders und cool. Sonny hatte langes Haar als ich ihn kennenlernte, und er war die erste Junge mit langem Haar, den ich getroffen hatte.

ME/SOUNDS: Aber ihr seid nie richtige Hippies gewesen.

CHER: Wir haben uns wie Hippies angezogen, bevor es sie gab, aber wir lebten nicht wie Hippies. Wir nahmen keine Drogen, hatten keine Räucherstäbchen brennen und gingen nicht zu Love-In’s. Wir waren einfache, bürgerliche Leute.

ME/SOUNDS: Hast du irgendwann einmal Drogen ausprobiert?

CHER: Ich habe sehr kurz damit herumhantiert, nachdem ich Sonny verlassen hatte. Und ich sage dir etwas — ich glaube, wenn ich sie wirklich gemocht hätte, hätte ich damit weitergemacht. Aber es war nichts dabei, was mir gefallen hätte. Ich denke, es ist große Zeitverschwendung.

ME /SOUNDS: In deiner Beziehung mit Sonny standest du total unter seiner Fuchtel Was genau hat dich bewogen, ihn zu verlassen?

CHER: Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube erstens, weil ich nicht gerne Entscheidungen treffe. Ich brauche viel zu lange, um etwas in meinem Leben zu verändern. Damit ich mich ganz verändere, muß ich mich schon sehr unbehaglich fühlen und an den Punkt kommen, ab dem mir alles egal ist. Aber selbst da war es schwer, weil wir eine großartige Zusammenarbeit hatten, viel Erfolg, eine lustige Zeit. Wenn er dann mal wieder richtig lieb zu mir war — schon war ich mir nicht mehr so sicher, ihn zu verlassen. Ich war 16, als ich ihn traf. Wir waren 1 1 Jahre lang zusammen, also hatte ich keine Erfahrung in Sachen lange Beziehungen. Er war 28. als wir uns kennenlernten. Ich war eher seine Tochter als seine Ehefrau.

ME/SOUNDS. Wirfihltest du dich, nachdem du ihn tatsächlich verlassen hattest?

CHER: Nun, an dem Tag war ich aufgeregt und entzückt. Es war großartig. Aber ich wußte nicht, was meiner Karriere passieren würde, weil wir mit der Sonny und Cher-Show Amerikas Lieblinge waren. Aber ich war so weit, das alles wegzuwerfen.

ME/SOUNDS: Wie lange dauerte es nach diesem ersten Gefühl von Erleichterung und Freiheit, so eine erstickende Beziehung vollständig zu verdauen?

CHER: Ehrlich gesagt war es Jahre spater, vielleicht 1983 oder’84.

ME/SOUNDS: Hängt der Gebt von Sonny Bono noch ein wenig über dem, was du heule machst?

CHER: Nein. Bis vor kurzem schon, aber ich bin jetzt definitiv ich selbst.

ME/SOUNDS: Was heißt dieses „ich selbst«fär dich genau?

CHER: Es ist eigenartig. Ich gehe durch eine sehr merkwürdige und sehr unruhige Zeit meines Lebens, denn wenn ich jetzt jung wäre, würde ich ein Anarchist sein. Ein Revolutionär sogar, wenn ich mehr Energie hätte. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, wie lang ich diese Show hier noch weitermache, weil ich nicht weiß, wo ich hineinpasse oder ob ich überhaupt irgendwo hineinpassen will.

ME/SOUNDS: Du bist Legastheniker. Macht dir das Lesen von Manuskripten und Texten Schwierigkeiten?

CHER: Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Wenn ich einmal etwas langsam lese, kann ich es fast gänzlich verstehen, behalten. Normalerweise haben Menschen mit dieser Krankheit irgendeinen anderen Sinn verstärkt ausgebildet, um das zu kompensieren.

ME/SOUNDS: Welchen Effekt hat die Legasthenie auf dein tägliches Leben ?

CHER: Ich kann nicht gut buchstabieren. Außerdem habe ich manchmal Schwierigkeiten mit dem Telefon. Ich verdrehe Nummern. Sieh mal, ich bin viel zu alt, um es korrigieren oder behandeln zu lassen. Ich habe auch Probleme mit manchen für andere Menschen ganz normale Systeme. Der einzige Streit, den Rob (Camilleti, ihr Freund) und ich je hatten, war, als er versuchte, mir das System der 24-Stunden-Uhr beizubringen. Ich verstehe diese Digital-Anzeigen aber nicht. Ich kann es auf nichts beziehen. Ich stehe mit Zahlen auf Kriegsfuß. Welches Datum haben wir heute eigentlich?