Chris Farlowe


... und wieder hat ein cleverer Manager seinen Schützling überredet, ein Comeback zu starten. Diesmal traf es Chris Farlowe, der Mitte der 60er Jahre als einer der profiliertesten Blues- und R & B-Sänger in die englischen Popmusik-Annalen einging. Nur einen einzigen Hit konnte er landen*. "Out of Time", eine Jagger/Richard-Nummer, die sich derzeit erneut in drei Versionen in den britischen Charts tummelt.

Chris ist einer von denen, die ziemlich frustriert sind und daher eher vorsichtig an ein Comeback herangehen. Zu oft war er enttäuscht worden, entweder von den Geschäftspraktiken seines Managements oder von Seiten der Plattenfirma. Und dennoch hat er sich entschlossen, noch einmal anzufangen. Man sollte meinen, daß jemand mit seiner Erfahrung und dem Wissen um Vor- und Nachteile, die meisten der Fehler vermeiden kann, die sonst Anfängern drohen.

Bis vor kurzem noch fühlte er sich in seinem Military-Shop sichtlich wohl. Dort, zwischen ausgedienten SS-Mänteln, Orden aus beiden Weltkriegen und sonstigen NS-Erinnerungsstücken, war er weit weg vom Business und hatte seine Ruhe. Bis eines Tages, etwa vor fünf Monaten, Barry Parker, sein Manager, ihm wieder mal ein Angebot unterbreitete. Er sollte vorerst einmal eine neue Band auf die Beine stellen und mit ihr eine kleinere Englandtour absolvieren – sozusagen als Test. Wenn es gut liefe, sollte auch eine Platte aufgenommen werden und weitere Tourneereisen durch Europa folgen. Aber halt, so weit ist es noch nicht…

Nachdem Parker sein Angebot gemacht und Chris sich die Sache überlegt hatte, rief er zunächst seinen alten Kumpel Albert Lee an. Der Gitarrist weilte zu dieser Zeit zwar gerade in den USA, wo er mit Joe Cocker einige Konzerte gab, was offensichtlich aber kein Hinderungsgrund war. Er hatte nämlich Bock darauf, wieder mit Farlowe zusammenzuarbeiten. Albert war schon bei Chris‘ legendärer Gruppe, den „Thunderbirds“, dabei gewesen, und die beiden kannten und schätzten sich bereits seit Jahren. Als die Thunderbirds 1969 das Handtuch warfen, formierte er eine der stärksten R & B-Gruppen Englands: Heads, Hand And Feet, deren wenige Platten heute leider kaum noch aufzutreiben sind.

Neben Lee spielen in der neuen Band das Rhythmusgespann Gerry Conway (Drums) und Pat Donaldson am Baß, beide voll beschäftigte Studiomusiker und Jean Roussel, der Tastenmann von Cat Stevens. Als Backing-Chor engagierte man Madeline Bell und Joanne Williams, die neben Farlowes rauhem, lautem Organ glänzend zur Geltung kommen. Vollendet wird eine Gruppe dieser Art natürlich durch ein paar Bläser, die (unter der Leitung von Chris Mercer) die Sache erst so richtig ins Rollen bringen. Chris Farlowe ist denn auch stolz auf seine neue Truppe und betont immer wieder, wie gut sie doch sei. Sich selbst läßt er dabei freilich nicht aus: „Ich weiß, daß diese Band gut ist, und ich weiß, daß ich gut bin. Ich war einmal ein großer Bluessänger und bin es vielleicht noch. Ich könnte noch jederzeit mit Ray Charles zusammen singen!“

Er war wirklich ein großer Bluessänger, damals, Mitte der 60er Jahre. An diese Tage erinnert er sich denn auch am besten: „Ich liebte diese Zeit damals. Ich wünschte, es wäre heute noch so. Du gingst einfach ins West End in einen Club und konntest jeden Abend die gewaltigsten Bands hören. Manchmal kam einer von den Beatles ‚rein oder ein ‚Stone‘ und setzte sich zu uns. Tolle Tage war’n das …“ Bereits zu der Zeit, als die Beatles noch nicht Beatles hießen und sich Abend für Abend im Hamburger Star Club verausgabten, war Chris in der Szene. Besonders seine Star Club-Auftritte und die unzähligen Tourneen durch amerikanische Clubs waren eine harte Schulung und das beste Training, was sich ein guter Sänger nur wünschen konnte. Und auf diesem Feld reiften denn auch etliche von ihnen heran.

Nachdem Chris aber nur ein einziges Mal so richtig in den Vordergrund getreten war, mit dem schon erwähnten „Out Of Time“, gab es sehr bald Schwierigkeiten. Ob seine geringe Popularität eine Folge seines nicht gerade fotogen wirkenden Äußeren war, ob ihm ein klares Image fehlte oder ob die Leute um ’69 herum einfach nicht mehr auf seiner Musik standen, ist heute noch unklar. Jedenfalls lösten sich die Thunderbirds auf, und Chris ging nach Amerika, wo jemand mit ihm eine Platte machen wollte. Er spielte in dieser Zeit in den Staaten mit Janis Joplin, Jimi, dem Großen und Joe Cocker, seinem alten Saufkumpan. Sehr viel kam allerdings nicht dabei heraus.

Zurück in England, nahm er unter dem Namen „The Hill“ mit einer neuen Gruppe eine erstaunlich gute LP auf, die allerdings wenig Staub aufwirbelte. In Deutschland erschien sie erst gar nicht. Während einer Tour mit dem „Hügel“ lernte er schließlich Jon Hiseman von Colosseum kennen, der ihm nach einigem Hin und Her anbot, doch bei ihnen einzusteigen. Dankbar und begeistert nahm Chris an und folgte Hiseman zu Colosseum. Mit ihnen zog er vor allem in europäischen Konzerthallen herum und besang die fertigen Aufnahmen des „Daughter Of Time“-Albums im Playback-Verfahren. Er ist auch auf Teilen der später veröffentlichten Live-LP noch zu hören, aber es sollte nicht mehr lange dauern … Hiseman löst Colosseum bald auf, weil er was anderes machen will, und Chris steht bedauernd und frustriert auf der Straße. Noch heute nennt er die Auflösung Jon’s schwerwiegendsten Fehler.

Im Anschluß an Colosseum folgt ein relativ kurzes Gastspiel bei den damals schon ziemlich abgewrackten Atomic Rooster. Wer Farlowe in diesen neun Monaten erlebte, erschauerte meist. Oft kam er stockbesoffen auf die Bühne und röhrte wie ein abgestochener Elch, konnte aber dennoch einigen Unverbesserlichen ganz schön einheizen. Der Rest gedachte schweigend seiner Glanzzeiten … „Es war ganz okay. Keine unbedingt schlechte, Band“, kommentiert er heute dieses eher traurige Kapitel seiner Vergangenheit. Aber was sollte er tun, von irgend etwas mußte er schließlich leben. (Diese unverhältnismäßige Zusammenarbeit ist auf dem Rooster-Album „Made in England“ jederzeit nachzuhören.)

Nach diesen bitteren Monaten stand er mal wieder allein da. Und kurzentschlossen erfüllte er sich einen alten Jugendtraum: den Military-Shop. Einen Laden mit Utensilien aus Deutschlands schwärzester Stunde, die im Ausland in letzter Zeit mehr als gefragt ist – freilich nur als Hobby. Dort waltete er, teils Kaufmann, teils begeisterter Sammler und sann nach“. Und zu sinnen gab es genug. Zum Beispiel, warum es bei ihm nie geklappt hatte mit dem großen Sprung, wo doch heutzutage nur noch solche „Fucking Bands“, wie er sie nennt, zu hören sind.

Irgendwie scheint John Henry Deighton, wie Chris mit bürgerlichem Namen heißt, seiner Zeit etwas hinterherzuhinken. Vom Trauern mal ganz abgesehen. Ob sein Sinnen von Erfolg gekrönt war, wird sich bald zeigen, denn Chris hat vor, in Kürze einen Abstecher nach Deutschland zu unternehmen. Ein wenig fetter, oder wie es der Melody Maker typisch englisch formuliert: „Etwas schwerer in der Mitte“, wird er dann wieder in seiner speckigen Fransenjacke über die hiesigen Bühnen toben, einem Orkan gleich und wird brüllen, daß sogar die Klofrau im Keller erschreckt von ihrer Arbeit aufschaut und zugeben muß, daß das alte Blues-Faß zurück ist. Okay Chris, wir erwarten dich!