Crosby, Stills, Nash & Young: Vier gewinnt


DIE HERREN CROSBY, STILLS, NASH & YOUNC LASSEN WARTEN. PÜNKTLICHkeit ist eine Zier, und Unpünktlichkeit ist die Zier der Superstars. Wir befinden uns in einer Luxus-Suite im „Westin St. Francis“, einem Nobelhotel am Union Square in San Francisco. Hier bitten die vier wiedervereinigten Folk-Rocker zur Audienz. Allein der Einzug der Gladiatoren gestaltet sich zähflüssig. Nach einer Viertelstunde stiefelt Stephen Stills herein. Das Hawaiihemd in XXL und ein dunkles Sakko vermögen die Leibesfülle des 54jährigen nicht sonderlich zu kaschieren. Stills genießt sichtlich das wiedererwachte Interesse an seiner Person, das freilich immer dann besonders akut wird, wenn er mit den Herren David Crosby, Graham Nash und – vor allem – Neil Young zugange ist. Nachdem Stills alle Räume majestätisch, wie der Oskar Lafontaine des Folk-Rock, durchmessen hat, die eine oder andere Köstlichkeit vom Büffet sich einverleibt hat und gönnerhaft Blicke in Richtung der anwesenden Journalisten geworfen hat, kommt David Crosby herein – ein netter, älterer Herr von 58 Jahren, mit Walroßbart und wenigen, dafür aber langen grauen Haaren. Die 21 Pfund, die er nach eigenem Bekunden in den vergangenen Wochen abgenommen haben will, fallen – buchstäblich – nicht ins Gewicht. Das Sorgenkind der Folk-Rock-Supergruppe ist nach exzessivem Drogenmißbrauch, mehreren Aufenthalten hinter Gittern und einer Lebertransplantation zwar gesundheitlich wieder auf der Höhe, doch körperlich immer noch so breit wie hoch. Auch Crosby nascht vom Buffett, wird aber in seinem Unterfangen jäh gestört, als Graham Nash hereingerollt wird. Ja, Nash kommt im Rollstuhl an. Vor ein paar Wochen erst hat sich der 57jährige beide Beine bei einem Bootsunfall in Hawaii gebrochen. Der Patient ist mittlerweile auf dem Wege der Besserung. „Mein Körper ist noch ein bißchen wackelig, aber mein Geist ist hellwach. Meine Knochen müssen halt erst noch richtig zusammenwachsen. Mein Arzt hat mir gesagt, daß zur Zeit ein Drittel meiner Energie in den Heilungsprozeß einfließt. Und ich versuche, dieses Drittel für die Heilung aufzubringen“. Wieso hat er dann die Strapazen auf sich genommen und ist heute überhaupt erschienen? „Weil wir eine Band sind. Ich kann doch meine Freunde nicht im Stich lassen.“ Zum ersten – aber nicht letzten – Mal, wird an diesem Nachmittag das Bild von CSNY als eingeschworene Gemeinschaft bekräftigt. Was im krassen Gegensatz zu der krisengeschüttelten Karriere des Quartetts steht. Jenes Bandmitglied, das die Existenzberechtigung von CSNY öfters hinterfragt hat und sein eher gespaltenes Verhältnis zu den Kollegen durch diverse Ausstiege und Wiedereinstiege unterstrichen hat, ist bislang noch nicht aufgetaucht: Neil Young. Der gibt derweil ein Stockwerk höher ein Interview für den Musiksender VH-1. Als der „Godfather Of Grunge“ dann endlich erscheint, wird klar, daß ein Modekritiker, der heute den Preis für das beste Outfit unter CSNY zu vergeben hätte, vor ein nahezu unlösbares Problem gestellt wäre.

NEIL YOUNC TRAGT EINEN FILZHUT, MARKE FINANZBEAMTER, EIN SCHWARZES T-Shirt unter dem gestreiften Jackett dazu ein paar khakifarbene Shorts, weiße Tennissocken und Turnschuhe. Aber wer hat gesagt, daß die vier älteren Herrschaften hier angetreten sind, um einen Modepreis zu gewinnen? Richtig. Sie wollen ihr neues Album „Looking Forward“ promoten, und sie sind gewillt, ihre neue Eintracht zu verkünden. Eine Eintracht die freilich eher das Resultat eines Zufalls ist. Nachdem Young und Stills wieder Kontakt aufgenommen hatten, um an einer CD-Retrospektive ihrer einstigen Band Buffalo Springfield zu arbeiten, ergab eins das andere, und CSNY waren plötzlich wieder da.

Nachdem die Vier Platz genommen haben – um auch ja keine Verwechslungen aufkommen zu lassen, in der Reihenfolge, die der Bandname vorgibt – möchte der Die Schlachten sind geschlagen, das Kriegsbeil ist begraben: Elf Jahre nach dem letzten gemeinsamen Album gibt sich die Folkrock-Supergruppe harmonisch wie selten zuvor.

Fragesteller wissen, ob es denn nicht schwierig gewesen sei, elf Jahre nach der letzten gemeinsamen Plane die unterschiedlichen Egos wieder unter einen (Filz-)Hut zu bekommen. „Nein, es war sogar leichter als jemals zuvor“, sagt Young knapp. Und sein geliebter Feind Stills ergänzt, allerdings erst nachdem ihm Graham Nash die Frage in dreifacher Zimmerlautstärke ins nahezu taube Ohr souffliert hat: „Es war leichter, weil sich im Laufe der Zeit unsere Ecken und Kanten ein bißchen abgeschliffen haben.“ Und Nash, dessen englischem Akzent auch 30 Jahre amerikanisches Exil nichts anhaben konnten, ergänzt: „Ich glaube, daß wir im Laufe der Zeit ein bißchen reifer geworden sind. Dinge, die uns früher so bestürzt haben, daß wir nicht mehr miteinander geredet haben, gibt es heute einfach nicht mehr.“ Vorbei die Zeiten also, in denen sich die vier Musiker auf offener Bühne bekämpft haben? „Weißt Du“, sagt Young und blickt seinem Gegenüber wie ein einsamer Wolf in die Augen, „wir sind wie Brüder. Lind Brüder kämpfen auch manchmal. Ich kümmere mich nicht mehr um Nebensächlichkeiten, ich kümmere mich um die wichtigen Dinge. Lind das Wichtigste ist die Musik die wir zusammen machen können.“ Musik in einer Band zu machen, erfordert ja ein Mindestmaß an Kompromißbereitschaft. Und die wurde in 30 Jahren CSNY nicht immer von jedem Mitglied an den Tag gelegt. Graham Nash, der eher gelassene Gentleman, reagiert auf einmal emphatisch. „Das Leben ist ein einziger Kompromiß! Du mußt Kompromisse eingehen, wenn du heiratest, wenn du Kinder kriegst. Selbst wenn du ein Solokünstler bist, kann es nicht immer nur nach deinem Kopf gehen. Es wäre töricht, sich nur mit Leuten zu umgeben, die dir sagen, daß du der Größte bist, daß du alles richtig machst. Du brauchst Leute, die dir auch manchmal widersprechen.“

David Crosby, den anscheinend nichts aus der Ruhe bringt, ergänzt: „Natürlich gehst Du Kompromisse ein. Das ist doch keine schlechte Sache, das nenne ich Zusammenarbeit. Wir gehen gerne Kompromisse ein.“ Wenn CSNY wirklich so gerne Kompromisse eingehen, wie sie sagen, dann verwundert es, daß die Vier in 30 Jahren ganze drei Studioalben aufgenommen haben und das zwischen den beiden letzten immerhin elf Jahre liegen. „Wir haben eine Menge verschiedener Dinge zu tun“, erwidert Crosby, „Wir haben Crosby, Stills & Nash, wir haben Neil Young, wir haben Crosby & Nash, wir haben die Stills-Young Band, wir haben Crazy Horse, wir haben CPR.“ Punktum. CSNY sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Zumindest heute, an diesem Nachmittag.

Selbst Young, der früher an Seitenhieben gegen seine Kollegen nicht eben gespart hat, gibt sich handzahm und stimmt ein in den Chor der Glückseligkeit. Es sei ja so toll, endlich wieder in einer Band zu spielen nach der langen Zeit als Solist, es sei ein gutes Gefühl, wieder Teil eines Ganzen zu sein und Erfahrungen teilen zu können. „Crosby, Stills, Nash & Young ist das Mutterschiff“, erklärt Young nicht ohne Pathos, und das Mutterschiff habe Vorrang vor allen anderen Projekten der vier Musiker – also auch vor Youngs eigener, nicht eben unwichtiger Solokarriere. Im Januar gehen die vier Kapitäne an Bord des Mutterschiffs, um für vier Monate die USA zu bereisen. Ob die Band auch nach Europa kommen wird, steht noch in den Sternen. „Wenn wir 20 Millionen Dollar vom Reifenhersteller Michelin bekommen, werden wir eine Europa-Tournee machen“, sagt Young so teilnahmslos, daß man ihm fast glauben möchte. „Und ich werde als Michelin-Männchen auftreten!“, wirft Crosby grinsend ein, und Young erwidert trocken: „Cros‘, was für eine brillante Marketing-Idee.“