Daniel Lanois


Sein Name ist nur denen geläufig, die auch das Kleingedruckte auf der Cover-Rückseite lesen. Dort allerdings ist er Stammgast: Von U2 bis Peter Gabriel, von Eno bis Dylan - der Produzent Lanois ist gefragt wie kein Zweiter. Warum der Techniker nun auch eigene Töne anschlagen will, erfuhr ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake

Die Neville Brothers nennen ihn „den Medizinmann“ und beschreiben die Arbeit unter seinem Regiment als „eine durch und durch spirituelle Erfahrung, stärker als bei jeder anderen Platte, die wir gemacht haben „. Robbie Robertson sagt, „Dan Lanois ist ein Meister des Sounds und der Klangstrukturen – er bringt neue Energie in die Party.“ U2’s Bono kann da nur zustimmen: „Bei unseren Aufnahmen ist Daniel immer voll dabei; oft schlägt er nur ein Tamburin, peitscht die Musik aber trotzdem ständig vorwärts. “ Und Peter Gabriel fügt hinzu, „Lanois als Produzent ist für jeden Musiker eine Herausforderung. Manchmal hat er mich dazu gebracht, über mich selbst hinauszuwachsen „. Brian Eno hat ihn als kreativ ebenbürtigen Partner gepriesen und über zehn Jahre hinweg regelmäßig mit ihm zusammengearbeitet. Auch Bob Dylan begab sich für seine neue Platte HAVE MERCY in die Obhut Lanois‘ und man munkelt, daß die Pretenders die nächsten auf der endlosen Liste seien. Wer also ist dieser Gentleman, und worauf basieren all diese netten Komplimente einflußreicher Musiker?

Lanois ist 38 Jahre alt, Franko-Kanadier und sieht mehr nach Rock’n’Roll aus als die meisten seiner Klienten. Soeben wurde sein erstes Solo-Album ACADIE veröffentlicht (auf Enos Label Opal, von WEA vertrieben), und es ist anzunehmen, daß er sich lange nach dieser Möglichkeit gesehnt hat, zur Abwechslung mal sein eigenes Ego zu pflegen.

Er wirft sich mit einem Enthusiasmus in dieses Promo-Interview, den man nicht gerade häufig findet, besonders nicht um 11 Uhr morgens. Zwischen den Fragen greift er nach seiner akustischen Gibson und schmettert los, säuselt hübsche Sachen, abwechselnd auf Englisch und auf Französisch, ins Mikrofon. Allerdings sieht er ein wenig bestürzt drein, als er erfährt, daß dies kein Radio-Interview ist und seine musikalischen Anstrengungen in dieser Hinsicht für die Katz sind.

Doch diese Neuigkeit hat er schnell verdaut. Er scheint ständig bemüht, den Energielevel anzuheben, wo auch immer er sich gerade befindet, und singt unbeirrt weiter, liefert eine Art musikalischer Autobiographie. Wie er angefangen hat?

Also, etwa so. Er klatscht einen Achter-Beat und singt „What ya gonna do when the lake runs dry, honey…“, ab und zu eine eine Strähne schwarzen Haars aus den Aueen schüttelnd.

„Folk-Unterricht in der Schule, lang, lang ist’s her. Fünf Schüler und ein Lehrer. Wir nahmen Blues, Folk-Blues, klassische Folk-Songs durch. Solche Sachen vergißt du nie mehr.“ Als nächstes kam die Gitarre, dann beschäftigte er sich eine Zeitlang mit Holzblasinstrumenten, danach tourte er zwei Jahre mit unbekannten kanadischen R&B-Bands. Mit 19 Jahren beschloß er dann kurzerhand, Toningenieur zu werden und führte zehn Jahre lang sehr erfolgreich ein Studio im Keller des elterlichen Hauses in Hamilton, Ontario, das erste Wahl für Folk- und Country-Sänger in einem Radius von tausend Meilen war.

1979 kaufte er ein dreistökkiges Haus in der Nähe und begab sich auf weniger traditionelles Terrain. Seine Produktionen für die Gruppe Martha And The Muffins brachten ihm umgehend Auszeichnungen als „Produzent des Jahres“ in Kanada ein und ließen unter anderem Brian Eno auf ihn aufmerksam werden.

Erstaunlicherweise hatte Lanois von dem englischen Produzenten/ Komponisten/Synthie-Spieler noch nie etwas gehört; die beiden fanden aber schnell zu einer engen und dauerhaften musikalischen Beziehung. Ihre Arbeit an Enos Album ON LAND läutete den New-Age-Boom ein, Lanois wurde international zu einem Namen, den man sich merken mußte. Seine offensichtliche Begabung als Toningenieur/Produzent liegt nach eigenem Eingeständnis in „der Fähigkeit, über ein ganzes Album hinweg das Gesamtbild im Auge zu behalten“.

Lanois‘ Erfahrung im Umgang mit Studio-Technologie hat ihn so weit gebracht, daß er sich die Technik Untertan gemacht hat: Er braucht keine großen Studios und Konsolen mehr, sondern reist mit kistenweise Equipment – Racks, Pulten und Lautsprechern – durch die Lande. Wer etwa auf dem Cover der letzten Neville Brothers-LP nach dem Aufnahmestudio sucht, wird dort die bezeichnende Zeile lesen „Lanois studio on the move“. „Wir könnten hier sofort was installieren „, sagt er, mit einer Handbewegung, die WEAs Konferenzraum in München umfaßt, „und ein paar Tracks aufnehmen.“

Dylans Album und das der Neville Brothers wurden an verschiedenen Schauplätzen in New Orleans aufgenommen, ebenso wie ein Großteil von ACADIE. Der Kanadier hat sich in diese Stadt verliebt. „Du kannst dort ohne große Anstrengungen gute Musiker hören. Musik in Hinterhöfen, auf der Veranda, Kinder, die auf der Straße Trompete und Sax spielen und tanzen.

Ich liebe das. Mir macht es keinen Spaß, in langen Schlangen zu stehen, um mir ein steriles Stadion-Konzert anzuhören; was auf der Straße passiert, finde ich viel interessanter.

Auf Dylans neuem Album spielen hauptsächlich Leute aus New Orleans, richtig gute Leute, die gleich um die Ecke wohnten. Für einen Track riefen wir kurzfristig bei Rockin’Dopsie And The Cajun Twisters an, und sie kamen umgehend aus Lafayette, das ist nur 80 Meilen entfernt. Ging gut ab. Die ganze Platte war in weniger ah sieben Wochen fertig. Dieser intime Rahmen, das hat wirklich prächtig funktioniert.

Und ich habe aus der Arbeit mit Dylan eine Menge gelernt. Er ist der konzentrieneste Textschreiber, den ich jemals getroffen habe. Jeden Abend kam er mit seinen vollgekritzelten Textblättem insStudio und feilte ständig bis zur letzten Minute an ihnen hemm, verbesserte sie während der gesamten Aufnahmezeit. Nach jeder Session sahen die Songs anders aus. „

Kehrt Lanois jetzt dem erfolgreichen Produzenten-Dasein den Rücken und startet eine doch wohl eher Ungewisse Musikerkarriere?

„Nun, ich habe eine Platte gemacht und würde gerne losziehen und sie den Leuten vorspielen, eine Band zusammenstellen. Am liebsten würde ich mir Willie Green und Tony Hall ausleihen, die famosen Rhythmusleute der Nevilles.

Und dann – wer weiß? Vielleicht noch eine Platte. Im Moment denke ich, ich würde den Zyklus gerne beenden. Ich habe diese Platte geschrieben und produziert, jetzt sitze ich hier und rede darüber. Damit auf Tour zu gehen, wäre die richtige Art, das Projekt zu beenden. Weiter denke ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich nehm ’s, wie’s kommt.“