Depeche Mode live in München


Don't say you want me. Don't say you need me. Don't say you love me - It's understood. Depeche Mode dürften im Münchner Olympiastadion daran gezweifelt haben. ME- Leserin Raffaela Binder war beim Open-Air-Konzert dabei.

Ein Konzert von Depeche Mode gleicht einem spirituellen Ereignis. Junge, Ältere und Junggebliebene, mehrheitlich in Schwarz gekleidet, versammeln sich in der Absicht, ihrer Helden zu huldigen. Selten bildet ein Publikum eine solch optische und zeitlose Ganzheit.Einigkeit unter den Fans herrscht auch über die berüchtigte Ignoranz gegenüber der Vorband. Dabei machen die Franzosen von M83 ihr Ding gut. Nach exakt 40 Minuten M83 folgt ein DJ-Set Martin Gores. Dies ist zwar „nur“ gewöhnliches Techno- Getöse, animiert jedoch die Besucher dazu, sich freudig einzuklatschen, und La Ola’s durchs Stadionrund laufen zu lassen. Das genaue Einhalten des Zeitplans lässt an diesem Abend erstmals vermuten, dass hier Leute zugange sind, die nichts dem Zufall überlassen. Denn pünktlichst um 21 Uhr flackern die Videowalls auf und Depeche Mode intonieren „In Chains“, gefolgt von „Wrong“, „Hole To Feed“ (alle SOUNDS OF THE UNIVERSE, 2009) und der obligatorischen Begrüßung „Good evening (die jeweilige Stadt)“. So sehr sich das Publikum zuvor in Stimmung gebracht hat, umso erstaunlicher ist die Zurückhaltung, mit der man der Band nun begegnet.„Walking In My Shoes“ und „In Your Room” so früh zu hören, ist zwar gut gemeint, sie gehen allerdings aufgrund des anfangs zu leisen Sounds völlig unter und verfehlen ihre Wirkung als Stimmungsmacher.An diesem Abend kann der vor Kraft nur so strotzende Dave Gahan so viele Pirouetten drehen wie er möchte, die Band und ihr Publikum wollen nicht warm werden miteinander. Allem Hüftschwingen zum Trotz. Fast schon peinlich der Abschluss des zur Technoversion verwursteten „Peace“: Die Aufforderung zum Mitsingen scheitert schon im Ansatz und bleibt ohne große Wirkung. Sofort versiegender Applaus nach jedem Song, auf ihren Stühlen festgeklebte Sitzplatzkarteninhaber, denen man am liebsten raten würde, das nächste Mal zuhause zu bleiben und sich Depeche Mode auf DVD anzusehen. Der Weg zum Kühlschrank bzw. zum Biervorrat ist dort erstens nicht ganz so weit, und zweitens kann man zuhause auch ganz gut keinen Spaß haben.Es wäre aber zu einfach, die Schuld für die herrschende Teilnahmslosigkeit ausschließlich den Münchnern in die Schuhe zu schieben. Star-Fotograf und Depeche Mode Chef-Designer Anton Corbijn muss verantworten, dass seine Visualisierungen nicht gerade dazu beitragen, Stimmung zu machen. Seine Kunstfertigkeit in allen Ehren, aber kann es sein, dass das Konzept ohne jegliche Praxistauglichkeit daherkommt? Das gesamte Konzert über flimmern diffuse Filmsequenzen und Animationen über die Bildschirme. Die Band ist, wenn überhaupt, nur verzerrt für kurze Zeit zu sehen. Offensichtlich war die Herangehensweise irgendwo zwischen „Mann, mir muss etwas einfallen“ (Raumfahrer, anstatt des legendären Enjoy-The- Silence-Königs. Warum?) und „was Krankes muss auch noch rein“ (die am Zeh einer Rothaarigen lutschende Chinesin). Das alles ist mehr Ablenkung, als Teil der Show. „Hansi X“, ganz hinten in Block L weiß nicht, wann er klatschen darf und wann er singen soll. Alles was er sieht, ist ein Rabe, der schier bewegungslos auf einer Stange sitzt, wirr herumspringende bunte Bälle und Kriegsbilder. Es wäre viel damit getan, die Filmchen nur an die Bühne zu projizieren und auf den beiden anderen Videowänden das Konzert zu übertragen.Die Lust aufeinander zeigt sich, vermutlich aufgrund dessen, nur marginal. Zum ersten Mal auf der Tour Of The Universe wird „A Question Of Lust“ aus der Setlist gestrichen (musste „Home“ weichen), wohl in der Hoffnung, dass sich diese Frage nicht stellen würde. Ein Trugschluss. Nichtsdestotrotz, zum ersten Mal an diesem Abend kommt angemessen frenetischer Jubel auf, als der silber-gewandete Martin Gore seine beiden zur Tradition gewordenen Solonummern anstimmt. Dave Gahan tanzt, schreit und rennt wild gestikulierend von einem Ende der Bühne zum anderen. Nur den Steg will er nicht so recht benutzen, oder weiß nichts damit anzufangen. Da steht das kolossale Ding nun und teilt die Menschen mehr, als es die suggerierte Nähe zur Band schafft.Die ersten Akkorde von „Enjoy The Silence“ erfüllen das Stadion und es scheint so, als habe alles auf diesen Moment gewartet. Der Funke springt endlich über. 60.000 Menschen singen über Worte, die über die Stille hereinbrechen und Unheil bringen. Dave Gahan breitet seine Arme aus: „all you ever needed is here in my arms“. In diesem Augenblick ist dies die Wahrheit und Depeche Mode die beste Band der Welt.Das darauf folgende dramatische „Never Let Me Down Again“ mitsamt dem kollektiven Kornfeld-im-Wind-Simulations-Winken trägt sein Übriges zum wiedergefundenen Gemeinschaftsgefühl bei. Ein emotionaler Moment. Doch dieser währt nicht allzu lange: Es mag vor den Zugaben einfach kein kollektiver Jubel aufbranden. Zu viele verschränken die Arme und schauen in die Luft. Danke Anstand, danke Professionalität – Depeche Mode kommen wieder und geben „Stripped“, „Master And Servant“ mit einem flimmernden Bloc Party-Flux-Intro und „Strangelove“ zum Besten. Im zweiten Zugabenblock bedienen sie sich zur Gänze aus dem 1990er Album „Violator“. Nach „Personal Jesus“ und dem von Gahan und Gore im Duett leidenschaftlich dargebotenen „Waiting For The Night“ wünschen sie uns eine gute Nacht.Die Band verlässt erneut die Bühne, und ohne eine weitere Zugabe einzufordern, beginnt die Massenabwanderung sowohl auf den Rängen, als auch im Innenraum. Die Bühne bleibt noch minutenlang dunkel: vielleicht hätten sie nochmals Lust gehabt. Die Münchner waren anderer Meinung. Sie mussten ja auch zur U-Bahn.Depeche Mode und allen voran Dave Gahan kann man keinen Vorwurf machen. Sie sind gut, keine Frage. Sie können sich darauf verlassen, und das tun sie auch. Die Performance ist vorhersehbar und professionell – nicht originell. Allein die öfter als sonst eingestreuten „I can’t hear you“s verleihen dem Ganzen wenigstens ein bisschen Spontaneität. Vor allem aber sind sie der Beweis, dass Dave Gahan nicht nur ein Mann der großen (einstudierten) Gesten ist, sondern auch noch auf Gegebenheiten reagieren kann und sich sehr wohl ins Zeug legt, eine Verbesserung herbeizuführen. Die Zugaben waren ein Akt des Anstands und der Höflichkeit, ebenso wie das traditionelle „See you next time“ am Schluss. Sie haben eine gute Leistung erbracht. Nicht mehr, nicht weniger. Depeche Mode ist, was man selbst daraus macht.Am Besten: Wrong, Precious, Come Back, Enjoy The Silence, Master & Servant, Personal Jesus

Raffaela Binder – 22.06.2009