Der einsame Populist


Partys sind seine Sache nicht. Überhaupt ist er heilfroh, dass er sich nicht verliebt hat. So konnte Moby zwölf Monate lang ungestört in seiner Wohnung an Songs basteln. Drei Jahre nach dem Meisterwerk "Play" steht nun ein neues Album an. Und das soll jeder hören.

Keine zwei Jahre sind vergangen, seit Richard Melville Hall (36) für unser Titelbild Grimassen schnitt. Doch der dürre Veganer hört nicht auf, uns neue Rätsel aufzugeben. Warum sucht er die Einsamkeit? Was sind die wahren Gründe dafür, dass die neue Platte „18“ heißt? Und warum klingt sie so melancholisch? „Es ist das erste Mal, dass es wirklich nur um die Musik ging“, erklärt Moby, während er sein Londoner Hotelzimmer untersucht. Treppe rauf „ah, das ist das Bett aus dem Katalog“ -, Treppe runter und ins Bad. Ein Blick aus dem Fenster, wieder raus, ein hastiges Testsitzen auf der Couch. Wie, es ging nur um die Musik? Und was sagen überhaupt die Kritiker, nachdem Moby sein Album „Play“ derart ungeniert an die Werbeindustrie verkauft hat? Ist von dem einstigen Idealismus gar nichts mehr übrig? Fragen über Fragen. Und dann war da ja noch der „Porno“-Film, in dem Moby eine Rolle spielte. Skandal? Wir werden sehen. Wenn er sich endlich hinsetzt. Doch Moby steht an der etwa vier Meter hohen weißen Türe und macht das Licht an und aus. „Hörst du das?“, fragt er irritiert und lehnt sich ein wenig nach vorne. „Da summt was. Das sind die Neonröhren.“ Ja, aber … Porno? „Die Wände sind zu hoch. Ich klinge ungern wie Woody Allen, aber dieses Zimmer beängstigt mich.“ Schließlich setzt er sich doch noch hin. Nicht auf die bequeme Couch, sondern auf den schlichten Stuhl, der einsam gegenübersteht. Er nimmt die Brille ab, faltet sie sorgsam zusammen und legt sie auf den schmalen Tisch. Er ist plötzlich sehr aufmerksam. Höflich, aber nicht unbedingt freundlich. Noch ein wenig distanziert. Das mit dem Porno muss wohl noch warten. Na gut:

Worum also ging es bei den letzten Alben, wenn nicht um Musik?

Ich hatte sonst immer das Gefühl, dass eine andere Agenda mitgespielt hat. Mit „Everything Is Wrong“ wollte ich die Leute ärgern, indem ich mit den verschiedensten Stilen experimentiert habe – möglichst wild und vielfältig. „Animal Rights“ sollte die Fans mit einer sehr aggressiven, schwierigen Platte auf die Probe stellen. Und bei „Play“, da wollte ich die Leute einfach zum Zuhören bringen. Mit „18“ musste ich niemanden vor den Kopf stoßen. Das sollte nur eine wirklich schöne Platte werden.

Wenige zeitgenössische Künstler wagen es, Schönheit und Harmonie zur Grundlage ihrer Arbeit zu machen.

Ich wollte nie experimentell oder „avantgarde“ sein. Ich wollte nur Musik machen, die mir gefällt. Wenn ich dabei tatsächlich am Ende „avantgarde“ bin, dann ist das in Ordnung. Mein Ziel ist aber immer, etwas Emotionales und Atmosphärisches zu schaffen.

Obwohl du eigentlich ein sehr analytisch denkender Mensch bist. Fällt es dir bei der Arbeit nicht schwer, den Intellekt auszuschalten?

Auch der analytischste Mensch muss ja irgendwann aufhören, alles zu zerpflücken. Ich beneide Leute, die nicht so verkopft sind. Wenn ich mit Freunden ausgehe, dann haben die anderen oft riesigen Spaß und schalten ihr Hirn aus. Das kann ich nie. Deshalb mag ich emotionale Musik – weil nur da der emotionale Teil meines Hirns stärker reagiert als der Intellekt.

„18“ ist in sich geschlossen und sehr melancholisch. Hast du alles nach dem 11. September fertig gestellt?

In der Tat – das kann schon Einfluss gehabt haben. Aber ich glaube, dass die Platte auch ohne die Terroranschläge so klingen würde. Ich hatte 150 Songs aufgenommen. Einige waren sehr aggressiv, manche ganz ruhig, andere wieder Dance-orienriert. Diese 18 schienen am besten miteinander zu funktionieren.

Auch „Play“ hatte eine ruhige „B-Seite“.

Ich liebe Songs, die diese Qualität von Traurigkeit haben. Was nicht bedeutet, dass ich ein trauriger Mensch bin. Genau wie ein Fan von Schwarzenegger-Filmen nicht unbedingt ein Serienmörder ist.

Mit „Play“ hast du nicht nur weltweit Millionen von Fans gewonnen, auch die Kritiker verbeugten sich vor dir. Diese Kombination ist selten.

Und herrlich! Ich hasse es, so banal zu klingen, aber wenn ich lange und hart an einem Song arbeite, dann will ich natürlich, dass möglichst viele Menschen positiv darauf reagieren.

Warum hast du dann nach und nach die Kritiker verprellt, indem du das Album bis zum Letzten ausgeschlachtet hast? Jeder der 18 Songs war zigfach an Werbung und Fernsehen verkauft.

Natürlich wurde ich dafür kritisiert – aber die meisten Nörgler sind sehr reaktionär. Es kommt darauf an, von welchen Kritikern du sprichst. Journalisten sind gewöhnlich sehr klug. Sie sehen, dass sich die Welt schnell verändert. Aber die Kultur kann oft nicht Schritt halten. Ich finde es interessanter, mich mit jemandem zu unterhalten, der versteht, dass man flexibel sein und sich schnell verändern muss, um nicht altmodisch zu wirken.

Im Booklet zum 1995er-Album „Everything Is Wrong“ hast du dich beschwert, dass „sogar die ‚Zurück-zur-Natur‘-Leute noch Auto fahren“. 1999 hast du Songs von „Play“ für Autowerbung freigegeben. Hat sich die Welt in vier Jahren so drastisch verändert?

Ja, ich finde, dass sich die Welt sehr verändert hat. Aber vor allem ist mein Verständnis von der Welt ein anderes geworden. Ich bin erwachsener geworden. Als ich jünger war, sah ich alles in Schwarz und Weiß, in sehr einfachen Kategorien. Heute weiß ich, dass die Welt sehr kompliziert ist. Vielleicht war sie das immer schon, nur hab ich das erst begriffen, als ich älter wurde.

Du wirkst weniger verbittert.

Ich weiß, dass ich heute viel entspannter bin als vor fünf, zehn oder 15 Jahren. Außerdem – vielleicht fällt mir ja bald auf, dass ich mit der Freigabe meiner Musik für Werbung einen riesigen Fehler gemacht habe! Aber meine Motive waren damals sehr eigennützig. Ich hatte eine Platte und wollte, dass sie gehört wird. Das war der einzige Weg, um Menschen zu erreichen.

War es das wert? Du hast dafür viel Kritik einstecken müssen.

Natürlich! Weil die Menschen so an meine Musik herangeführt wurden. Letztlich ist das mein Ziel. Ich sollte zu Beginn jedes Interviews klarstellen, dass alles, aber auch alles, was ich beruflich tue, nur ein Motiv hat: Menschen sollen meine Musik anhören. Seit ich auf die Welt kam, hat mich nichts anderes getrieben.

Ein bekennender Populist.

Ich mache Musik, seit ich zehn Jahre alt bin. Ich erinnere mich, wie ich mir mit meinem Freund Chris auf der Gitarre einen Song ausgedacht habe. Unser erster Gedanke war: „Wie schaffen wir es, dass sich das jemand anhört?“ Also haben wir die Schwester von Chris, seine Mutter und deren beste Freundin zusammengetrommelt. Sie mussten sich hinsetzen, und wir haben die Kassette vorgespielt. Danach hab ich das dann meiner Familie präsentiert. Und in den Punkbands hatte ich später die gleiche Geisteshaltung: „Kommt zur Show, schaut euch meine Band an!“ Ich tue fast alles, damit meine Musik gehört wird.

Es wird schwierig, deine Musik als Kunst zu betrachten, wenn sie ständig als Hintergrundberieselung von Werbespots auftaucht.

Da kann man ganz anders argumentieren. Man könnte zum Beispiel einer Band Folgendes vorwerfen: „Findet ihr nicht, dass es eure Musik korrumpiert, wenn ihr sie aufnehmt? Sie sollte doch live gehört werden!“ „Findest du nicht, dass Interviews deine Musik zerstören, da sie doch für sich selbst sprechen sollte?“ Etc., etc …

Springsteen und Isaac Hayes waren entsetzt, als „Born In The USA“ bzw. „Dole Man/Soul Man“ für den Wahlkampf missbraucht wurden. Lässt es dich kalt, wenn dein Song zu VW-Werbung läuft?

VW hat auch einen Spot gemacht, für den sie „Pink Moon“ von Nick Drake benutzt haben. Nick Drake ist einer meiner absoluten Lieblingskünstler. Der Spot mit dem Sternenhimmel war wie ein wunderschöner Kurzfilm. Drake hat sich 1972 umgebracht (Nick Drake starb im November 1974 an einer Überdosis Tabletten. Ob es Selbstmord war, ist unklar; Anm.d.Red.). Wegen der Werbung hat er im Jahr 2000 mehr Platten verkauft als in seiner ganzen Karriere. Also frage ich: „Warum stört dich das?“

Auch Kollegen kritisieren dich…

Zum Beispiel David Gray! Ich hab ihn nie getroffen, aber er hasst mich! Er hat sich in einem Interview zehn Minuten lang über mich und meine Geschäftspraktiken beschwert. Mein erster Gedanke war: „Bub, du bist bei einem Major unter Vertrag. Du machst Videos für MTV und latschst zu je- dem Radiosender.“ Wir sind alle an der kommerziellen Ausbeutung unserer Musik beteiligt. Nur Fugazi sind unschuldig. Wenn mich Fugazi kritisieren, ja, dann akzeptiere ich das. Aber sonst? Nein.

Auf „18“ sind Musikerinnen wie Angie Stone, Sinéad O’Conner und MC Lyte zu hören. Die meisten davon hast du nie getroffen. Macht es spaß so zu arbeiten?

Ich will viele Menschen dazu bringen, sich meine Musik anzuhören. Es ist mir egal, wie das geht oder wer dazu beiträgt. Nehmen wir an, es gibt einen Sänger, der das scheußlichste, mieseste Arschloch auf dem Planeten ist. Wenn er in meine Wohnung käme und richtig fies wäre – die ganze Zeit rumfurzt, Sachen umwirft – so lange er einen Song besser machen kann, ist das alles, was mich interessiert.

Du arbeitest heute fast immer alleine. Als Teenager hast du noch in Punkbands gespielt.

Meine Erfahrung ist: Wenn ich mit Bands spiele, macht es mehr Spaß, aber die Musik ist nicht so gut. Wenn ich alleine arbeite, ist es weniger lustig, aber die Musik ist besser. Also hab ich mich entschieden, alleine zu arbeiten.

Nach der Schule hast du den verlassenen Teil eines Fabrikgebäudes bezogen. War das ein erster Rückzug von den Menschen?

Gute Frage, (überlegt) Weißt du, wenn du wie ich als Einzelkind aufgewachsen bist, dann fühlt sich das normal an. Wenn du dagegen immer in einer Großfamilie gelebt hast, willst du vielleicht später mit Freunden zusammenziehen.

Bist du heute ein einsamer Wolf?

Also, ich verbringe schon viel Zeit alleine. Ich hatte das Gemeinschaftserlebnis, als ich nach New York zog. Damals konnte ich mir keine eigene Wohnung leisten und bin mit Leuten zusammengezogen. Es gab schöne und schreckliche Momente. Als ich dann mehr Geld hatte, hab ich sofort alleine gewohnt. ->

Hast du eine dauerhafte Beziehung?

Wie soll denn das gehen? Die Tour wird bis Ende 2003 dauern.

Könnte man nicht einfach die Prioritäten anders setzen?

Das würde ich nicht wollen. Wenn ich jemand treffen und mich verlieben würde, ich glaube, ich wäre enttäuscht.

Wovon?

Es würde der Musik im Weg stehen. Wenn die Tour vorbei ist, dann kann ich damit anfangen, zu Hause zu sein, jemanden zu treffen, mich zu verlieben, das ganze Zeug. Ich hab immer davon geträumt, Platten zu machen, Konzerte und Interviews zu geben. Jetzt hab ich das erreicht, und das ist etwas Besonderes. Wieviele Musiker schaffen das? Sehr, sehr wenige. Wieviele haben dagegen eine Beziehung? Massenweise. Ich möchte nicht gefühlskalt klingen, aber so wundervoll Beziehungen auch sind, sie sind eben auch gewöhnlich.

Ach, übrigens. Gab es nicht Gerüchte über einen Pornofilm?

Das ist kein Pornofilm. Ein Freund hatte vor fünf Jahren die Idee, eine Komödie zu drehen, die in einem Sex-Shop spielt. Der Film heißt nur „Porno“. Ich hab mitfinanziert und hatte eine Rolle.

Und zwar?

Man hat mir Vibratoren an den Kopf geschnallt, und ich musste Gitarre spielen.

Du hast versucht, die Veröffentlichung zu verhindern.

Nein, ich wollte ihn nur sehen, bevor er vertrieben wird. Dann gab es Streit. Aber unsere Differenzen sind geklärt. Auch wenn der Regisseur (Paul Yates, d.Red) vielleicht noch verärgert ist. Er ist ein verärgerter Mensch.

Warum heißt dein Album eigentlich „18“ ?

Weil 18 Songs darauf sind. Aber die Kids auf meiner Website haben schon so viele bessere Gründe gefunden als ich.

Man kann in eine 18 viel hineininterpretieren.

Nachdem die Aliens in der Wüste abgestürzt waren, wurden ihre Leichen in den „Hangar 18“ in Rosewell in New Mexico gebracht. Numerologisch ist es auch ziemlich interessant. Drei mal sechs ist 18, aber 18 ist auch die Hälfte von 36. Das ist eine der wenigen Zahlen, bei der die Multiplikation der Ziffern die Hälfte der Zahl ergibt. Und im Hebräischen steht die 18 für das Wort „Leben“.

Es gibt wenige nicht-jüdische Amerikaner, die das hebräische Wort für „Leben“ kennen.

Ich fühle mich eh zuerst als New Yorker, dann als Amerikaner.

Bist du ein stolzer Amerikaner?

Es gibt ein paar Dinge, auf die ich stolz bin. Zuallererst auf die Verfassung. Das ist das Wunderbarste der Welt. Dort sind unsere Rechte niedergelegt. Schön ist auch, dass Amerika eine Nation von Immigranten ist. Wenn ich dir sage, dass in einem anderen Zimmer ein Italiener ist, dann kannst du dir gleich was vorstellen. Dunkle Haare, braune Haut. Oder ein Bayer. Oder… Wie nennen die Bayern die übrigen Deutschen? Ausländer? Nein? Preußen, glaube ich! Aber wenn ich sage, da drüben ist ein Amerikaner, dann hast du keine Ahnung, ob das ein Asiate, ein Mexikaner, ein Schwarzer oder Weißer ist.

Früher hast du dich manchmal geschämt, in den USA zu leben. Was denkst du heute über die Rolle der USA als „Weltpolizei“?

Amerika macht bei vielen Dingen kein gutes Bild. Aber ich habe lieber eine US -Weltpolizei als China oder Irak. Es ist zu kompliziert, um zu verallgemeinern. Sogar im Falle von George Bush. Ich glaube, dass er einfach kein kluger Mann ist. Er ist dumm. Aber manchmal ist das auch gut. Weil ihm sein Leben lang andere gesagt haben, was er tun soll. Er hat die Fähigkeit entwickelt, nicht selbst zu denken, sondern auf andere zu hören. Und das ist der Präsident, den wir gerade brauchen.