Review

„Der Goldene Handschuh“-Kritik: Fatih Akins Schnapsleichen


Bevor Fatih Akin in den USA Stephen King verfilmt, kehrt er noch einmal zur Berlinale zurück. Und verfilmt Heinz Strunks Roman über den Serienmörder Fritz Honka in notwendig drastischen Bildern.

Fast könnte man ja vor lauter Schadenfreude darüber lachen, dass Fritz Honka schon wieder keinen Steifen bekommt. Der Mann, der Frauen wie Vieh behandelt, hat mit wenig Charme und viel Fusel eine verlorene Seele in seine stinkende Bude gelockt, sie dort beleidigt und erniedrigt. Jetzt liegt sie nahezu bewusstlos auf Honkas Bett, doch zum Schuss wird der Mann mit dem verzogenen Gesicht nicht kommen. Zu viel gesoffen, mal wieder.

Doch ein schadenfrohes Lachen ist hier fehl am Platz, auch wenn Honka verzweifelt die vielen Tittenposter an seiner Wohnzimmerwand (!) bemüht und noch einmal verzweifelt selbst Hand anlegt und dabei wie eine Witzfigur aussieht, dessen schlaffer Penis die gerechte Strafe ist. Denn Fatih Akin hat schon einige Minuten vorher, in der Eröffnungsszene von „Der Goldene Handschuh“ klargestellt, was der Frau in Honkas Bett nun droht: Gewalt, Tod, Zerstückelung.

Jonas Dassler als Fritz Honka.

Fritz Honka, den kennt man in Hamburg sowieso. Im Rest Deutschlands spätestens seit 2016, denn dann erschien Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“ und zeichnete die Morde des schmächtigen Täters nach spürbar viel Recherchearbeit nach. Vier Frauen hat Fritz Honka in den 70ern getötet, die Leichen teilweise in seiner Wohnung versteckt – auch wenn sich die Nachbarn über den Gestank aus der Dachgeschosswohnung beschwerten.

Die Gewalt und die sexuellen Abgründe Honkas (Stichwort Wurst), den Gestank und den Dreck in der Wohnung des Mörders hat Strunk in seinem Roman mit Details beschrieben, die man eigentlich nicht auf der großen Leinwand sehen möchte. Auch deshalb ist nun nicht nur das Berlinale-Publikum, sondern auch der Rest Deutschlands gespannt auf Akins Adaption: Über welchen anderen Wettbewerbs-Beitrag des Festivals kann man das eigentlich noch sagen?

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Akin hält sich nicht zurück, beginnt mit der bereits erwähnten Eröffnungsszene und der Zerstückelung einer Leiche. Honka, ein ziemlicher Blödmann, will einen toten Frauenkörper verschwinden lassen und stellt fest, dass der Abtransport im Treppenhaus zu auffällig ist. Also greift er erst zur Pulle und dann zum Fuchsschwanz. Die Leichenteile verschwinden anschließend teilweise im Hof, der Rest in der Wand seiner Wohnung. Die Kameraeinstellungen machen dabei klar, welche Linie Akin hier fährt: Er zeigt maximal grausame Szenen, ohne sich aber an der Gewalt und dem Blut zu ergötzen. Es ist ein Drahtseilakt, den „Der Goldene Handschuh“ aber bis zum Ende des Films meistert. Den Stempel FSK 18 kann man mit dem Material sowieso nicht ausweichen.

Genauso geschickt wird die Kneipe Zum Goldenen Handschuh inszeniert. Dem Ort, an dem Honka (teilweise) seine Opfer findet und in dem sich allerhand traurige, aggressive und verlorene Gestalten am Tresen treffen. In der Kneipe auf St. Pauli würde man normalerweise nicht einmal gern im Film einkehren, doch im Vergleich zum Treiben in Honkas Wohnung scheint das schmuddelige Klo im Keller wie ein sicherer Hafen, wie wohltuender Eskapismus. Es ist eine Bar, in der man problemlos lustige Sprüche, berührende Geschichten und eins auf die Fresse bekommen kann. Aus dem Stammgästen Dornkaat-Max und Nasen-Ernie macht „Der Goldene Handschuh“ zwar keine wirklichen Sympathieträger, dennoch lässt Kameramann Rainer Klausmann die Leute in der Kneipe (inklusive Heinz Strunk mit Kurzauftritt) auch nicht als Witzfiguren am Tresen sitzen.

Aufrichtige Verachtung für den Mörder

Mit wenig mehr als Verachtung wird hier nur auf Fritz „Fiete“ Honka geguckt. Und das is vielleicht die größte Leistung Fatih Akins und des brillanten Jonas Dassler, der sich durch eine aufwändige Maske in den potthässlichen Mörder verwandelt. In einer Zeit, in der Mörder durch stundenlange Dokus auf Netflix (Ted Bundy) oder Kino-Fehlgriffe (Anders Breivik) versehentlich verkultet werden, lässt „Der Goldene Handschuh“ keinen Zweifel daran, dass Honka ein wahres Monster ist. Zu frauenverachtend ist seine Sprache, zu heftig sind seine Gewaltausbrüche. Wenn Honkas Entzugsversuch scheitert, keimt zwar kurz Mitleid auf, von langer Dauer ist es aber nicht. Wie auch, wenn Honka in seiner ersten Szene direkt einen Kopf abtrennt?

Mitleid verdienen neben den Mordopfern übrigens auch so einige Nebenfiguren, deren Handlungsstränge in Strunks Roman ebenfalls im Handschuh endeten. Und die ihren Weg nur über wenige Szenen oder eben gar nicht in den Film gefunden haben.

„Der Goldene Handschuh“ startet am 21. Februar in den deutschen Kinos. Seine Weltpremiere feierte der Film im Rahmen der 69. Berlinale, den Berliner Filmfestspielen. 

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Warner Bros