Der König von NYC


Er hat mehr als 50 Millionen Alben verkauft, zehn Grammys gewonnen und die schönste Frau im Popgeschäft geheiratet. Jetzt legt der CEO of Hip-Hop seine Autobiografie vor. Ein Treffen mit Jay-Z über den Dächern von Manhattan.

Die amerikanische Flagge am Eingang von 1411 Broadway ist nicht zu übersehen, ebenso wenig wie die Adresse, die in großen, fetten, goldenen Lettern an der Hausfront steht. Der Aufzug rast ins 39. Stockwerk zu den Büros von Roc Nation – höher geht’s nicht. Oben angekommen, hat man das Gefühl, die Spitze des benachbarten Empire State Buildings mit den Fingern berühren zu können. Hinter seinem Schreibtisch dreht sich Jay-Z in seinem Ledersessel, steht auf und schüttelt mir die Hand.

Shawn Corey Carter ist einer der erfolgreichsten Rapper der Welt: Er hat mehr als 50 Millionen Alben verkauft, zehn Grammys gewonnen. Und auch als Geschäftsmann ist der 41-Jährige eine Klasse für sich: ehemals Geschäftsführer von Def Jam, Gründer von Roc-A-Fella Records, Geschäftsführer der Management- und Publishing-Firma Roc Nation. Ihm gehören eine Kette mit Sport-Bars und Anteile an einem Basketball-Team und einer Brauerei. Und ja, er ist obendrein mit Beyoncé Knowles verheiratet, einer der erfolgreichsten Sängerinnen der Nuller-Jahre. Das Cover des „Forbes“-Magazins zierte er Seite an Seite mit dem drittreichsten Mann der Welt. Nicht übel für einen Burschen, der mit zwölf Jahren als Crack-Dealer anfing.

An den Wänden seines Büros, das eher an eine Präsidenten-Suite erinnert, hängen Fotos von seinen Vorbildern (Ray Charles, Jimi Hendrix, Muhammad Ali), einige Herb-Ritts-Originale von Supermodels (Naomi Campbell, Christy Turlington, Cindy Crawford) sowie Familien-Fotos (seine Mutter, die ältere Schwester, Beyoncé privat). 2004 stieg er bei Roc Nation ein, ein Jahr später zahlte er seinen Partner Damon Dash beim Modelabel Rocawear aus. Es war ein klassischer Jay-Z-Schachzug: Er gab Dash 22 Millionen Dollar, um Rocawear zwei Jahre später für 204 Millionen Dollar zu verkaufen.

Es ist schon ein besonderes Erlebnis, zusammen mit diesem Selfmade-Überflieger auf die New Yorker Skyline zu schauen. Ob seine Mutter je hier in den 39. Stock kommt und sich im Sessel dreht? Er kichert. Sein Lachen, überhaupt seine Stimme, ist erstaunlich hoch, klingt entspannt, natürlich und sympathisch. „Klar. Sie sagt mir immer:, Mit jedem Tag machst du mich stolzer und stolzer.‘ Und das sagt sie mir ganz schön oft.“

Nennt sie ihn noch immer Shawn? „Nein, sie nennt mich Jay. Nur meine Großmutter nennt mich noch Shawn.“ Seinen Spitznamen bekam er nach der J/Z-Subway, als er am mütterlichen Küchentisch seine ersten Raps ausspuckte. Er war ein cleverer kleiner Junge, der ohne Vater aufwuchs, nachdem der sich von der Familie abgesetzt hatte. Sein älterer Bruder Eric war ein Crackhead, und der zwölfjährige Shawn schloss sich seiner Gang an und begann zu dealen. War ihm bewusst, dass er sein eigenes Überleben gewährleistete, indem er indirekt seinen Bruder ins Verderben stürzte?

„Nein, natürlich nicht. Man glaubt halt, dass man für seine Dienste bezahlt wird. Das Zeug war überall, der Geruch kam einem schon auf dem Treppenhaus entgegen. Das ist das Erschreckende an einer derartigen Crack-Epidemie: Die Leute verlieren ihren Stolz. Es bleibt nur noch die nackte Verzweiflung.“ In gewisser Weise, sagt er, seien Eltern zu Kindern geworden und Kinder zu Eltern. Er musste seine Eltern finanziell unterstützen, auch wenn allen klar war, dass das Geld von der Dealerei kam. „Jetzt waren wir auf einmal am Drücker, weil die ältere Generation auf Crack war. Wir waren fast so etwas wie der Ältestenrat in einer Siedlung, die komplett auf Droge war. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes außer Kontrolle.“ Er macht eine Pause. „Und wenn ich falsche Entscheidungen traf, dann traf ich sie vor dem Hintergrund dieser Hoffnungslosigkeit – nicht aus krimineller Absicht. Es ging ums nackte Überleben.“ In seinen 14 Jahren auf der Straße fasste er selbst Crack nie an. Er sagt, dass es bei erfolgreichen Dealern einen Ehrenkodex gegeben habe – und zitiert einen Satz aus „Scarface“: „Don’t get high on your own supply!“ „Wir hatten ein paar Faustregeln. Einige von uns gingen vor die Hunde, andere nicht. Ich wollte mit dem Zeugs nichts zu tun haben. Ich sah ja, was es in der Community anrichtete.“

Was nicht bedeutete, dass er selbst ein Heiliger war. Mit zwölf schoss er seinem älteren Bruder Eric in die Schulter, nachdem der ihm einen Ring gestohlen hatte. Jay-Z schrieb über den Vorfall in dem Song „You Must Love Me“ („Saw the devil in your eyes, high off more than weed, confused, I just closed my young eyes and squeezed, what a sound, opened my eyes just in time to see ya stumbling on the ground“), hat aber bisher nie öffentlich darüber gesprochen. Wie kam er überhaupt an die Knarre? „Ich ging zu einem Haus in der Nachbarschaft und bekam sie. Knarren gab’s überall. Man musste nicht weit gehen, um sich eine zu besorgen.“ Was ging ihm durch den Kopf, nachdem er abgedrückt hatte? „Ich dachte, mein Leben sei gelaufen. Dass ich für immer hinter Gitter wandern würde.“ Hat Eric darauf verzichtet, die Polizei zu benachrichtigen? „Genau. Er ist mein großer Bruder.“ Als er ihn im Krankenhaus besuchte, entschuldigte sich sein Bruder sogar, dass er so tief gesunken sei.

Eine außergewöhnliche Geschichte, sage ich. „Ja“, antwortet er. Die ihm offensichtlich noch immer nahegeht? „Ja. Ich war noch ein Kind. Ich hatte panische Angst.“

Eric ist inzwischen clean und die Brüder kommen miteinander klar. War es das einzige Mal, dass er auf jemand geschossen hat? „Ja, aber Knarren standen auf der Tagesordnung.“ Er selbst war drei Mal die Zielscheibe, doch die Kugeln gingen daneben. Hat sich die Lage in Brooklyn inzwischen entspannt? „Es ist etwas besser geworden, allerdings nicht in den kritischen Gebieten. Aber ich war neulich in Miami und sah dort 14-Jährige, die mit einer AK-47 rumlaufen – Militärwaffen in der Hand von Kindern!“ Glaubt er, dass es weniger Todesfälle geben würde, wenn in den USA ein strengeres Waffengesetz gelten würde? „Schwer zu sagen. Ich bin der Überzeugung, dass man Menschen verändern muss, nicht die äußeren Umstände.“ Einer seiner Assistenten kommt rein und fragt, ob er etwas essen wolle. Jay bestellt einen Salat und schaut fragend auf mich. „Jedenfalls: Wenn man die Knarren wegnimmt – was passiert mit den Messern und den Steinen? Man muss das Problem anpacken, nicht die Werkzeuge.“

Trägt er selbst noch eine Pistole? „Nein.“ Nie? „Nie.“

Unser Salat wird reingetragen, und wie alles, mit dem sich Jay-Z umgibt, ist er von Top-Qualität: der frischeste, knackigste Salat, den man kaufen kann. Der Stuhl, auf dem ich sitze, ist der komfortabelste, auf dem ich je saß. Vor uns auf dem Tisch liegen einige Hochglanz-Magazine, alle mit Jay-Z auf dem Cover. Er hat ein ungewöhnliches Gesicht für ein Idol: dicke Backen, abstehende Kobold-Ohren. Über seiner Lippe haben sich ein paar unrasierte Haare verirrt – für einen Mann, der so viel Wert auf sein Äußeres legt, eher untypisch. Heute ist er leger gekleidet, doch auf dem „Forbes“-Cover trägt er einen schnieken blauen Anzug. Er zeigt mir den Artikel über ihn und Warren Buffett und ist offensichtlich stolz, mit Buffett verglichen zu werden. Wer ist der Reichere von beiden? „Du machst Witze. Er ist ein Multi-Milliardär. Sie gehen davon aus, dass ich 2015 erst meine erste Milliarde zusammenhabe.“

In seinen kürzlich erschienenen Memoiren zeichnet er ein plastisches Bild seiner Straßen-Jahre, fast hat man den Eindruck, als trauere er dieser Zeit etwas nach. „Nun ja, die Jahre waren aufregend und sie waren gefährlich. Und dann gab es diese Kameradschaft, diese Liebe innerhalb einer Gang. Alle sitzen in einem Boot, alle kämpfen für eine Sache, nämlich zu überleben.“ Als er noch Dealer war, träumte er von einer Karriere als Rapper. Das Problem war nur: Wie den Absprung schaffen? Wie mit der Tatsache klarkommen, dass er als Rapper nicht annähernd so viel Geld machen konnte wie als Dealer? „Wir besuchten Auftritte von erfolgreichen Rappern und fuhren in unseren blitzenden BMWs vor, während die Rapper in klapprigen Kleinbussen ankamen.“

1992 veröffentlichte er seine erste Single, hatte mit der Dealerei aber nicht aufgehört. Manchmal erzählte er seiner Mutter, das Geld käme von Plattenverkäufen, aber sie kannte sehr wohl die wahre Quelle. Heute leitet sie das „Jay-Z-Stipendiat“ für sozial benachteiligte Schüler. „Ich liebe sie, weil sie mich an der langen Leine ließ, weil sie dafür sorgte, dass ich selbst meine Erfahrungen machen musste. Man kann einem Sohn zu diesem Zeitpunkt nicht alles vorschreiben. Mit meinen beiden Schwestern war sie allerdings etwas strenger.“

Noch vier Jahre nach der ersten Single sollte er zweigleisig fahren. Erst als er 1996 sein erstes Album aufnahm, setzte er alles auf die Musik-Karte. „Bei den Aufnahmen zu Reasonable Doubt machte ich den Schnitt. Ich kam zur Erkenntnis, dass die Zeit gekommen war, mich auf die Musik zu konzentrieren und ein unbescholtenes Leben zu führen. Ich habe diesen Entschluss nie bereut.“

Ein großer Teil seines künftigen Repertoires sollte die Erfahrungen seiner frühen Jahre aufarbeiten – den Nervenkitzel, das Leben am Abgrund. Viele seiner Songs haben eine geradezu cineastische Qualität: Es gibt detaillierte Charaktere und komplexe Handlungsstränge. Sie sind großmäulig, sie kommen nicht ohne die obligatorischen niggas, bitches, hos und heißen Schlitten aus, aber sie haben auch Querverweise zu großen farbigen Agitatoren, zu Filmen und anderen Rappern.

In der Vergangenheit hat er betont, dass „Jay-Z“ nur ein fiktiver Charakter sei, mag inzwischen aber nicht mehr zwischen Jay-Z und Shawn Carter differenzieren. Er räumt ein, dass seine Karriere nicht denkbar gewesen wäre, ohne auf den illustren Stoff seines früheren Lebens zurückgreifen zu können. In vielen seiner Songs versucht er eine Erklärung zu finden, vielleicht sogar so etwas wie Verständnis und Vergebung. „Es gibt Geständnisse, es gibt Einsicht, es gibt eine Menge verschiedener Emotionen. Man fühlt sich fast wie ein Therapeut.“ Das muss aber die profitabelste Form von Therapie sein, die man sich vorstellen kann, sage ich. „Yeaaahhh! Hahaha.“

In einem Remix von „Diamonds From Sierra Leone“, dem Song von Kanye West, singt er: „I’m not a businessman, I’m a business, man.“ Geld war für ihn immer wichtig – als Kind hat er davon geträumt, und inzwischen ist es die Maßeinheit, um seinen Erfolg greifbar zu machen. Wie viele erfolgreiche farbige Amerikaner – Oprah Winfrey und Spike Lee sind die Spitze des Eisbergs – steht er für eine Kombination aus politischem Liberalismus und geschäftlichem Konservatismus. Keine Frage, er wollte immer ein Kapitalist werden, denn wie sonst könnte er etwas verändern in der Welt? „Um überhaupt wahrgenommen zu werden, muss man erst einmal eine Position der Stärke erreichen – selbst wenn man nur ein Entertainer ist.“ Und darin läge auch gleich das Problem, sagt er: Farbigen Amerikanern stände der Weg zum Erfolg im Showbusiness offen, aber nicht in der eigentlichen Business-Welt. „Will Smith – was macht er? Er ist Entertainer. Spike Lee ist Entertainer. Oprah Winfrey ist Entertainerin.“

Kann ein Mann, der seine Position bekleidet, überhaupt noch über die wilden Tage auf der Straße rappen? Wäre es nicht angemessener, heute seine Erfahrungen als Business-Überflieger zu artikulieren? „Ja“, sagt er, „das schleicht sich langsam rein. Songs wie, Corporate Takeover‘. Je mehr ich mich von der Straße entferne, umso mehr muss ich Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen heranziehen.“ Er erwähnt einen Song namens „Most Kingz“, der von einem Gemälde inspiriert wurde, das er besitzt. „Das Motiv stammt von einem Basquiat-Bild: Die meisten Könige sterben, weil man ihnen den Kopf abhackt. Es handelt von der Paranoia, erfolgreich zu sein.“

Seine vermutlich bekannteste Aufnahme ist „Empire State Of Mind“, ein Duett mit Alicia Keys, das seine Vergangenheit und Gegenwart in einem Song zusammenspannt. Zeilen wie „New York, concrete jungles where dreams are made, oh, there’s nothing you can’t do, now you’re in New York“ sind zu einer Hymne des amerikanischen Traums geworden, lassen aber gleichzeitig die Schattenseiten der Stadt aufblitzen: „Welcome to the melting pot, corners where we selling rock.“

„Meine Sprache hat sich verändert, weil sich auch mein Umgang mit Frauen verändert hat.“ Das Problem, so sagt er, sei dadurch entstanden, dass sie früher alle One-Night-Stands mit Mädchen gehabt hätten, die ihnen nichts bedeuteten. Jungs hätten keinen Respekt vor Mädchen, die sich selbst nicht respektieren würden. Hat Beyoncé dazu beigetragen, dass er Frauen heute in einem anderen Licht sieht? Würde er sich, wenn er sie bitch oder ho nennen würde, eine Ohrfeige fangen? „Mit Sicherheit. Der Punkt ist doch der, dass diese Beziehungen in einem Alter stattfinden, wo man zu Beziehungen noch gar nicht fähig ist. Mit 16 oder 18 sind Jungs noch nicht reif dazu. Sie sind verstockte, emotionale Krüppel. Sie wissen nicht, wie sie ihre Gefühle ausdrücken können.“

Der unterhaltsamste Teil von Jay-Z’s Memoiren ist die Analyse seiner eigenen Lyrics. Er erklärt die Reim-Strukturen und benutzt sogar Fußnoten, um obskure Slang-Ausdrücke zu erläutern. Je mehr Leute ihn verstehen, umso größer ist sein potenzielles Publikum. Früher, sage ich, hatte er doch auch viel schneller gerappt. Warum hat er das Tempo rausgenommen? „Am Anfang ging es nur um Technik, darum, die Leute zu beeindrucken. Als ich dann auf tatsächliche Erfahrungen zurückgreifen konnte, musste ich Platz schaffen für die Story und für Gefühle, und die Technik trat in den Hintergrund.“ Hatte es nicht auch damit zu tun, dass er mit einem langsameren Tempo seinen Crossover-Appeal vergrößerte? „Ja, ich bemühte mich um eine deutlichere Aussprache und klare Aussagen. Ich denke, die Leute spüren instinktiv, wenn sie mit gelebten Wahrheiten konfrontiert werden. Man muss diese Erfahrungen nicht selbst gemacht haben oder kann sich zumindest mit den Zielen des Protagonisten identifizieren.“

Ich sage ihm, dass ich ihn mir in einigen Jahren gut als „Professor Z“ vorstellen kann, der an der University of Rap lehrt. Er lacht laut und beteuert, dass dies mit Sicherheit nicht passieren werde, auch wenn er die Vorstellung durchaus mag. „Es war elementar wichtig, den Leuten klarzumachen, dass Rap Poesie ist.“ Er erwähnt, dass gerade ein siebenwöchiger Jay-Z-Kurs an der New York University abgehalten werde. Du solltest dich reinstehlen und in die letzte Reihe setzen, sage ich ihm. „Ich habe das einmal in Princeton gemacht: Sie hatten einen coolen Kurs über Horace und Biggie Smalls.“ Smalls, sein bester Freund in der Rap-Gemeinde, wurde 1997 erschossen.

1999 wurde er selbst daran erinnert, wie schnell man alles wieder verspielen kann. In einem Nachtclub wurde er in einen Kampf verwickelt – niemand wurde ernsthaft verletzt, aber zwei Jahre später wurde Jay zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt, weil er den Produzenten Lance Rivera mit einem Messer bedroht hatte. „Es war eine Schlägerei, wie sie in Bars ständig passieren. Der Typ hatte keinerlei Verletzungen – er nahm ein Aspirin und ging nach Hause. 40 Leute waren in die Schlägerei verwickelt. Früher erlebte ich so was jeden Freitagabend, aber plötzlich war ich auf der Titelseite der New Yorker Zeitungen, weil ich nun mal ein dankbares Opfer bin. Aber es war eine Lehre für mich: Ich muss vorsichtiger sein, ich muss mein Temperament in den Griff bekommen – alles musste anders werden.“

Nachdem er erstmals 2002 mit Beyoncé zusammengearbeitet hatte (auf dem Track „Bonnie And Clyde“, der 2003 erschien), bahnte sich zwischen beiden mehr an, und 2008 wurde geheiratet. Zum Zeitpunkt unseres Interviews kann man in den New Yorker Gazetten lesen, dass Nachwuchs auf dem Weg sei. Ich will schon gratulieren, doch Jay beteuert, dass die Meldung eine Ente sei. „Sie machen das immer, wenn ihnen die interessanten Nachrichten ausgehen. Sie haben das schon fünfmal in die Welt gesetzt.“

Gibt es so was wie Konkurrenzdenken zwischen zwei der erfolgreichsten Popstars der Welt? „Nee. Wenn man an einer Nummer arbeitet, möchte man natürlich der Beste sein oder zumindest das Beste aus sich herausholen, aber einen familiären Wettstreit gibt es nicht bei uns.“

Ich frage ihn nach seinen Vorbildern, und er zeigt mir die Fotos, zuerst eine beeindruckende Aufnahme von Muhammad Ali, genau genommen nur einen Ausschnitt von seiner Faust, die gerade für einen Kampf präpariert wird. „Ali stieg aus dem Ring, nahm Kontakt zu den Leuten auf und gab ihnen die Hoffnung, dass sie es eines Tages auch schaffen könnten. Zu einem Zeitpunkt, als man den Farbigen noch einreden wollte, sie seien hässliche Affen, stand er auf und sagte:, I’m pretty. I’m beautiful and gorgeous.‘ Er gab uns das Selbstvertrauen, in den Spiegel zu schauen und stolz zu sein.“

Weitere Würdenträger in Jays Pantheon sind Malcolm X, Martin Luther King und Mahatma Gandhi – „Menschen, deren Lebensleistung man nie erreichen kann. Sie haben einfach diese undefinierbare Aura.“ Wobei ihm als Kind heutige Erfolge ebenso undenkbar erschienen sein müssen wie die Leistungen seiner Vorbilder.

Seit geraumer Zeit macht sich Jay-Z für einen Mann stark, der ebenfalls das Unmögliche möglich zu machen versucht: Barack Obama. Für schwarze Amerikaner, sagt er, sei der Hoffnungsträger Obama wichtiger als der Politiker. Vor Obama seien die hehren Worte von dem „Land of the Free“ und der Chancengleichheit nur leeres Gerede gewesen. Und er sei enttäuscht, dass Amerika offensichtlich nichts Besseres zu tun habe, als Obama in den Rücken zu fallen. „Wie kann ein Politiker im Kongress aufstehen und gegen die Gesundheitsreform stimmen? Wer kann so was wollen?“ Er schüttelt fassungslos den Kopf.

Könnte er sich vorstellen, eines Tages selbst in die Politik zu gehen? Er lacht. „Nein, ich habe an Politik null Interesse. Mich interessiert die Hoffnung, mich interessieren die Menschen. Ich glaube nach wie vor, dass Politiker Lügner sind und nur ihre eigenen Interessen im Kopf haben. Warum haben sie nicht die Eier, um aufzustehen und zu sagen:, Ich glaube an etwas – und mir ist es schnurz, welche Konsequenzen das vielleicht für mich persönlich haben wird.‘ Und so lange das nicht passiert, wird man auch 14-Jährige mit einer AK-47 herumlaufen sehen.“

Sollte Amerika eines Tages eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft sein – hätte das nicht eine negative Nebenwirkung auf Rap? Schließlich war es immer die Musik, die zunächst einmal für die Randgruppen gemacht wurde. Er nickt. „Mit dem Tag, an dem Obama sein Amt antrat, verlor Rap an Bedeutung, weil Obama den Kids eine Alternative aufzeigen konnte. Ob deshalb Rap je verschwinden wird? Ich kann es mir nicht vorstellen, weil es immer das Bedürfnis nach Poesie geben wird.“

Bei einem Rundgang durch die Roc-Nation-Büros gewinnt man den Eindruck, dass hier die Utopie einer gleichberechtigten Gesellschaft ohne Rassenschranken bereits Wirklichkeit wurde. Hat er je einen Geschäftsführer kennengelernt, der einen ähnlichen Background hat wie er selbst? Er prustet vor Lachen. „Ich glaube, am ehesten kann man mich noch mit Joe Kennedy vergleichen. Schließlich fing er als Bootlegger an. Man sagt ja, dass jedes große Vermögen auf einem ebenso großen Verbrechen aufgebaut wurde. Und ich glaube, der Volksmund hat recht.“

Während er spricht, schaue ich ihn mir noch mal an: T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, goldene Rolex – und eine unauffällige Goldkette, die unter seinem T-Shirt steckt. Ich möchte ja nicht unhöflich sein, sage ich, aber für einen Hip-Hop-Star deines Kalibers gibst du dich eigentlich erstaunlich unauffällig. Wo bleibt der Bling? Selbst mit der Goldkette kann man nun wirklich keinen beeindrucken. Ah, sagt er. Der erste Eindruck könne schnell täuschen. Er zieht die Kette aus seinem T-Shirt heraus – und ich sehe den atemberaubendsten, überdimensionalsten, vor Gold und Diamanten nur so blitzenden Jesus, den man sich vorstellen kann …