Der Mars greift an – mit Radiowellen!


Eins hat sich Courtney Taylor-Taylor für dieses Jahr vorgenommen. Er will Radio hören, sehr viel Radio hören. „Ich mag Radio eigentlich gar nicht. Aber ich will wissen, wie es funktioniert. Die ganzen Bands, die da dauernd gespielt werden wie zur Hölle machen die das?“ Er rutscht in seinem Sessel ganz nach vorn. „Ich will das verdammte Radio beherrschen, for god’s sake“. Wir sind brillant, wir haben das Talent und jetzt haben wir endlich auch das Equipment. Also sollte das doch endlich mal möglich sein!“

Was so ein Mittagsschlaf doch alles bewirken kann. Gekifft worden sei bis jetzt nicht, berichtet die Promoterin, allerdings sei die Band jetlagged und Taylor-Taylor, ohnehin zur Dauermüdigkeit neigend, während der ersten Interviews ein paar Mal fast eingeschlafen. Nun aber, nach einem erholsamen Nickerchen, ist der Ober-Dandy aufgekratzt und schwingt sich zu hübschen kleinen Tiraden auf, wie sie sich ziemen für einen Kriegsherrn vom Mars, Odditorium Or Warlords Of Mars heißt das neue Album der Dandy Warhols. „.Walord of Mars ist ein alter Sci-Fi-Roman von Edgar Rice Burroughs, dem Autor, der auch Tarzan erfunden hat“, erläutert Courtney: „Ich finde, daß der Titel ziemlich gut zu uns paßt.“ Er wirft eine Faust in die Luft und grollt mindestens eine Oktave tiefer: „Waarrlorrds of Maarrs!“ Und dann freut er sich: „Allein schon der Klang! Aber andererseits ist es ja auch die erste Platte, die wir im Odditorium aufgenommen haben. Das durfte nicht fehlen.“

Das Odditorium ist die neue Kommandozentrale der Dandy Warhols. Fett genug war offenbar die Beute bisheriger Feldzüge, um im Nordwesten Portlands ein Viertel eines Häuserblocks zu beziehen, in dem es an nichts mangelt, was sich für künftige Eroberungen bzw. deren Planungen als nötig erweisen könnte. Es gibt ein Studio, eine kleine Bühne, ein Webdesign-Büro, eine riesige Küche, ein Basketball-Feld, einen Billardraum und auf dem Dach ein Sonnendeck mit Barbecue. „Es ist“, beendet Courtney die imposante Aufzählung, „einfach ein toller Ort zum Abhängen. Unddas ist schließlich das Wichtigstean einem Studio.“ Man müsse sich das Odditorium vorstellen wie Andy Warhols Factory, meint er, Zia McCabe findet allerdings einen Unterschied: „Es gibt keine Junkies.“

Anfangs hatte man sich überlegt, im Odditorium auch andere Bands aufzunehmen und Konzerte zu veranstalten. „Aber was soll’s, wir haben schließlich Jobs“, sagt Courtney und grinst. Die Strokes waren mal einen Nachmittag da, haben für einen Gig geprobt und auch ein paar Sachen aufgenommen. Aber sonst haben die Dandies lieber ihre Ruhe. „Natürlich sind unsere Freunde oft da. Aber wenn hier dauernd andere Bands zu Gast wären, wäre das vermutlich so, als würde man sein Appartement untervermieten. Ich habe das einmal gemacht“, erzählt Zia und schüttelt sich bei der Erinnerung: „Ich kam in der Mitte einer Tour kurz nach Hause. Meine eigenen Sachen waren total durcheinander, überall lag fremdes Zeug rum. Grauenhaft. Ich mußte die Frau bitten, sofort auszuziehen.“

Bei ihrer neuesten Mitbewohnerin wird Zia sich gefallen lassen müssen, wenn überall Zeugs rumliegt. Töchterchen Matilda Louise ist im Frühjahr zur Welt gekommen und „entwickeltgerade ihren eigenen Sinnfür Humor. Wenn Kinder so klein sind, kontrolliert man ja noch alles: wo siesitzen, womit sie spielen. Sie sabotiert das und probiert bei ihren Spielsachen geradeaus, was man am besten damit machen kann. Macht es Spaß, es in den Mund zu stecken? Oder es durchs Zimmer zu werfen?“

„Das ist“, schaltet sich Courtney ein, „einegute Beschreibung dessen, was wir machen, wenn wir aufnehmen.“ Spielsachen raus und rumprobieren – dem Odditorium sei Dank, so konnte sich die Band dafür diesmal Zeit lassen. „Wir haben jeden Tag so zwei, drei Stunden gespielt. Manchmal haben wir an konkreten Songs gearbeitet, manchmal stundenlang auf einem Akkord rumgejammt. Oder wir haben zum Beispiel ausprobiert, was passiert, wenn man ein 1974er Riven-Mikrophon mit einem Früh-8oer-High-End-Kompressor verbindet und das dann mit dem schrottigsten Gitarrensound kombiniert. Naja, und dann kommen Loops, Samples und Key board-Sounds dazu. Und du nimmst erstmal Tonnen davon auf.Und dann“, seufzt Courtney, „geht es irgendwann ans Mischen, und du stehst mit 150 Spuren Mist da.“

Kein Grund zur Verzweiflung, als Studio-Besitzer.

„Du kannst den ganzen Kramja ein paar Monate liegen lassen. Dann hast du längst vergessen, was du genau aufgenommen hastund kannst völlig offen und objektiv sein. Und zum Beispiel sagen: „Oh, der Sound ist großartig, aber nur an der und der Stelle.‘ Wichtig ist eben, daß du dabei ein klares Ziel vor Augen hast.“

Was dabei herausgekommen ist, will Courtney, nicht ohne Koketterie, als „unsere erste richtige Platte“ verstanden wissen. „Die bisherigen Alben waren ja eher Lernexperimente“, befindet er fast ungnädig und hebt zu einem bandhistorischen Kurzreferat an. „Bei The Dandy Warhols Come Down ging es Um Wall of Sound. Was passiert, wenn sieben oder ij Gitarren dasselbe spielen? Bei Thirteen Tales From Urban Bohemia hatten wir viele Platten aus den yoern gehört. all thincs mustpass von GeorgeHarrison, desire von Bob Dylan und Sticky Fingers von den Stones. Platten mit einem sehr runden, beseelten Sound. Als dann plötzlich jeder in einer Gitarrenband war, hat uns das gelangweilt. Also haben wir eine Art New-Wave-Platte gemacht. Was passiert, wenn man kaum Gitarren hat, sondern elektronische Sounds?Können sie Gitarren ersetzen, können sie die gleiche Körnigkeit erzeugen? Und so wurde die vierte Platte zu einer Kreuzung aus Sade, Duran Duran und Scientist.“

Nach dem 8os-Synthpop-Abenteuervon Welcome To The Monkey House Steuert Odditoruim… nun wieder in vertraute Gefilde psychedelischer Loops und unendlicher Neo-Prog-Weiten, wobei mit Songs von über neun und elf Minuten Dauer persönliche Rekorde gebrochen werden. Am wichtigsten sei aber, daß die Platte stärker als bisher die Live-Qualitäten der Dandies transportiert, findet Zia: „Wir sind eine ziemlich gute Live-Bandgeworden. Wir dekonstruieren unsere Songs auf der Bühne und schauen, was passiert. Aber du kannst keine Live-Show aufnehmen und den perfekten Klang haben, wenn ein Publikum dabei ist. Und genau das wollten wir. Im Odditorium geht das. Wir können überall Mikros aufhängen und so lange weiterspielen, bis es sich so anfühlt, als stünden wir auf der Bühne.“

Bleibt nur noch die Sache mit dem Radio. Auch diese letzte Bastion will der Warlord aus Portland einnehmen, will sich dort selbst in aller Ruhe an Clubund Radio-Mixen versuchen. Angst vor Zugeständnissen hat er nicht: „Songs sind Songs. Sie ändern sich nicht wirklich, ob du sie nun nur mit akustischer Gitarre spielst oder von AC/DC spielen läßt.“ Oder dir die absurde Beschränkung auferlegst, nur Instrumente zu verwenden, die in einem Koffer Platz haben. „Seit Grungegibt es ja dieses Ding“-Courtney setzt eine sonore Moderatorenstimme auf: „Xiiive on the Raaadio accooouustic!“ Fassungsloses Kopfschütteln. „Was heißt ‚akustisch‘? Nun, seit 1994 heißt es offenbar, daß Gitarristen kleine Verstärker benutzen und im Sitzen spielen. Und das ist ja wohl das Peinlichste, Retardierteste, was es gibt.“

Warum also das Ganze nicht auf die Spitze treiben, eben in Gestalt jener geplanten „Suitcase-Tour“, die Radiohörer in den Genuß von Dandy-Songs im Gewand von Mini-Casio-Keyboards, Gitarre undTröten bringen wird? „Wir haben uns gefragt, ob wir überhaupt Lust haben, so eine Radio-Tour zu machen. Aber wenn du dich weigerst, brüskierst du die Sender und das Label. Und da dachte ich, wenn wir was richtig Cooles machen, warum nicht? Dann spiele ich in jedem verdammten Radiosender.“

www.dandywarhols.com