Der Streit um das Erbe – Trittbrettfahrer plündern den Nachlass von Led Zeppelin


Ein pfiffiger Kopf einer amerikanischen Plattenfirma hat eines schönen Tages die große Erleuchtung: Led Zeppelin müssen her! Und wenn schon nicht die echten Luftschiffer zur Verfügung stehen, dann muß die Gruppe eben am Reißbrett möglichst detailgetreu rekonstruiert werden. Massive Drums à la John Bonham sollten es sein, die zusammen mit dem Baß ein wuchtiges Fundament bilden, dazu die schwere, im Blues verwurzelte Gitarre eines Jimmy Page, die Hochtöner-Stimme eines Robert Plant, die symbolgetränkten Texte und pathoshaltigen Akkorde – und fertig ist das Luftschiff der Zukunft!

Kingdom Come heißt die glorreiche Idee von Derek Shulman. einst Musiker bei Gentle Giant, heute Talenscout von Polygram Amerika. Daß der Mann eine goldene Nase hat, konnte er schon mehrfach beweisen: Junge und bis dato gänzlich unbekannte Bands wie Bon Jovi und Cinderella hat er entdeckt und auf Platin-Niveau gehievt.

Doch mit Kingdom Come lag der Fall anders: Die Gruppe existierte nur in seinem Kopf! Um seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen, sollten zwei lange Jahre vergehen …

Ein Plant-ierter Sänger war vergleichsweise schnell gefunden, und zwar in dem gebürtigen Hamburger und ehemaligen Stone Fury-Mitglied Lenny Wolf. Doch die Suche nach dem Rest der Phantom-Band erwies sich als weitaus schwieriger und zeitraubender. Mitch Perry, zweiter Axeman der McAuley-Schenker-Group und zuvor gefragter Geistergitarrist auf zahlreichen Alben, weiß zu berichten: „Ich erhielt eines Tages einen Anruf von einem hohen Tier der Plattenfirma, der mich nach Los Angeles zum Vorspielen einlud. Zwei Tage genügten, dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die Band, die hier aus dem Boden gestampft wurde, war voll auf Led Zeppelin getrimmt. Das war mir doch zu makaber. Deshalb habe ich mich schnell wieder abgeseilt.“

Doch auch seine Absage konnte nicht verhindern, daß Shulmans Schlachtplan immer konkretere Formen annahm und das Demo firmenintern geradezu euphorische Reaktionen verursachte. „Der Sound des Albums hat uns alle umgehauen“, erinnert sich David Leach. Vizepräsident der Promotion-Abteilung. „Ich bin mir sicher, daß die Nicht-Eingeweihten glaubten, hier handle es sich um verschollenes Led Zeppelin-Material. „

Anpressungen ohne Namensangabe und begleitendes Informationsmaterial wurden an amerikanische Radiostationen verschickt, die prompt auf den Bluff hereinfielen: In der irrigen Annahme, es handle sich hier um neues Led Zep-Material, wurde die Platte ständig im Funk gespielt. Noch vor der offiziellen Veröffentlichung lagen in den USA so viele Vorbestellungen vor, daß die Platte vergoldet wurde. Shulman und Noch längst nicht verblichen.

„Die Band klingt verdammt gut, der Gitarrist ist exzellent“, pflichtet Robert Plant, einer der Bestohlenen, dem allgemeinen Tenor der Medien bei. allerdings mit einer Einschränkung: „Wenn man sich so sklavisch eng an die Vorlage hält, bekleckert man sich nicht gerade mit Ruhm, nur das Bankkonto kann sich freuen. Deshalb werde ich auch das Gefühl nicht los, daß die ganze Sache stinkt.“

Als Robert Plant Mitte April im Londoner „Town & Country“-Club gastierte, suchten seine „Schüler“ den Kontakt zum großen Vorbild. Doch Plant zeigte ihnen demonstrativ die kalte Schulter. Freitickets gab’s nicht, und als Kingdom Come nach dem Konzert hinter die Bühne wollten, wurden sie schnöde abgewiesen. Plant: „Ich habe kein Interesse, die Diebe auch noch zu unterstützen.“

Das weisen die fünf, der dreisten Kopie verdächtigen Heavy-Rocker empört von sich. „Seien wir doch mal ehrlich“, kontert Kingdom Come.

Danny Stag: Jeder Drummer der Weh möchte letztlich wie John Bonham spielen. Bringe ihn mit Lenny, einem hervorragenden Blues-Sänger, und mir. einem vom Blues beeinflußten Gitarristen, zusammen, hast du eine Band, die sich fast zwangsläufig wie Led Zeppelin anhört.“

Gestank hin. Klau her. im Grunde müssen sich die früheren Kommandanten des Luftschiffs an die eigene Nase fassen, wenn ihnen die Felle wegschwimmen. Hat doch Robert Plant selbst Aussagen vom Stapel gelassen wie: „Ich besitze längst nicht mehr die Power früherer Tage“, oder: „Selbst wenn ich mal mit Jimmy Page zusammenspielen sollte, hätte das nichts damit zu tun, was wir zu Zeppelin-Zeiten einmal gemacht haben. „

Pech für ihn. denn damit hat Plant, der im Verlauf seiner steinigen Solo-Karriere unter der Last des vergangenen Ruhms am meisten zu leiden hatte, ein mögliches Comeback ein für allemal begraben und das Erbe zum Plündern freigegeben.

Dabei bilden Kingdom Come nur die Spitze eines unaufhörlich wachsenden Eisbergs, sind sie nur das frechste Phänomen im Lager der Zeppelin-Epigonen und -Clones. War etwa Alexis Korners CCS-Projekt mit seiner Version von „Whole Lotta Love“ noch eine Ausnahme, die mild belächelt wurde, bedienen sich inzwischen ganze Heerscharen von Bands ungeniert bei der Hardrock-Leeende der 70er Jahre.

„Whitesnake verkaufen aus zwei Gründen so viele Platten: Einmal aufgrund der unbestreibaren Qualität ihrer Musik, und – das ist kein Geheimnis – weil Mangel an Led Zeppelin-Alben auf dem Markt herrscht“, ortet der amerikanische A&R-Experte John David Kalodner(der Kingdom Come eine runde Million Dollar für einen Deal bot und trotzdem den Kürzeren zog) die Marktlücke.

Apropos Whitesnake. Vor allem David Coverdale hat nie einen Hehl aus seiner Faszination für die Pioniere des schweren Rock gemacht. Seine exaltierte, ganz und gar Plant-hafle Bühnenchoreographie und Songs wie „Slow An‘ Easy“ (von SLIDE IT IN) oder „Still Of The Night“ (von 1987) belegen deutlich sein Faible.

Noch prägnanter formuliert Def Leppard-Sänger Joe Elliott das Verhältnis von Original und Fälschung:

„Ohne Led Zeppelin gäbe es heute keinen Heavy Rock.“… und keine Bon Jovi. keine Europe, keine Fastwav. keine Great VV’hite und wie sie alle heißen. Auch der Amerikaner Michael White, der mit seinem gleichnamigen Solo-Debüt von 1987 bereits als neuer Robert Plant gefeiert wurde, kann und will seine musikalische Heimat nicht verleugnen.

Was aber macht den Reiz ihrer Musik so unvergänglich, ihren Stil für Post-Punker, Heavy-Rapper, Pop-, Rock- und Kult-Bands gleichermaßen attraktiv?

John David Kalodner. Talentscout“.Sie sind nach den Beatles die Band mit dem größten Einfluß in der Geschichte der populären Musik. Sie haben zum Beispiel mit .Stairwav To Heaven einen Meilenstein für amerides US-Labels Geffen, behauptet:

Naturlich steht es Jeder Band frei, sich bei Led Zeppelin zu bedienen, doch letzt- lich wird es immer bei einer Imitation bleiben.

konische Radios gesetzt. Außerdem waren sie die ersten, die konsequent in riesigen Arenen spielten. Natürlich steht es jeder Band frei, sich bei Led Zeppelin zu bedienen, doch letztlich wird es bei einer Imitation bleiben, die ungewollt auf das Original verweist.“

Ein Blick in die Gegenwart verrät das ganze Ausmaß ihres nicht enden wollenden Einflusses. Die Liste reicht von Del Leppard bis Crowded House, von den Beastie Boys und The Cult (die vornehmlich Pages Gitarrenriffs adaptieren), von Heart bis zur kalifornischen Underground-Band Camper Van Beethoven oder Frank Zappa. der auf seiner jüngsten Tournee gelegentlich eine unorthodoxe Version von „Stairway To Heaven“ zum Besten gab. Nicht einmal ein puritanischer Jazzer wie Saxophonist Wynton Marsalis läßt sich lumpen und entdeckt auf LATE NIGHT WITH DAVID LETTERMAN seine Liebe zu Led Zeppelin-Songs, während sich John Lydons PIL und die New Yorker Exoten The Ordinaires eher an einer Instrumental-Fassung von „Kashmir“ schadlos halten, von den Golden Palominos und ihrem „Misty Mountain Hop“ ganz zu schweigen.

Kein Zweifel: Led Zeppelin sind wieder in. Sich an ihre Fersen zu heften scheint äußerst lukrativ. Das mag ja amüsant sein, sich auch 1988 noch mit Led Zeppelin zu beschäftigen“, klagt Nick Seymour, Bassist der australischen Gruppe Crowded House. „doch leider scheinen viele, die von ihnen nachweislich beeinflußt wurden, nicht zu verstehen, was die wirkliche Substanz dieser Band ausmachte. Denen geht es hauptsächlich um den kosmetischen Aspekt, den äußeren Sehein der Hinterlassenschaft. Auf diese Weise bereichert man sich an einer Generation von Leuten, die das Original nie zu sehen bekam.“

Namentlich Plants bilderreiche Texte, voller Mythen und Phantasmen. sind für viele ein gefundenes Fressen, Ian Astbury. Sänger von The Cult: „Es ist einfach unglaublich, wie viele Bands sich mehr oder weniger heimlich bei Led Zeppelin bedient haben. Da ist zunächst einmal diese .Hall OfThc Mountain King-Kiste, auf die sich die Glam-Rocker gcstürtzi haben. Plötzlich gab’s 15 amerikanische Bands, die in ihren Songs etwas von Kämpfen mit Drachen und dergleichen mehr faselten und dabei so taten, als hätten sie Plants Interesse an der allen keltischen Sagenwelt begriffen.

Andere Bands wiederum versteiften sich auf schwarze Magie und Hexerei, was eher Pages Ding war. Und dann versuchen welche, in Anlehnung an Bonhams Drums. ihren eigenen Stil zu finden. Selten haben einzelne Musiker in einer Band so viele verschiedene Arien von Musik beeinflußt.“

Das Quartett aus England gilt mit Recht als die erste Band der 70er Jahre, die die Träume der Hippieund Woodstock-Generation aufgriff, bündelte und eine neue Ära einläutete. Jimmy Pages raffinierte Gitarren-Arrangements, eingebettet in mächtige Sound-Wolken, dazu Robert Plants mystische Visionen, zogen Hörer dies- und jenseits aller Demarkationslinien unwiderstehlich an.

Ein Beispiel, das Bände spricht: „Bullet The Blue Sky“, ein Song von U2s THE JOSHUA TREE, dessen Gitarrensound frappante Ähnlichkeit mit Zeppelins „The Rover“ hat.

..Ich habe mit Heavy Metal eigentlich nie was am Hut gehabt. Zeppelin ist die einzige Band dieses Genres, die mir etwas bedeutete“, gibt U2s Gitarrist The Edge unumwunden zu.

Auch der exzentrische Mission-Sänger Wayne Hussey, deren aktuelles Album“ CHILDREN ausgerechnet von Zep-Bassist John Paul Jones produziert wurde, fühlt sich ihnen verbunden. „Für mich ist das Wesentliche, daß sie eine echte Band waren, als geschlossene Einheit und musikalische Gemeinschaft auftraten. „

Egal, wer in weiche Schublade greift, wer welchen Aspekt besonders betont: Led Zeppelins ungebrochene Attraktivität in der Popgeschichte ist ohne Parallelen. Noch einmal Ian Astbury: „Sie sind meiner Meinung nach die größte englische Rockband aller Zeilen, umgeben von Mystik. Aura und einer Präsenz ohnegleichen. Wenn sie spielten, war das wie eine spirituelle Roadshow. die jeden bewegte. Und falls sie jemals wieder gemeinsam auf die Bühne steigen sollten, wäre das für uns die größte Herausforderung überhaupt. Mit Led Zeppelin kann sich nämlich niemand messen.“