Die Kraft der Gegensätze


Das US-Duo Beach House veröffentlicht mit Bloom sein viertes Album – und untersucht erneut die ganz großen Gefühle. Eine Annährung.

Sie sind elementare Bestandteile unseres Lebens: Wut und Lust. Liebe und Abstand. Tiefe, bisweilen gegensätzliche Gefühle, die uns prägen – und die Beach House mit ihrer Musik transportieren wollen. „Sei es, dass man an eine geliebte Person denkt, an jemanden, der verloren ging, oder daran, wie es war, Kind zu sein: Solange wir es schaffen, mit unseren Songs Emotionen zu erzeugen, sind wir unfassbar dankbar. Es gibt so viel Musik, die nicht das Geringste bewegt!“, sagt Alex Scally.

Rückblende: 2004 lernt der Amerikaner über Freunde die Französin Victoria Legrand kennen. Die beiden freunden sich rasch an, entdecken ihr gemeinsames Interesse für Musik, aber auch für die Filme David Lynchs und die elementare Gewalt, mit der er den Trieb aus voyeuristischer Perspektive entblößt. Nach wenigen Monaten gründen sie die Band Beach House und fangen an, in einem großen Proberaum in Baltimore – die Mieten sind niedrig in der armen Stadt – verführerische Popsongs zu schreiben. Seitdem ergründen sie, was die Welt im Innersten zusammenfügt.

Dass sie die eingangs erwähnte Intensität durchaus erreichen, zeigte sich auch während der Arbeiten an Bloom: „Als mein Stiefvater ‚On The Sea‘ vom neuen Album hörte“, erzählt Legrand, „da erwischte ich ihn: Er hat geweint. Er wusste nicht, dass ich auch im Raum stand, und ich ging sofort hinaus, als ich merkte, was da mit ihm passiert. Es war ein kleiner, wirklich verrückter Moment. Später sagte er, der Song fühle sich an, als stecke alles darin. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, aber ich denke, gelegentlich ist Weinen die Folge davon, zu fühlen, wie unendlich viele Dinge auf einmal über einen hereinbrechen. Wie eine riesige Welle.“

„Was bleibt, ist dass nichts bleibt“, sagt sie. Und so folgen auch der Entstehungsprozess und das Leben eines Beach-House-Albums einem bestimmten Schema, streben stets einem Ende zu: Die Songs werden zunächst starr arrangiert, wie zu Skulpturen gegossen. Auf der folgenden, meist recht langen Tour werden die Stücke kaum verfremdet, die Kompositionen strikt eingehalten. Klingt langweilig? Nicht für die Band: „Im Grunde wird eine Platte für uns erst hier wirklich lebendig. Die Beziehung zu einem Album endet nicht, bevor wir die Tour gespielt haben – doch dann ist der Abschied absolut, wie eine Beerdigung.“ Aus dieser ständigen Wiederholung entsteht bei Scally und Legrand schließlich der Drang nach Entwicklung und neuer Klangästhetik. Zurück in Baltimore wirken die abgenutzten Geräusche müde, „sie hören auf, uns zu befriedigen und dann gehen wir los und suchen uns neue Quellen der Inspiration.“

Die Instrumentierung bleibt dabei konstant karg. Legrand singt in einem tiefen Bariton, so, dass manche sie zuerst für einen Mann halten. Dazu legt sie Flächen aus verhallten Keyboards, und Alex Scally streut Tupfer mit der Slide-Gitarre über einen einsamen Drumcomputer. Es ist Pop im Sinne von A-ha. Simple Strukturen, nur viel langsamer, andächtiger, wie in einer kleinen Kapelle gespielt. Um diesen Korpus schichten sich feine Ausschmückungen. „Wir haben viele schrottige Keyboards, wir häufen ständig neue an. Auf Tour gehen wir gerne in Trödelläden. Dort finden wir verrückte Instrumente, die wir dann auch benutzen.“ So entsteht die Veränderung von Platte zu Platte: ein neues Kleid anstatt der abgenutzten Textur.

Auch durch erweiterte Produktionsmittel erschließen sich neue Möglichkeiten. Für ihr drittes Album Teen Dream engagieren Beach House 2010 mit Chris Coady das erste Mal einen Produzenten. Coady verhalf auch schon TV On The Radio und den Yeah Yeah Yeahs zu mehr Glanz. Seitdem sind die schimmernden Refrains noch größer, und die Band kann weitaus mehr Raum mit ihren filigranen Figuren füllen.

Der Schmerz wird in den Songs von Beach House offen behandelt. So sind die beiden dem Neo-Noir eines David Lynch näher als Hollywood. Victoria Legrands Verwandtschaftsverhältnisse legen den Vergleich zum Film nahe. In Paris wird sie als Tochter eines Malers in den Kreis einer Künstlerfamilie geboren. Ihr Onkel Michel Legrand komponiert Klassiker der Filmmusik, lässt Romy Schneider aus dem „Swimmingpool“ (1969) steigen und erhält für den Song „Windmills Of Your Mind“ (1968, aus dem Film „Thomas Crown ist nicht zu fassen“) und die Filmmusik zu „Sommer 42“ (1971) und „Yentl“ (1983) jeweils einen Oscar. Ihr Großvater Raymond Legrand ist Komponist und Arrangeur, unter anderem für Edith Piaf, und zeichnet so eine direkte Linie zum französischen Chanson. Während Alex Scally im tristen Baltimore früh anfängt, Musik zu schreiben und aufzunehmen, wird das Leben von Victoria durch häufige Ortswechsel geprägt. Mit sechs Jahren verlässt sie Paris und lebt mit ihrer Mutter für kurze Zeit ebenfalls in Baltimore. Sie zieht weiter ins ländliche Cecil Country, Maryland, dann nach Philadelphia und wieder zurück in die französische Hauptstadt, wo sie anfängt, an der renommierten École Jacques Lecoq Schauspiel zu studieren. Mit sieben lernt sie Klavierspielen und beginnt mit 14 eine klassische Gesangsausbildung.

Heute reicht ihr Stimmspektrum von Nico über Gospel hin zum meditativen Vortrag der Cocteau Twins. So deutlich diese Vergleiche auch sein mögen, sie unterstreichen über ihre Diversität den originären Charakter dieser Stimme. Legrand liegt prominent gebettet auf jeder Produktion der Band und schafft damit die Grundlage für deren Wiedererkennungswert.

Die Gegensätze, über welche sich Beach House definieren lassen, bestehen zwischen Inhalt und Komposition. Die Form der Arrangements wirkt gleichzeitig fließend und träumerisch bezaubernd. Die Texte verraten den romantischen Wunsch, sich hingeben zu können, etwas zu binden, es haltbar zu machen: eine Beziehung, Nähe, die Liebe, ein intensives Gefühl. Dazwischen liegt die Erkenntnis der Unmöglichkeit dieses Verlangens: „Jeder hat Angst, verletzt zu werden. Aber die Sache ist, man wird verletzt, egal was passiert. Schmerz bedeutet, lebendig zu sein. Die Buddhisten sagen:, Das Leben besteht aus Leid.‘ Aber das Leben ist unglaublich. Man muss es nur leben. Man muss sich verlieben, man muss sich das Herz brechen lassen, es muss immer weiter gehen“, beschreibt Legrand und erhebt die Dualität der Emotionen als Prinzip der Musik von Beach House. Bloom ist ein weiterer Baustein dieser Dualität.

Albumkritik S. 74