Die Leiche lebt!


Als kreatives Genie der Beach Boys schrieb er in den 60er Jahren Songs, die weltweit 65 Millionen Schallplatten verkauften. Heute, nach Drogen-Exzessen und Nervenzusammenbrüchen, sitzt BRIAN WILSON daheim und wartet auf ein Comeback.

Noch vor ein paar Jahren hätte Brian Wilson niemand mehr eine Chance gegeben. Wie schlimm er dran war, sah man im Sommer 1980 bei einer Konzertübertragung mit den Beach Boys im amerikanischen Fernsehen (kleines Foto): Der bärtige Boß der Band hockte aufgedunsen und apathisch am Bühnenrand hinter dem Konzertflügel und ließ nur gelegentlich und unvermittelt etwas von sich hören. Mürrisch grummelte er ein paar Gesangsfetzen ins Mikrofon oder spielte schiefe Akkorde auf dem Klavier.

Sechs Jahre später im kalifornischen Nobel-Strandort Malibu: Als mir Brian Wilson die Tür seiner Villa öffnet, erkenne ich ihn zuerst fast nicht wieder. Der Schmorbauch ist verschwunden -— schlank und rank steht der 44jährige Beach Boy im Hauseingang. Mit dem Rock-Zombie früherer Jahre hat er rein gar nichts gemein.

Die Wandlung geht vor allem auf das Konto des Psychiaters Dr. Eugene E. Landy. den viele gar für Brian Wilsons Lebensreiter halten. Seit dreieinhalb Jahren wird Wilson von Landy und seinen Mitarbeitern rund um die Uhr betreut; der bisher erzielte Erfolg ist beachtlich. Zu Beginn der Therapie wog Brian Wilson noch 145 Kilo, hatte nur noch 40 Prozent Lungenkapazität und fast keine Leber mehr — die Wunden eines Lebens, das in weitaus dunkleren Bahnen verlaufen ist. als es das sonnige Strandjungen-Image der Beach Boys glauben machen wollte.

Schon die Kindheit war alles andere als „Fun, Fun, Fun“. Dafür war der gewalttätige Patriarch Murry Wilson verantwortlich, der seine Söhne Carl, Dennis und ganz besonders Brian wiederholt mißhandelte. Als die drei das Teenager-Alter erreichten, drillte der ehrgeizige Vater sie zu Profi-Musikern. Um sich von Daddys Druck, dem frühen Tournee-Streß und seinem eigenen rasanten Arbeitstempo (drei LPs pro Jahr) zu erholen, experimentierte Brian Wilson als Twen immer häufiger mit LSD. Im Dezember ’64 hatte er seinen ersten Nervenzusammenbruch, seitdem touren die Beach Boys ohne ihn. Vor allem in den 70er Jahren raffte er sich auch bei Plattenaufnahmen mit den Boys nur noch unregelmäßig dazu auf, mehr als nur seinen Gesang beizutragen.

Über die Vergangenheit -— die guten und die schlechten Zeiten —- redet Brian Wilson heule nicht gern, er will (oder kann?) sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Die frühen Surf-Singles tut er mit einem Satz ab: „All diese Plattnen klingen mir heute zu konstruiert!“

Zusammen mit Dr. Landy — den er in jedem zweiten Satz in den höchsten Tönen lobt — hat er gerade einen „Message“ Song geschrieben. Titel: „So Much Sugar“.

Dies Stück hätte er gern schon auf MADE IN U.S.A. gesehen, dem aktuellen Doppelalbum zum 25jährigen Bestehen der Beach Boys, „aber man sagte mir, die Blinder seien schon im Preßwerk. Wir konnten es nicht mehr stoppen.“

In „So Much Sugar“. einem langsameren Song mit düsterem Gruft-Gesang, faßt Brian Wilson die Einsichten zusammen, die er durch seine von Landy verordnete Diät gewonnen hat: „Eßt keinen Zucker und kein Fleisch, und nehmt keine Drogen! Drogen können dein Gehirn ausbrennen“, sagt Wilson mit leicht hektischer, immer noch etwas unsicherer Stimme. „Wenn du zwei, drei Jahre lang deine Joints rauchst, Pillen einwirfst und Koks schnupfst, dann beginnt dein Kopf, sich ein bißchen übergeschnappt zu fühlen. Ich glaube, das nennt man Drogen-Psychose; und das ist das, war mir passiert ist. Eine ziemlich schlimme Szene!“

Im Gespräch betont er immer wieder, wie gut es ihm körperlich und seelisch gehe. Er rüste sich schon für die nächste Phase mit den Beach Boys, die auch heute noch -— 20 Jahre nach ihrem letzten Nummer-eins-Hit -— als dienstälteste Band der Rock-Geschichte unermüdlich durch amerikanische Lande ziehen:

„Der nächste Abschnitt wird für mich persönlich besonders schwer werden, da ich jetzt für neue, erfolgreiche Songs sorgen muß, die den Beach Boys bei ihrer nächsten Tournee volle Säle garantieren. Ich brauche nämlich zwischen 50000 und 80000 Dollar, um Gene (Landy) zu bezahlen!“

Zumindest die Tantiemen-Kasse hat im vergangenen Jahr gehörig geklingelt, als David Lee Roth mit der Cover-Version des Beach-Boys-Klassikers „California Girls“ seine Solo-Karriere startete.

Der Kommentar von Song-Autor Wilson: „Ich fand, daß David Lee Roth das Stück viel besser gebracht hat als die Beach Boys; kommerzieller und mit mehr Biß. David Lee Roth ist kein Stümper, wenn es ums Singen geht. Der Typ sing! gut!“

Als ich ihn frage, wie er sich das nächste Vierteljahrhundert mit seiner Gruppe vorstelle, gerat er erst mal ins Rechnen. „Ich kann doch nicht 25 Jahre weit in die Zukunft schauen, du etwa? Das ist doch im 21. Jahrhundert, mindestens! Mal sehen … 1986 … 1996… 2006… 2011. — Keine Ahnung; soweit ich weiß, werde ich dann im Space-Mobil durchs Universum düsen …“

Brian lacht, steht auf und geht in sein Musikzimmer, in dem ein Klavier und mehrere Synthesizer stehen. Er spielt zunächst etwas unentschlossen am Piano herum und beginnt dann, mit immer festerer Stimme ein kleines Medley alter und neuer Songs zu intonieren. Der Höhepunkt des Mini-Konzerts ist eine Ballade aus dem vergangenen Jahr, „I’m So Lonely“, singt Brian Wilson mehr zu sich selbst, und für einige Augenblicke verschwindet er ganz in der Melancholie seiner Musik.

Da klingelt das Telefon. Der Doktor ist am Apparat und erinnert seinen Patienten an einen Termin im Fitneß-Center.