DIE RADIKALE LANGSAMKEIT


Ende September erscheint nach 17 Jahren ein neues Album von Mazzy Star. SEASONS OF YOUR DAY ist ihr viertes in knapp 25 Jahren. Es schreibt die Geschichte da weiter, wo sie stehengeblieben war.

David Roback und Hope Sandoval sind seit den späten 1980er-Jahren Mazzy Star. Mit ihnen führe ich eines der sonderbarsten Gespräche meines Lebens, es läuft ab wie Dialoge aus dem absurden Theater. Auf die meisten Fragen antworten sie knapp, in unverbindlichen Sätzen; freundlich, aber desinteressiert daran, sich und ihr Produkt zu promoten. Erst mit etwas Abstand wird evident, wie diese Mischung aus cooler Langeweile, Langsamkeit und dem Nicht-Mitspielen bei Verwertungsmechanismen sich auch schon immer in ihrer eigenartigen, entrückten und wunderschönen Musik gefunden hat.

Zurückgespult: In den Achtzigern kommt ein neuer Underground amerikanischer Gitarrenmusik auf, der sich bewusst an Rock-Traditionen anlehnt. Green on Red, Long Ryders, dBs, Dream Syndicate und zig mittlerweile vergessene Bands entdecken die Byrds, Velvet Underground, Flying Burrito Brothers oder Big Star neu, vermengen Roots-Rock, Psychedelia und Folk. Mittendrin die Kalifornier The Rain Parade mit David Roback, aus denen Mazzy Star hervorgehen, mit der neuen Sängerin Hope Sandoval, gerade frisch mit der Highschool fertig. Der gern als „Dream Pop“ beschriebene Sound Mazzy Stars klingt stets wie aus der Zeit gefallen – umso überraschender, dass die Band 1994 mit „Fade Into You“ einen wirklichen Hit hat. Ihr Songwriting beruft sich auf Lou Reeds Zusammendenken von Düsternis und Leichtigkeit, 1950s-Melodien, Noise-Experimente und die eigenen inneren Dämonen. Plattencover, Promofotos und Musikvideos sind verhuscht, in körnigem Schwarz-Weiß, live singt Sandoval vom Publikum abgewandt. Die Band betreibt den größtmöglichen Rückzug von Personen und Egos aus der Musik. Diese Haltung scheint beim Rückblick auf die frühen Neunziger, als der Gitarrenrock-Zeitgeist den eigenen Regress in Stadionrock-Pomp und Idolisierung von zur Schau gestellter Maskulinität betreibt, eine radikale Geste – und ist 2013 kaum weniger radikal, wo die Versessenheit auf „Persönlichkeiten“ nur gestiegen ist, die Erwartung, dass Künstler sich ihr Publikum gladiatorenhaft erkämpfen und bei Laune halten sollen.

Sandoval und Roback haben keinerlei Interesse daran, viel mehr über ihre neue Platte zu sagen, als dass sie nun fertig ist. Ich erfahre Details über russische Animationsfilme, über die Katze von Hope Sandoval, über David Robacks Begeisterung fürs Schnitzen von Kürbissen, Pastinaken und Roter Beete zu Laternen; aber über Mazzy Star oder gar sich selbst möchten die beiden kaum reden. Die Musik enthält alles und alles, was sie nicht enthält, bleibt Geheimnis: verwaschen, in körnigem Schwarz-Weiß, entschleunigt, verhallt und traumhaft entrückt.

Albumkritik S. 101