Die Theater-AG


Die ehemalige Schülerband Polarkreis 18 will immer noch größere Bilder schaffen - und muss dafür ganz schön einstecken.

Swiegermütter müssen sich diesen Jungen gebacken haben. Wie er singt und lacht und schmachtet. Wie seine blonden Haare fliegen und dann doch wieder dort landen, wo sie hingeföhnt wurden. Vermutlich haben sie ihn nach dem Vorbild des sensiblen Schülers Neil Perry in dem Film Der Club der toten Dichter zubereitet. Mit dem teilt Felix Räuber nicht nur das attraktive, weiche Äußere, sondern auch seinen Hang zum Schauspiel.

Felix beim Showcase zur Veröffentlichung des neuen Albums Frei auf der in Sturm und Blitz getauchten Bühne des Berliner Heimathafen – mit jeder Faser, jeder Geste zeigt er: Dies ist seine Bühne! Er schreitet hin und wieder weg vom Mikroständer, als wäre der seine Tanzpartnerin bei einem Menuett. Felix reckt sich, dreht sich, schmiegt sich, und beim finalen Donnerschlag brechen er und seine Band zusammen. Gefallene Engel. Verendete Schwäne. Etwas in der Richtung.

Am Tag darauf erklärt der Frontmann das ganze Theater so: „Der Gedanke, der unserer Musik und der Inszenierung zu Grunde liegt, ist: Wir wollen große Bilder schaffen – theatralische, pathetische Bilder. Dafür werden wir auch immer wieder kritisiert, gerade in Deutschland, wo es ja auch nur wenige Bands gibt, die vielleicht den Mut dazu haben.“ Man könnte ihm entgegen halten, dass Pomp und Pathos hierzulande durchaus Poptradition haben, anhand von Beispielen wie Alphaville, Joachim Witt, Wolfsheim usw. Aber Felix vergleicht den „oft als gekünstelt wahrgenommenen Ansatz“ seiner Gruppe gerade so anschaulich mit Lena Meyer-Landruth. Klar, die ist authentisch, das tut beinahe schon weh …

Doch Polarkreis 18 sind das auch und es rührt durchaus an, wenn ihr Sänger davon erzählt, wie es war, als zum ersten Mal das Babelsberger Filmorchester Passagen für sie einspielte: „Ich stand vor dieser Scheibe und dachte mir: Das ist total absurd! Für uns, die Jungs aus Dresden-Bühlau, die ihre Songs zu Hause bei den Eltern komponiert haben … Man kann sich gar nicht vorstellen, wie Wahnsinn das ist.“

„Wie Wahnsinn“ es ist, als Neil Perry in Der Club der toten Dichter dank seines progressiven, von Robin Williams dargestellten Lehrers sich dann doch auf die Bühne wagt, muss der nicht erzählen: Es steht ihm funkelnd ins Gesicht geschrieben. Dass im Film die Aufführung von Shakespeares Sommernachts-traum nur Schultheaterniveau hat, darf der ergriffene Zuschauer dabei geflissentlich ignorieren. Bei Polarkreis 18 verhält es sich jedoch leider genau anders herum: Es zählt nicht die (bislang 13-jährige) Geschichte der sechs jungen Freunde, nicht das Dick, nicht das Dünn, ihre Leidenschaft. Sie werden an ihrer Musik und ihrem Auftreten gemessen. Und es wird in der Saison 2010/11 noch harscher „immer wieder kritisiert“ werden, dass ihr Drehbuch umso dünner ausfällt, je bombastischer ihnen die Inszenierung gerät. Die Vorstellungen von Polarkreis 18 werden natürlich trotzdem ausverkauft sein.