Die Toten Hosen: Kreatives Chaos im Tempel des Punk


Die Toten Hosen blasen zum Kreuzzug: Mit Fußball, Altbier und Gitarren arbeitet Deutschlands härteste Rock 'n' Roll-Kapelle streng abgeschirmt an ihrem ersten Doppel-Album. Im Studio-Allerheiligsten bekam ME/Sounds-Redakteur Peter Wagner die Hosen voll.

„Hast du nicht vernünftige Schlacht da, mit Pferden, Rüstungen und Kreuzrittern?“ Der blasse Buchhändler schaut, als habe ihn der leibhaftige Alf nach einem Bildband über die Katzenjagd auf dem fernen Planeten Melmak gefragt. Trini Trimpop, ehemals Kampf-Trommler und inzwischen Manager der Düsseldorfer Punkrocker Die Toten Hosen, sucht in der größten Kunstbuch-Handlung Kölns nach einem Gemälde, das für das Cover der kommenden Hosen-LP taugen könnte. AUF DEM KREUZZUG INS GLÜCK soll sie heißen, doch der überforderte Verkäufer wird trotz Trinis klarer Vorgaben – „bunte action, sowas Rubensmäßiges“ nicht fündig.

Zwei Stunden später, es ist halb Drei Uhr nachmittags, wird es für den Rest der Hosen, die inzwischen im Studio-Komplex Dierks in Köln-Stommeln eingetrudelt sind, langsam Zeit für die erste feste Nahrung dieses Tages. Die Dierks-Studios, das Mekka aller Heavy-Bands, bietet First-Class-Catering aus eigener Küche, doch die fünf Jungs bevorzugen Schinken. Brot und Ei zum eigens aus Düsseldorf importierten Altbier. Auch Campino, Sänger, Frontman und Chef-Prediger der Band, kann sich mit dem protzigen Brimborium in diesen heiligen Metal-Hallen nur wenig anfreunden: „Die haben die totale Küche hier, mit einer langen, gepflegten Tafel für die Herren Rockstars. Wir bestellen uns lieber ’nen strammen Max und holen uns abends die Pizza vom Italiener nebenan. Das sind wir aus Düsseldorf so gewöhnt.“

Gewöhnen kann man sich an fast alles, doch die Toten Hosen sind nach acht Jahren Bühnen-Kampf, Goldund Platin-Alben und inzwischen durchschnittlich 2500 Besuchern bei den Konzerten alles andere als verwöhnte Rock-Stars geworden. Das zeigt sich allein daran, wie die Punkrocker sich das noble Studio 3 im obersten Stock des Dierks-Komplexes nach ihren Vorstellungen umgebaut haben. Der riesige Aufnahmeraum, so groß wie eine Basketball-Halle, diente ihnen nur kurz für die Schlagzeug-Aufnahmen, dann mußten Trommeln und Mikros sofort der Tor-Wand Marke „ZDF Sport-Studio“ weichen, die sie als Fans und Sponsoren der abstiegsgefährdeten Fortuna Düsseldorf immer zwischen Gitarren und Verstärkern im Band-Bus dabei haben. Im Regieraum hängt die Fahne der Fortuna, der riesige Video-Schirm hinterm Pult zeigt entweder einen Russ Meyer-Film oder die aktuelle Live-Übertragung des Torwand-Europacups zwischen Schlagzeuger Wölli und Gitarrist Kuddel.

Auch die anderen Räume strahlen behagliches Punkrock-Ambiente aus: Zwischen den noblen Ledersofas und Plastik-Palmen in dem zur Gitarren-Kabine umfunktionierten Aufenthaltsraum hängt zwischen Verstärkern und Kabelsalat eine Che Guevara-Flagge, die Wände sind mit barbusigen Centerfolders tapeziert, einige Ausgaben von „ME/Sounds“ und „Praline“ liegen herum.

Wie konnte sich Deutschlands führende Punkrock-Band nur in diesen Techno-Tempel verirren? „Wir wohnen in der Nähe“, murmelt Campino zwischen zwei Nachtisch-Keksen, „wir können jeden Tag zu Hause schlafen. Und in dem Studio, wo wir sonst immer aufnehmen, war neulich auf einmal das Mischpult weg. Da hingen nur noch die Drähte rum. * Auch Andi, der Bassist, zeigt sich zu so früher Stunde schon recht gesprächig: „Wir waren noch nie in so einem Riesen-Ding. Hai aber was – hinter jeder Tür, wo du hier vorbeigehst, geben sie mächtig Gas. Hardrock, Speedmetal und nirgetidwo Schlagerscheiß. Die Ledersofas, die Palmen und so – da stehen die Metal-Bands drauf. Wir brauchen das nicht, das kann man sich genauso umgestalten wie ein Hotelzimmer.“ Etwas warmes braucht die Hose schon, ein paar Poster mit nackter Haut, am Abend die Pizza. Doch braucht Punkrock mit zwei Gitarren/Baß/Schlagzeug/Gesang wirklich 48 Aufnahmespuren? „In der Regel ist es am besten“, wiegelt Campino ab, „mit ganz wenigen Spuren auszuko …“ „Quatsch!“ fällt Andi seinem Sänger ins Wort, „wenn wir schon für 48 Spuren bezahlt haben, machen wir sie auch voll. Naja – die Technik ist schon heiß hier, vom feinsten. Aber auch anfällig: Der Computer vom Mischpult ist uns ein paar Mal abgestürzt, da mußt du immer wieder von vorne anfangen. Dafür muß der Typ, der hier die Abhörboxen reingezimmert hat, die volle Ahnung gehabt haben Da klingt unsere Musik genau so, wie sie ist. Dummerweise hörst du auch jeden Fehler. „

Das dürfte in der Zwischenzeit immer seltener vorkommen. Vor acht Jahren eher eine schnelle denn musikalische Punk-Bande, sind die Hosen längst zu der einzigen Kapelle des Landes geworden, die mit kompromißlos hartem Rock ’n‘ Roll und deutschen Texten spielend große Hallen füllt, ihre LPs chart-mäßig vergoldet und bei der man dennoch alle Attribute von Star-Kult und Rock-Reichtum vergeblich sucht. Obwohl ein erheblicher Anteil des Pro-Kopf-Konsums von Altbier in der Bundesrepublik durch Hosen-Kehlen fließt, beherrschen die fünf Düsseldorfer Genies das selbstgebaute Chaos um sich herum spielend. AUF DEM KREUZZUG INS GLÜCK wird nicht einfach nur die nächste LP der Punkrocker, es wird ein mit Überraschungen gespickter Zweier-Pack.

Sonst ist ein Doppelalbum ja meistens nicht gerade ein Grund zur Freude: Entweder konnte man sich nicht auf 12 Songs einigen, oder es droht eine Werk-Schau Marke „Auf dem Höhepunkt der Karriere“. Im schlimmsten Fall wird es ein hirnschwangeres Konzept-Operchen über vier Plattenseiten. Doch hier wird es eine pralle Hosen-Tasche: „Eigentlich wollten wir überhaupt keine Platte machen. Dann dachten wir an sowas wie ‚Flops und B-Seiten – Das schlimmste von den Hosen‘. Wir hatten aber so viele gute alte Sachen rumliegen. Zum Beispiel vom ,Hip Hop Bommie Bop‘ hatten wir damals noch eine viel knalligere englische Version aufgenommen.

Aber die Zeil seit der letzten Platte war schon wieder so lang, daß es ganz schön frech gewesen wäre, jetzt mit so Wem alten Scheiß zu kommen. Und dann kam uns die Idee, die alten und die neuen Sachen zusammen auf ein Doppelalbum zu machen – wahrscheinlich im Rahmen von so einer richtig zünftigen Jubiläumsfeier. Also mindestens ’25 Jahre Tote Hosen‘.“

Wie die Zeit vergeht. Die Toten Hosen sangen einst „Die Jahre ziehn ins Land und wir saufen noch immer ohne Verstand.“ Zumindest beim Platten-Machen bleibt der Verstand nicht auf der Strecke, es gibt am Anfang von AUF DEM KREUZZUG INS GLÜCK sogar ein kleines Konzept – eine Geschichte, die drei bis vier Songs lang erzählt wird. Als Moderator zwischen den Liedern konnte Campino eines seiner größten Vorbilder gewinnen: musikalisch untermalt von den bayrischen Volks-Anarchos Biermösl Blasn kommentiert Gerhard Polt die „Geschichte von so einem Deppen, Winnie heißt er. Als Kind kommt er ins Heim, ein Problemtyp eben, ein tragischer Held. Nach dem Heim stürzt er total ab – Drogenszene, Zeugen Jehova und ganz am Ende ist er voll fertig und wird Polizist. Gerhard Polt spricht dazwischen die Kommentare mit zwei Stimmen – als Onkel und Tante. „Ausgerechnet ein Bayer also, ein Mensch aus jenem Teil Deutschlands, den die Hosen – außer für Besuche bei ihrer Münchner Plattenfirma oder für Konzerte – niemals freiwillig betreten würden. Doch Campino ist kein Ideologe: „Ich wollte Polt schon seit Jahren mal treffen. Vom Humor her steht der ja auf die selben Sachen wie wir, nur daß er sich ganz anders ausdrückt.“

Was nun ganz genau von den gut 34 produzierten Songs auf das Album kommt, weiß auch Gitarrist Breiti im Moment „nicht so genau, das wechselt jeden Tag. Sicher ist nur: Etwa 24 Sachen kommen drauf.“ Das ist natürlich die zu Ostern erscheinende Vorab-Single „Alles wird gut“ (Mit der biblischen Kreuzieungs-Szene als Cover-Motiv), passend zur Fußball-WM in Italien eine schnelle Version von Adriano Celentanos „Azzurro“ mit Original-Italienischem Text (Campino: „Ich versteh kein Wort, aber das ist besser so‘) und ein gutes Dutzend neuer Kracher in bewährter Hosen-Mode: schnell, hart, laut.

Dafür sorgt vor allem Campinos brüll-feste Stimme, die auf der neuen Platte ab und an sogar schon mal einer kleiner Melodie folgt („Ich bin nicht Sänger in dieser Kapelle, weil ich singen sollte. Darumginges nie und darum wird es nie gehen“), und die inzwischen zu internationalem Niveau aufgelaufenen Brat-Gitarren von Kuddel und Breiti. Den härtesten Hosen-Job aber hat nach wie vor der Brite John Caffery, seit frühesten Band-Tagen als Regler-Schieber dabei und neuerdings von der Band sogar zwecks Einsparung von Einflug-Kosten mit einer Düsseldorferin verkuppelt. John – das bringt sein Beruf so mit sich – ist auch die einzige Hose ohne jede Berührungsangst mit den Segnungen moderner Studiotechnik. Doch sogar Campino hat inzwischen begriffen, daß sich Punkrock und Elektronik nicht spinnefeind sein müssen: „Natürlich lernst du mit der Zeit dazu. Wenn John früher mit so einem Gerät ankam, lauter bunte Knöpfe und so, hab ich gesagt Scheiße – nicht bei uns‘.“

Während Keyboarder für die Hosen immer noch zu jenen unangenehmen Zeiterscheinungen mit Yuppie-Haarschnitt und Hornbrille auf der Nase gehören, die mit ihren Synthie-Burgen den Monitor-Sound auf der Bühne zuscheißen. sind Sampler im Studio mittlerweile erlaubt: „Für ein paar Gags haben wir ’nen Sampler benutzt. Einen Auto-Anlasser zum Beispiel. Bevor du auf der Straße mit dem Mikro rumrennst, kannste da auch den Sampler nehmen.“

Auch Campino ist kein Technik-Hasser. Wenn es darum geht, einen Opel Manta noch ein paar Pferdchen stärker zu machen, kennt er keine Berührungsangst mit komplizierten Einspritz-Anlagen. Zumindest behauptet er das ab sofort jeden Sonntag ab 15.45 Uhr in der Sendung „P.O.P.“ auf Tele 5, in der er aktuelle Tuning-Tips für alle Manta-Modelle abgibt. Doch was Platten betrifft, hängt der Sänger weiterhin an der Nadel:

„Ich finde CDs scheiße. Ich brauche richtige Platten, mit großem Umschlag, damit man die Texte gut lesen kann. Das muß gut riechen und muß Kratzer haben.“

Trotzdem gibt es Hosen-Platten auch auf CD. Wo bleibt da das Prinzip?

„Jeder soll mit uns klarkommen, wie er will. Aberes wird immer schwerer – viele alten Scheiben gibt es nur noch auf CD. Da muß man jetzt richtig stark sein. „

Die reine Lehre vom Punkrock gilt für die Hosen ohnehin schon lange nicht mehr, erlaubt ist, was Krach macht. Sie lassen John jede Nummer erst mal alleine mischen. Beim Abhören schreien sie alle durcheinander, weil jeder sein Instrument lauter haben will. John tut so, als spiele er an einigen Knöpfen und schon sind alle zufrieden.

Daran, daß dabei die Möglichkeiten der High-Tech-Kisten voll ausgeschöpft werden, hat sich auch Campino gewöhnt: „Wir haben da keinen Ehrencodex. Wir als Non-Musiker, das wäre ja lächerlich. “ So ein Quatsch. Da spielen sich die Musiker acht Jahre lang den Arsch ab, beherrschen ihre Instrumente so gut wie jeder andere Profi, und sie sehensichals Non-Musiker? „Waahh – es geht um die Einstellung. Wenn einer auf der Gitarre brät, muß es ihm scheißegal sein, wie gut das Instrument ist. Wenns ein Könner ist, zeigt sich das in anderen Sachen durch irgendeine filigrane Scheiße, die er da abliefert. Bei uns gilt nur ein Gebot: so laut, so schnell und so hart wie möglich zu spielen. Alles ist erlaubt, wenn wir nur Gas geben. “ Hörbar: Die Toten Hosen sind auf ihrem neuen Album dem bewährten Druck-Sound treu geblieben. Nur sind sie jetzt musikalischer geworden und schreiben – die letzte Erfolgs-Single „Hier kommt Alex“ hatte das schon angedeutet – richtige Songs. „Das kannst du gar nicht verhindern“, entschuldigt sich Andi, „obwohl wir es immer versucht haben mit nicht-Üben und so. Ich kapier den Bass-Lehrgang im fachblau bis heute nicht.“ Breiti kommt mit einer leeren Flasche Altbier und dem Fußball unterm Arm vom Torwand-Ballern zurück. Meine letzte Hoffnung – er zumindest scheint doch richtig gut spielen zu können: „Harmonielehre? Ich kapier immer nur das erste Kapitel – ,Das ist die A-Saite‘ und so.“