Die wichtigsten Auftritte vom Primavera Sound 2015


An diesem Wochenende fand in Barcelona die fünfzehnte Primavera-Ausgabe statt. Lest hier die Kurzkritiken zu den wichtigsten Auftritten - mit Sunn O))), Sleater-Kinney, José Gonzáles, u.v.m.

Vom 28. bis zum 30. Mai fand in Barcelona das Primavera Sound Festival statt. Unser Autor Ivo Ligeti war vor Ort und berichtet hier von den wichtigsten Auftritten des Festivals.

Battles

Wer die beste Prog-Rock-Band des 21. Jahrhunderts live sehen wollte, musste früh dran sein: Das Konzert der Battles fand auf der sogenannten Hidden Stage in einem Parkhaus statt. Für sämtliche Shows auf dieser Bühne wurden an einem Infostand umsonst gesonderte Tickets verteilt – oder eher: den Mitarbeitern aus den Händen gerissen. Eine interessante Erfahrung für die Generation, die um Konzertkarten höchstens noch im Internet kämpft. Wer bei Öffnung des Geländes losgesprintet ist und seinen Ellbogen richtig einzusetzen wusste, bekam eins. Wer sich Zeit ließ, ging leer aus – und verpasste einen frühen Höhepunkt des Festivals. Die drei neuen Songs „Dot Com“, „Mexico“ und „The Yabba“, die erst das zweite Mal zum Einsatz kamen, fügen sich nahtlos in den Rest des Sets ein, das die Battles-typische Mischung aus verkopft und verspielt perfekt auf den Punkt brachte. Der nimmermüde Drummer John Stanier kriegt für seine völlige Verausgabung ein Sternchen im Fleißheft – genau wie das Publikum, das bei „Atlas“ stillos, aber ehrlich das Riff mitgegrölt hat.

Antony

Antony Hegarty wird dieses Jahr mit HOPELESSNESS eine „elektronische Platte mit scharfen Zähnen“ veröffentlichen, wie es in der Ankündigung heißt. Ihre Performance beim Primavera Sound könnte davon nicht weiter entfernt sein: Ohne die Johnsons, dafür aber mit dem 40-köpfigen Sinfonie-Orchester Barcelonas im Rücken singt sich Antony durch ein Best-of ihrer Karriere, von „Cripple & The Starfish“ bis zu „Cut The World“. Verstörende Kunstfilm-Sequenzen bieten dabei den nötigen Gegenpol zum triefenden Pathos der Musik. Ein Highlight: Antony spielt zum ersten Mal überhaupt (!) „Blind“, die Disco-Hymne von Hercules & Love Affair, der sie einst ihre Stimme lieh. Und was für eine Stimme das ist! Man kann sämtliche Alben Antonys auswendig kennen und steht doch völlig verdattert da angesichts der Wucht, mit der einen ihr Gesang trifft. Als die ersten Takte von „Hope There’s Someone“ das Piano verlassen, hält sogar die schnatternde spanische Juggesellenabschieds-Gruppe vor mir inne. Wenn das kein Beweis für die Kraft der Musik ist, was dann?

Sunn O)))

Sunn O))) live zu sehen ist die eine Sache. Sunn O))) im Kontext eines Festivals zu sehen, das wenige Stunden zuvor noch einen Richie Hawtin auf der gleichen Bühne hat auftreten lassen, ist eine andere. So nämlich dürfte die Mehrheit der doch okay großen Zuschauermenge den Drone-Göttern eher mit einem Augenzwinkern begegnen („ironisches Feiern“), als sie völlig ernst zu nehmen. Das Interessante ist, dass Sunn O))) diesen Umstand zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen: Zu Beginn trinken alle drei Mitglieder, in Kutten gekleidet und von Nebelschwaden umweht, einen tiefen Schluck Wein aus der Flasche und prosten dem Publikum zu. Ein merkwürdiger Anblick, aber ein erster Sympathiepunkt. Was in der nächsten Stunde folgt, ist kompromissloses Gedröhne, erzeugt von einer geradezu perversen Ansammlung an Amps. Sunn O))) spielen die extremste Musik, die man auf einem Festival aufführen kann. Irgendwann gesellt sich auch ein Sänger dazu – dem ungarischen Akzent nach zu urteilen, dürfte es Mayhem-Frontmann Attila Csihár sein, doch die Kutte lässt eine eindeutige Identifikation nicht zu. Je länger Sunn O))) vor sich hin dröhnen, desto mehr schlägt der anfängliche Unglaube des Publikums in eine eigentümliche Faszination um. Das Geräusch allein, der unverdünnte und unverfälschte Ton, hat eine Wirkung, nicht zuletzt auch eine physische, die sich schwer beschreiben lässt. Sunn O))) wissen das auf eine großartige Weise zu vermitteln. Ein klassischer Fall von „muss man mal gesehen haben“.

José Gonzáles

In meiner Vorstellung bestand ein José-González-Konzert stets aus einem Hocker, einer Gitarre und einem auf sich allein gestellten, schüchternen José. Umso größer fällt die Überraschung aus, als der Schwede erstens steht und zweitens vier Begleitmusiker dabei hat, von denen gleich zwei für die Percussion verantwortlich sind. Eine gute Investition, wie sich spätestens beim Cover des Arthur-Russell-Songs „This Is How We Walk On The Moon“ zeigt. Die Atmosphäre kippt vom Intimen ins Hypnotische, González kopiert mit seiner zärtlichen, butterweichen Stimme die typisch russellsche Phrasierungstechnik. Auch sonst entlockt das Quintett den meist minimalistischen Stücken González’ eine ungekannte musikalische Virtuosität, die weit mehr kann, als nur „Scrubs“-Szenen zu untermalen. Das Publikum bedankt sich zum Schluss mit dem längsten und ekstatischsten Applaus, den es beim Primavera 2015 zu hören gab. Nicht zu Unrecht, aber auch nicht zu erwarten.

Sleater-Kinney

Wer mehr als drei Sätze im Zusammenhang mit der Sleater-Kinney-Reunion schreiben will, kommt nicht umhin, an irgendeiner Stelle den Kritiker Greil Marcus zu zitieren, der einst wusste: Sleater-Kinney sind die größte Rockband der Welt. Nachdem ich Zeuge ihres Primetime-Slots auf einer der beiden Hauptbühnen wurde, unterschreibe ich zumindest eine Light-Version dieser Behauptung: Sleater-Kinney haben das beste Frontduo der Welt. Carrie Brownstein und Corin Tucker ergänzen sich fast so gut wie Vanille-Eis und Kürbiskernöl. Mal singen sie harmonisch miteinander („No Cities To Love“), mal entschlossen gegeneinander an („Fangless“). In „What’s Mine Is Yours“ gibt es ein Gitarrenduell zu bestaunen, bei dem die beiden ihre Instrumente fast schon aneinander reiben. „The Fox“ wird mit Ansage im Feedback ertränkt und singen mal harmonisch miteinander und mal entschlossen gegeneinander an. Brownstein sorgt außerdem für den majestätischsten Anblick des Wochenendes, als sie mitten im Solo mit High Heels einen Moonwalk beginnt. Alte Hits wie „Jumpers“, „Oh!“, „Dig Me Out“ und „Entertain“ fügen sich mit neuen wie „Bury Our Friends“ oder „Price Tag“ zu einem homogenen Ganzen. Eine Bilderbuch-Wiedervereinigung, genau wie:

Ride

Ride bespielen die gleiche Bühne, auf der Slowdive letztes Jahr den Start ihrer Live-Reunion gefeiert haben. Deren Konzert war damals ein Triumph, doch sie hatten es zugegebenermaßen etwas leichter: Während Slowdive-Stücke einfacher sind und klarer herausgearbeitete Fixpunkte haben, schichten Ride gerne mal gefühlte dreihundert Gitarrenspuren übereinander. Der Versuch, so etwas live mit zwei Gitarren nachzustellen, kann leicht nach hinten losgehen – siehe My-Bloody-Valentine-Konzerte der jüngeren Vergangenheit. Diese Zweifel lösen sich schon bei den ersten Takten von „Leave Them All Behind“ in Luft auf. Ride meistern klassische Britpop-Songs wie „Chrome Waves“ genauso fantastisch wie Kakophonie-Orgien à la „Drive Blind“ und reihen sich damit in den Reigen der gelungenen Shoegaze-Comebacks ein: 2013 das neue Album von My Bloody Valentine, 2014 die Swervedriver-Platte und die Bühnenrückkehr von Slowdive. Letztere wollen es wohl noch mal richtig wissen und arbeiten gerüchteweise an einem neuen Album. Sollten Ride im Anschluss an die Tour Ähnliches vorhaben: Ich hätte nichts dagegen!

Ratatat

Erster negativer Aspekt der Festivalsaison 2015: Die Band Ratatat aus New York macht sich wieder in den oberen Zeilen der Line-Up-Plakate bemerkbar. Ratatat spielen einen Mischmasch, der das schlechteste aus elektronischer Musik (seelenlose Rhythmen ähnlich denen, die sonst auf Keyboards vorinstalliert sind) und Rock (Gniedelsoli, die in den Fußstapfen Eddie van Halens ausrutschen) vereint. Uninteressante Videoinstallationen machen die Chose komplett. Wäre vielleicht mit Mühe zu ertragen, würden die beiden Mitglieder nicht ständig ekelhafteste Rocker-Posen zu Besten geben, als hätten sie den Saiten gerade den Geist des Herrn entlockt. Ratatat sind nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Tofu. Ratatat sind höchstens ein Argument gegen die Gitarre als solche.

Mac DeMarco

Die goldene Ulknudel für den witzigsten Auftritt des Festivals haben sich selbstverständlich Mac DeMarco und seine Band verdient. Die größte Eselei: Ein wunderbar schiefes Cover des Coldplay-Songs „Yellow“, vorgetragen vom Bassisten. Der hatte bis dahin hauptsächlich über Gold als sichere Anlagequelle schwadroniert und Bier getrunken. Mac gönnt sich währenddessen ein Gläschen Wein, spricht mit seiner extratiefen, aufgesetzten Radiomoderaten-Stimme und kündigt als Höhepunkt den Stargast des Abends, Anthony Kiedis, an. Der entpuppt sich dann in Wahrheit lediglich als der Keyboarder von DIIV, der eine kurze Runde über die Bühne dreht, doch der Witz hat gezündet. Man sollte fairerweise anmerken, dass DeMarcos schlurfig-schläfriger Indie Pop bei all dem Schabernack nicht zu kurz kommt. Dennoch gehört auch der Schlusspunkt nicht dem Musiker, sondern dem Witzbold DeMarco: Bei der obligatorischen Stage-Diving-Einlage zieht er sich im Publikum einen Schuh aus und schmeißt ihn auf seinen Gitarristen. Selbst wer Macs Musik langweilig findet (ich), kommt nicht umhin, den Typen zu lieben.

The Strokes

Beim diesjährigen Primavera kann man fast schon von den Strokes-Festspielen sprechen: Neben dem ersten Europa-Auftritt seit vier Jahren gab es auch zusätzliche Konzerte von Gitarrist Albert Hammond Jr. und Julian Casablancas’ Zweitband The Voidz. Beim Voidz-Konzert stand Hammond übrigens im Publikum und hat sich über eine völlig kaputtgespielte Version des Strokes-Songs „Vision of Division“ eher weniger gefreut, aber das nur am Rande.

Als Casablancas am Samstagabend zum zweiten Mal die Bühne betritt, trägt er ein Trikot des FC Barcelona – das ist schon mal die halbe Miete. Die andere Hälfte spielt die Band ein, indem sie IS THIS IT zur großen Begeisterung der Fans fast komplett aufführt. Letzten Herbst hatte Casablancas noch verlauten lassen, er fühle nichts mehr, wenn er die alten Kamellen spielt. „Someday“ und „The Modern Age“ klingen tatsächlich blutleer, doch beim Rest der Stücke ist die Hingabe entweder echt oder sehr gut gespielt. Bei der kontroversen Falsett-Einlage in „One Way Trigger“ trifft Casablancas übrigens jeden Ton. Lediglich der Lo-Fi-Vocalfilter, der seine Stimme möglichst nach IS THIS IT klingen lassen soll, wirkt bei den neueren Stücken eindeutig fehl am Platz.

Underworld

Die auch schon nicht mehr ganz so neue Mode, alte Alben in Gänze aufzuführen, hat sich beim Primavera Sound stets besonderer Beliebtheit erfreut: In früheren Ausgaben spielten unter anderem die Melvins, Slint, Sonic Youth, Public Enemy, Low, Suicide, Television und ja, sogar Sunn O))) ihre Klassiker durch; bei dieser Ausgabe tut das neben Underworld auch Patti Smith, deren Debüt HORSES 40 wird. Underworld spielen ihr halb so altes DUBNOBASSWITHMYHEADMAN stur von „Dark & Long“ bis „M.E.“ durch. Einerseits: Keine Überraschungen, klar. Und bei einer elektronischen Band wie Underworld auch kaum Abweichungen von der Studioversion. Andererseits: Wer dieses Album kennt und liebt, bekommt hier die Chance, es auf einer großartigen Anlage zu hören, mit einem wild zappelnden Karl Hyde in gesanglicher Topform, tausenden Tanzwütiger und dem Vollmond über Barcelona als stillem Zuschauer. Hat was, oder? Da hätte „Born Slippy“ als Zugabe gar nicht mehr sein müssen. Für all jene, die danach keine Energie mehr für Caribou hatten: Ein würdiger Festival-Abschluss.