Doppel- Phillip


Ist Phillip Boa Headbanger? Der Voodooclub hat einen lauten Bruder bekommen. Im Voodoocult lebt der Pop-Avantgardist seine Metal-Phantasien aus.

„Das ist meine beste Platte.“ Wenn Phillip Boa so spricht, ist das nichts neues. Deutsche Musikhörer mit dem Drang nach Höherem pflegen ihn immer noch als ihr Lieblings-Arschloch im Plattenschrank, ein bißchen Selbstbeweihräucherung paßte da stets gut ins Bild. Was neu ist: Wenn Boa heute über seine aktuelle Platte spricht, stellt sich die Frage: Welche?

Denn Deutschlands Pop-Ikone fügt sich in die beste Tradition von Guns N’Roses und Bruce Springsteen: Er veröffentlicht zwei Alben gleichzeitig. Zum einen gibt es da „God“, das neue Album des altbewährten Voodooclubs, der zwar einige personelle Veränderungen hinter sich hat, aber nach Phillips Pfeife besser denn je zwischen den Fronten tanzt. An den Reglern saß altbewährt Tony Visconti. Für die Produzenten-Choriphäe gehört Boa schon immer in die direkte Reihe seiner Zöglinge: „Bolan – Bowie – Boa, das ist eine ganz klare Linie.“ Das dicke Lob hat Boa schnell verinnerlicht: „Das ist die Musik, die David Bowie heute machen sollte. ‚God‘ lebt.“

Der Gegenpol lebt auch – und wie. Voodoocults „Jesus Killing Machine“ dürfte das Gemüt des gemeinen Boa-Anhängers bösartig verstören. Das Projekt ist der Traum eines Sommers. Auf Malta, Boas zweiter Heimat, zersägten vorzugsweise Slayer-Klänge die Urlaubs-Idylle, wenn er mit Voodoclub-Bassist Taif Ball im Auto saß. Und plötzlich wollten die beiden nicht mehr hören, sondern selber machen. Ein Metal-Album sollte es werden, und mit den ersten Demos in der Tasche stellte Phillip Boa sein Dream-Team zusammen.

Dave Lombardo dagegen, bis vor kurzem Drummer und Tonangeber bei Slayer, sprang sofort an, ohne einen Ton von Boas vorfabrizierten kruden Metal-Tönen gehört zu haben. Ihm genügte als Argument Boas letzte Voodooclub-Platte „Boaphenia“. Außerdem mit im Headbanger-Boot: Gitarrist Mille von Kreator, Gabby, Gitarrist der Hardcore-Insider Cro-Mags und Chuck Schuldiner, Oberhaupt der Death Metal-Stars Death. Dazu Voodooclub-Mitglied Taif und als Produzent ein polnischer Doom-Metal-Spezialist namens Waldemar Sorychta.

Die Abwechslung ist hart, laut und für Boa erholsam: „Bei Voodoocult bin ich einer von vielen. Ich muß nicht immer Phillip Boa sein.“ Doch so ganz kann sich der Boa den Phillip nicht verkneifen: „Immer konnte ich meine Schnauze nicht halten.“ Das Ergebnis der Auseinandersetzungen muß sich vor zeitgenössischen Mitbewerbern nicht verstecken. Und weil’s so schön ist, schickt Boa das Projekt auch auf Tour. Bei der Konzertreise im April will Boa in jeder Stadt zweimal gastieren, einmal als Club und einmal als Cult.

Die Wanderung zwischen zwei Welten betrachtet er mit gewohnter Souveränität: „Ist doch interessant morgens mit der einen Band zu proben und mittags mit der anderen.“ Gibt es für Boa gar keine Grenzen mehr? „Nö, ich kann jetzt alles machen, ein deutschsprachiges Album, oder ein experimentelles. Oder beides zusammen.“